2-G-Regel:Der stärkste Trumpf sticht nicht mehr

Coronavirus - Köln

Weihnachts-Shopping in Köln: Beim Einkaufen spielt 2 G in diesen Tagen die Hauptrolle.

(Foto: dpa)

Gerichte winken selbst in Omikron-Zeiten nicht mehr alle Corona-Beschränkungen durch. Vor allem ein Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts lässt aufhorchen.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Ob zuerst das Christkind kommt und dann der Lockdown oder umgekehrt, wird noch diskutiert - aber bis dahin spielt 2 G die Hauptrolle. Es ist derzeit das Mittel der Wahl, weil es mehrere Vorteile in sich zu vereinen scheint. Erstens behalten Geimpfte (und Genesene) große Bewegungsfreiheit, zweitens dient es als Lockmittel für die Impfskeptiker. Außerdem finden viele Immunisierte es irgendwie gerecht, dass die Treiber der Pandemie ihre mangelnde Einsicht mit ein paar Nachteilen bezahlen müssen. Nun aber lässt eine Eilentscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (OVG) aufhorchen. Es hat die 2-G-Regel für den Einzelhandel gekippt, wegen der Rechte der Händler - aber auch deshalb, weil Ungeimpfte ebenfalls Grundrechte haben.

Auch andere Gerichte nehmen die Zugangsprivilegien ins Visier. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat auf die Klage eines Pharmaziestudenten die 2-G-Regelung an Hochschulen vorläufig außer Vollzug gesetzt, weil die Vorschrift keinerlei Vorgaben gemacht hatte, um ein Studium ohne Impfung möglich zu machen. Und das Verwaltungsgericht Schwerin hat dem Antrag eines Kosmetik- und eines Tattoo-Studios gegen 2 G stattgegeben - weil sie gegenüber Friseuren benachteiligt wurden. Weitere Klagen sind anhängig.

Zwar sind dies Einzelfälle; dass 2 G damit bereits auf dem Rückzug wäre, kann man nicht sagen. Aber vor allem den Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts wird man als Signal verstehen können, dass Gerichte selbst unter dem heraufziehenden Verhängnis der Omikron-Variante nicht dazu bereit sind, alles durchzuwinken, was Regierungen und Parlamente beschließen.

Das beginnt damit, dass der stärkste Trumpf der Pandemiebekämpfer beim OVG nicht mehr sticht. Früher ließen sich viele Maßnahmen damit begründen, dass man noch zu wenig über Corona wisse und daher nach dem Motto "Viel hilft viel" vorgehen müsse. Nun moniert das OVG, "dass verlässliche und nachvollziehbare Feststellungen zur tatsächlichen Infektionsrelevanz" im Einzelhandel fehlten. "Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Erforschung von Infektionsumfeldern durch den Antragsgegner (die Landesregierung) intensiviert worden wäre, um die Zielgenauigkeit seiner Schutzmaßnahmen zu erhöhen." Auch das Bundesverfassungsgerichts hatte kürzlich notiert, die Erkenntnisse müssten umso tragfähiger sein, je länger eine belastende Maßnahme in Kraft sei.

Jedenfalls hat das OVG große Zweifel, dass gerade im Einzelhandel ein großes Ansteckungsrisiko herrsche. Die Kunden seien meist höchstens 20 Minuten im Laden und die Kontakte nicht sehr intensiv. Die Gegebenheiten seien eben nicht mit Theater oder Kino vergleichbar und schon gar nicht mit der Ausübung von Sport in geschlossenen Räumen. Selbst das RKI halte Tests im Einzelhandel für ausreichend.

Aus Sicht des OVG gibt es ein milderes und sehr wirksames Mittel: eine strenge Maskenpflicht, die nur noch FFP2 und vergleichbar sichere Normen wie KN95 gelten lässt. "Nach neueren Erkenntnissen dürften Atemschutzmasken dieses Schutzniveaus ... das Infektionsrisiko sogar derart absenken, dass es nahezu zu vernachlässigen ist." Das Gericht zitiert eine Studie des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen, wonach unter korrekt Maskierten das maximale Ansteckungsrisiko nach 20 Minuten selbst auf kürzeste Distanz kaum mehr als ein Promille betrage. Nötig wäre damit eine klare Absage an die oft schief sitzende medizinische Maske.

Das Verdikt lautet also: unverhältnismäßig - aber eben nur, was den Einzelhandel betrifft. Und solange man nichts Genaueres über Omikron weiß. In infektionsträchtigeren Einrichtungen lasse sich 2 G durchaus rechtfertigen - das hatte derselbe Senat des OVG eine Woche zuvor festgehalten: Geimpfte und Ungeimpfte leisteten "ganz offensichtlich unterschiedliche Beiträge zum Infektionsgeschehen" - dies sei ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung.

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