Süddeutsche Zeitung

Schadensersatz:Augustinum fordert 86 Millionen Euro

  • Das Augustinum hat beim Landgericht Schadenersatzklage gegen einen Ex-Geschäftsführer und drei mutmaßliche Komplizen eingereicht.
  • Der Sozialkonzern versucht 86 Millionen Euro einzutreiben.
  • Das Geld soll bei fragwürdigen Immobiliengeschäften verloren gegangen sein.

Von Klaus Ott

Das Augustinum, eine gemeinnützige Unternehmensgruppe, kümmert sich um Schüler und alte Menschen, um Kranke und Behinderte. Der Sozialkonzern, er ist Teil der Diakonie der evangelischen Kirchen, betreibt Schulen und Seniorenstifte, Kliniken und Sanatorien. Daneben muss sich das einst von einer Pfarrersfamilie gegründete Augustinum um noch etwas ganz anderes kümmern, das so gar nicht zum Firmenzweck passt. Die Unternehmensgruppe versucht, mehr als 86 Millionen Euro einzutreiben, die nach eigenen Berechnungen bei fragwürdigen, wenn nicht gar kriminellen Immobiliengeschäften verloren gegangen sind. Das Augustinum hat beim Landgericht München I Schadenersatzklage eingereicht: gegen einen Ex-Geschäftsführer des Sozialkonzerns, der zeitweise in Untersuchungshaft saß, und gegen drei Geschäftsleute aus Norddeutschland und der Schweiz.

Die angeblichen Übeltäter denken nicht daran, auch nur einen Cent zu zahlen

Die vier, so der Vorwurf, sollen das Augustinum ausgenommen und hintergangen haben. Die Staatsanwaltschaft München I hat bereits 2017 gegen den einstigen Augustinum-Geschäftsführer und dessen drei mutmaßliche Kumpane Anklage wegen "gewerbsmäßigen Bandenbetrugs" und weiterer Vorwürfe erhoben. Die Angeschuldigten bestreiten das. Ob die Anklage zugelassen wird, hat die zuständige Strafkammer des Landgerichts München I noch nicht entschieden. In Kreisen von Verfahrensbeteiligten wird damit gerechnet, dass dies im Laufe des Jahres geschieht und ein Betrugsprozess frühestens im Herbst beginnen könnte.

86 Millionen Euro sind eine Menge Geld für die gemeinnützige Unternehmensgruppe. Das Augustinum könnte damit seine 4500 Beschäftigten, die sich vor allem um Schüler und Alte, Kranke und Behinderte kümmern, ein halbes Jahr lang bezahlen. Oder die drei eigenen Schulen samt Internaten vier bis fünf Jahre lang betreiben. 86 Millionen Euro, das ist deutlich mehr als der voraussichtliche Schaden, der beim Bistum Eichstätt durch ebenfalls fragwürdige Geschäfte entstanden sein soll. Auch dort, bei der katholischen Kirche, ermitteln Staatsanwälte. Es geht um ungesicherte Darlehen. Hier das von München aus tätige Augustinum, dort das Bistum in Eichstätt, hier evangelische, dort katholische Kirchenkreise, die von den angeblichen Machenschaften betroffen sind, dazu jeweils ein eigener, einst führender Mitarbeiter, der darin verwickelt sein soll: Versagten die Kontrollinstrumente, sind manche Kirchenleute besonders gutgläubig? Oder zumindest besonders naiv?

Das Augustinum hat 14 seiner 23 Seniorenstifte, in denen mehr als 7400 alte Menschen leben, vor Jahren nach und nach verkauft. Und anschließend zurückgemietet. "Sale and lease back" wird das im Finanzjargon genannt. Insgesamt 728 Millionen Euro wurden hin- und herbewegt. Das sollte auf völlig legale Art und Weise die Bilanz des Sozialkonzerns entlasten, sprich besser aussehen lassen. So ließen es sich die Verantwortlichen des Augustinums einreden, vor allem der damalige Konzernchef und evangelische Pfarrer Markus Rückert. Dessen Vater, ebenfalls ein Geistlicher, hatte vor mehr als 60 Jahren das Augustinum gegründet und aufgebaut. Ein Sohn von Markus Rückert gehört heute der Geschäftsführung an.

Dass die "Sale and lease back"-Aktion gut sei für das Augustinum, das hatte den Verantwortlichen vor allem Artur Maccari eingeredet, der damalige Aufsichtsratschef. Er galt als seriös und kompetent. Maccari starb Anfang 2014. Nach seinem Tod stieß das Augustinum auf dubiose Vorgänge, begann den Fall selbst zu untersuchen und schaltete schließlich die Staatsanwaltschaft ein. Die beschreibt in ihrer Anklage, wie Maccari zusammen mit dem zwischenzeitlich inhaftierten Ex-Geschäftsführer des Sozialkonzerns, den beiden Käufern der betreffenden Seniorenstifte und einem Schweizer Mittelsmann das Augustinum ausgenommen haben soll. Das Quartett habe bei den Immobiliendeals heimlich hohe Millionenbeträge für sich abgezweigt. Maccari soll, mittels Scheinrechnungen, einer der Hauptprofiteure gewesen sein.

Ein von den Ermittlern beauftragter Gutachter rügte später, Geschäftsführung und Aufsichtsrat des Augustinums seien Maccari "blind gefolgt". Die Kontrollfunktion des Aufsichtsrats sei "ausgehebelt" gewesen. Das war nicht die einzige Kritik des Gutachters. In der Anklage ist von einem unmittelbaren Schaden von knapp 72 Millionen Euro die Rede. Das Augustinum macht zudem die Ausgaben für Anwälte und Gerichte und weitere Folgekosten geltend und kommt so auf einen Gesamtschaden von mehr als 86 Millionen Euro. Man habe die "wesentlichen Folgen" der Immobiliendeals bereits 2014 bilanziell berücksichtigt. Für den Betrieb der Seniorenstifte habe das keine Folgen. Die Bewohner, will das Augustinum damit sagen, könnten also ruhig schlafen. Die Unternehmensgruppe fügt hinzu, eine "abschließende Bewertung der Schadenshöhe" sei bislang nicht möglich. Das bedeutet: Es könnten noch mehr werden als die 86 Millionen Euro.

Ob überhaupt Geld zurückfließt, und falls ja, wie viel, ist ungewiss. Die vier Beschuldigten denken nicht daran, auch nur einen Cent freiwillig zu zahlen. Es geht in anderen Gerichtsverfahren schon länger hin und her - mit Vorteilen mal für die eine, mal für die andere Seite. Nun steht ein großer Schadenersatzprozess an und vermutlich ein Strafprozess, beide mit offenem Ausgang. Der Hamburger Anwalt Malte Nehls, der einen der Beschuldigten vertritt, kündigt entschiedene Gegenwehr an.

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SZ vom 15.02.2019/gro
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