Gerangel um EU-Kommissionsvorsitz:Der Kompromiss der Kanzlerin

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Angela Merkel geht im schwedischen Harpsund mit den Regierungschefs Mark Rutte (Niederlande, li.), David Cameron (Großbritannien) und Fredrik Reinfeldt (Schweden, re.) spazieren. (Foto: Getty Images)

Im "europäischen Geist" will Merkel den Streit um den künftigen Präsidenten der EU-Kommission lösen. Das bringt neue Kandidaten ins Spiel, zum Beispiel aus Irland.

Von Silke Bigalke und Cerstin Gammelin, Harpsund/Brüssel

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte nach dem Treffen mit den Juncker-Skeptikern eine klare Botschaft. Ihre europäischen Kollegen, also die Staats- und Regierungschefs und die neu gewählten Europaparlamentarier, sollten alle Entscheidungen über die Europapolitik der kommenden fünf Jahre und über Spitzenjobs "im europäischen Geist" treffen, sagte sie nach Beratungen mit dem britischen Premier David Cameron, dem Niederländer Mark Rutte und Schwedens Fredrik Reinfeldt auf dem Sommersitz der schwedischen Regierung in Harpsund. Anders sei kein Kompromiss möglich. Weitere Drohungen, so Merkel, gleich von welcher Seite, seien unangebracht.

Merkel, die unerwartet heiter und gelöst auftrat, appellierte an alle Beteiligten, von ihren bisherigen Maximalforderungen abzurücken. Das betrifft die Parlamentarier ebenso wie diejenigen, die es ablehnen, einen Spitzenkandidaten aus den Europawahlen zum Kommissionschef zu machen, allen voran Cameron. Der britische Premier, der keinen der Spitzenkandidaten als Kommissionschef akzeptieren will und indirekt schon mit dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union drohte, wirkte in der Runde der vier Regierungschefs beinahe verloren. Weder Rutte noch Reinfeldt sprangen ihm bei. Die Kompromisssuche im europäischen Geist kann allerdings auch bedeuten, dass die Spitzenkandidaten von ihren Ambitionen zurücktreten. Durch Merkels Appell könnten auch andere Politiker eine Chance bekommen, als Präsident der nächsten EU-Kommission vorgeschlagen und gewählt zu werden.

Sondierungsgespräche in den Hauptstädten

Im Europaparlament gilt bisher als vereinbart, dass es nur einen der Spitzenkandidaten als Behördenchef wählt - und jeden anderen durchfallen lässt. Ein Kompromiss könnte hier heißen, dass die Volksvertreter akzeptieren, dass ihr Spitzenkandidat ein anderes Spitzenamt bekommt. Danach sieht es bisher nicht aus.

In den Hauptstädten finden dennoch längst Sondierungsgespräche statt. An diesem Dienstag wollte Rutte nach Dublin reisen, um mit dem irischen Kollegen Enda Kenny die Lage zu beraten. Kenny gilt nach der erfolgreichen EU-Ratspräsidentschaft als Anwärter auf den Spitzenjob in der Kommission, aber auch als Nachfolger von EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy. In der nächsten Woche erwartet Merkel die Sozialdemokratin Helle Thorning-Schmidt in Berlin, auch, um über eine europäische Kandidatur zu besprechen. Die dänische Premierministerin gilt als Konsenskandidatin zwischen Cameron und Merkel. Problematisch ist allerdings, dass Dänemark nicht zur Euro-Zone gehört, mithin nicht zur Mehrheit der EU-Länder.

Merkel will bei der Ruderpartie kaum über Politik nachgedacht haben

Auch der Schwede Reinfeldt ist mittlerweile im Spiel. Ob sie ihn für einen guten Kapitän für die EU halte, wurde Merkel in Harpsund gefragt, nachdem sie sich von dem Premier über den angrenzenden See hatte rudern lassen. Die Kanzlerin wich aus. Sie sei zu sehr damit beschäftigt gewesen zu überlegen, ob Reinfeldt noch die lange Seite des Sees entlang rudern werde, als dass sie sich Gedanken "um irgendetwas anderes gemacht habe, als dass er schwedischer Premierminister ist".

Ganz im europäischen Geist der Kompromisssuche kündigte Jean-Claude Juncker inzwischen an, auf seine Skeptiker zuzugehen. Er werde das Gespräch mit den Briten suchen, denn natürlich müssten die britischen Besonderheiten im europäischen Kontext berücksichtigt werden, sagte Juncker am Montagabend in einem Fernsehinterview. Der langjährige Premierminister Luxemburgs kennt das politische Geschäft bestens. Er weiß, dass er ohne die Briten den Job kaum bekommen wird. Und dass, falls es ihm nicht gelingt, Cameron zu überzeugen, sein eigener Rückzug im Merkelschen Sinne auch ein Kompromiss im europäischen Geist wäre.

Am Dienstagabend war dann noch ein ganz anderer europäischer Geist zu spüren. Aus Paris verlautete, die französische Regierung habe sich mit Rom und Berlin zusammengetan, um ein Programm für die nächste EU-Kommission zu entwerfen. Dieses solle "in den nächsten Tagen und Wochen" mit den anderen Hauptstädten abgestimmt und dem nächsten Kommissionschef an die Hand gegeben werden. Dessen Name soll bis 26. Juni feststehen.

© SZ vom 11.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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