Geplatzte Pkw-Maut:Akten gegen Scheuer

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) im Deutschen Bundestag

Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) in Erklärungsnot: Die verworfene Pkw-Maut kann den Bund bis zu 700 Millionen Euro kosten.

(Foto: Lisa Ducret/dpa)

700 Millionen Euro könnte ein falscher Kündigungsgrund kosten: Der Verkehrsminister gerät im Maut-Debakel in neue Erklärungsnot.

Von Markus Balser und Martin Kaul, Berlin

Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) gerät wegen der geplatzten Pkw-Maut immer stärker unter Druck. Interne Dokumente nähren Zweifel an der Version des Bundesverkehrsministeriums, dass der Bund den Vertrag mit den Maut-Betreibern aus mehreren Gründen kündigen kann und damit Schadenersatzforderungen entgeht. Prüfer des Bundesverkehrsministeriums sahen noch Ende Mai 2019 keine Gründe, die für eine Kündigung der Verträge mit den Betreiberfirmen des umstrittenen Mautprojektes sprachen. Das geht aus vertraulichen Dokumenten hervor, die dem WDR und der Süddeutschen Zeitung vorliegen.

Die als "Ausländermaut" bekannt gewordene Abgabe war ein Prestigeprojekt der CSU und ist seit der ersten Vorstellung im Wahlkampf 2013 hoch umstritten. Mit der Maut sollten besonders ausländische Nutzer belastet werden. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte sie Mitte Juni 2019 schließlich gekippt, weil er sie als europarechtswidrig einstufte. Die Maut sollte vor allem Ausländer treffen. Deutsche sollten sie auch zahlen, aber über die Steuer entsprechend entlastet werden.

CSU-Verkehrsminister Scheuer hatte die Verträge unmittelbar nach dem Urteil aufgekündigt, angeblich auch, weil es laut seinem Ministerium erhebliche Mängel an der sogenannten Feinplanungsdokumentation gab. Dazu zählt die Dokumentation von Fortschritten beim Aufbau der Maut. Hintergrund ist offenbar, dass Schadenersatz an die Betreiber droht, hätte der Bund allein infolge des EuGH-Urteils gekündigt. Durch den Verweis darauf, dass das Projekt nicht wie geplant vorankam, versucht das Bundesverkehrsministerium offenbar nun, diesen Kosten zu entgehen. Insider gehen davon aus, dass die Betreiber mindestens 700 Millionen Euro fordern könnten. Doch die Dokumente zeigen ein anderes Bild. Noch kurz vor den Vertragskündigungen sahen die Prüfer im Ministerium keine unüberbrückbaren Probleme. Das geht aus einem als Verschlusssache eingestuften Statusbericht aus dem Bundesverkehrsministerium von Ende Mai 2019 hervor, der dem WDR und der SZ vorliegt. Das Dokument listet detailliert den Planungsstand in unterschiedlichen Bereichen des Infrastrukturprojektes auf und stellt mögliche Risiken in einem Ampelsystem dar. Häufig zeigt die Ampel in dem Statusbericht Grün, an einigen Stellen auch Orange. Eine rote Ampel findet sich allerdings an keiner Stelle. "Das Gesamtprojekt liegt insgesamt noch im Plan", heißt es.

Auch aus einer E-Mail eines externen Gutachters an das Kraftfahrtbundesamt und das Bundesverkehrsministerium, die WDR und SZ vorliegt, geht hervor, dass die externen Prüfer keine unlösbaren Probleme sahen. Zwar sei laut dem Prüfer "eine Anzahl von 42 Defiziten der Schwere 2 aufgeführt, die kurzfristig behoben werden sollten", aber im gleichen Satz heißt es auch: "Wir konnten kein kritisches Defizit identifizieren, das gegen eine Fortsetzung des Projektes nach Plan spräche."

Oppositionspolitiker kritisieren seit Langem den aus ihrer Sicht überstürzten Vertragsabschluss. Der verkehrspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Oliver Luksic sagte am Freitag: "Es ist offensichtlich, dass Minister Scheuer nun verzweifelt den Betreibern eine Schlechtleistung vorwirft, damit der Bund nicht 300 Millionen Euro oder mehr Schadenersatz zahlen muss. Stephan Kühn, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen, sagte: "Ich gehe nach Lektüre wichtiger Akten davon aus, dass der Kündigungsgrund 'Schlechtleistung' vorgeschoben ist. Es gab keine unüberwindbaren Probleme." Das Ministerium selbst weist die Vorwürfe dagegen zurück. Die Kündigung der Verträge sei berechtigt gewesen, sagte ein Sprecher.

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