Afghanistan:Taliban bomben sich zurück

Afghanistan ist politisch so gut wie abgeschrieben. 2014 sollen die US-Truppen aus dem Land abziehen - die meisten glauben, dass der Spuk dann irgendwie vorbei ist. Doch während der Westen mit sich selbst beschäftigt ist und desinteressiert wegschaut, wachsen bei den Taliban die Begehrlichkeiten.

Stefan Kornelius

Afghanistans eigentliches Problem in diesen Tagen ist der Mangel an Aufmerksamkeit, der dem Land zuteil wird. In Europa hat die Euro-Krise alle politische Energie gefressen. In den USA ist inzwischen die Mehrheit davon überzeugt, dass Präsident Barack Obama seine Kraft lieber dem eigenen statt einem fremden Volk widmen sollte. Afghanistan ist politisch so gut wie abgeschrieben, irgendwo im Hinterkopf lauert die Jahreszahl 2014, die mit einem Abzug der US-Truppen assoziiert wird. Im Zusammenhang mit diesem Datum haben sich bereits eine Menge Phantasien verselbständigt - auch weil Obama wenig unternimmt, dem Eindruck eines Komplettabzugs zu widersprechen.

Alle offiziellen Festlegungen sehen zwar nur einen Teilabzug der Kampftruppen vor, es bleiben also noch eine Menge Ausbilder, Entwicklungshelfer, Sicherungseinheiten und vermutlich auch Spezialkontingente für die Aufstandsbekämpfung. Die politische Stimmung in den Entsendestaaten - vor allem in den USA und in Deutschland - lässt es aber nicht zu, die Wahrheit auch über die Unmöglichkeit eines Abzugs zu sagen. Eine Mehrheit in diesen Ländern glaubt, dass 2014 der Spuk irgendwie vorbei ist.

In diese Stimmung hinein bomben die Taliban und all die anderen aus dem diffusen Block der Aufständischen um die Wette. Ihr Ziel: Sie können die Isaf-Truppe nicht bekriegen, aber demoralisieren. Und zugleich sollen alle Afghanen wissen, dass nach 2014 mit den Taliban zu rechnen sein wird. Wer also heute seinen Frieden mit der Staatsmacht macht oder gar Aufbauhilfe im Sinne der Ausländer betreibt, der könnte seine Rechnung zu früh gemacht haben. Der Rabbani-Mord vor wenigen Wochen sollte exakt dies vermitteln: Pass auf, auf welcher Seite du stehst.

Zwei wichtige Ereignisse stehen für die nächsten Monate an, die nun nach mehr Aufmerksamkeit schreien: Erstens verhandeln die USA ein Stationierungsabkommen, das über ihre langfristige Verbindung zu Afghanistan entscheidet. Hier geht es um Drohnen-Flugplätze und Militärstützpunkte im Zentrum einer strategisch bedeutsamen Region mit China, Iran, Pakistan, Indien und den labilen Staaten Zentralasiens als Nachbarn. Und zweitens stehen internationale Afghanistan-Konferenzen in Istanbul und auf dem Bonner Petersberg bevor, bei denen es um das Verhältnis der Afghanen zu ihren Nachbarn geht und um das Verhältnis zwischen der bröckelnden Karsai-Staatsmacht und den Taliban.

In diesem sogenannten Versöhnungsprozess haben sich die Regeln längst verschoben. Nicht die amtierende Regierung, gestützt von der mächtigen Staatenwelt, breitet gönnerhaft die Arme aus. Nein, die Taliban und ihr offenbar unangefochten herrschender Mullah Omar haben ihre eigene Vorstellung von der Rückkehr - auch an die Macht. Solange der Westen desinteressiert wegschaut, werden ihre Begehrlichkeiten wachsen und ihre Bomben explodieren.

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