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Geplante Gesetzesverschärfung in Spanien:"Wir brauchen ein System, das den Demonstranten Angst macht"

Spaniens Regierung will sich gegen künftige Proteste wappnen und greift deshalb zu drakonischen Maßnahmen: Laut einem Gesetzesentwurf können künftig auch friedliche Demonstrationen oder Protestlager als "Anschlag auf die Staatsgewalt" gelten. Und wer via Facebook oder Twitter zur Störung der öffentlichen Ordnung aufruft, dem könnten schon bald zwei Jahre Haft drohen.

Mirjam Moll

Aufrufe zu friedlichen Protesten via Facebook oder Twitter könnten in Spanien bald zur Straftat werden. Innenminister Jorge Fernández Díaz hat eine Verschärfung des Strafgesetzbuches angekündigt. Schon 2013 soll das neue Gesetz in Kraft treten, sollte das Parlament dem Entwurf zustimmen. Das Reformprojekt wurde angestoßen, nachdem ein Generalstreik am 29. März das Land paralysierte. Schärfere Gesetze sollen für Ordnung sorgen.

Die Reform des Strafgesetzbuches bezieht sich vor allem auf die Härte der Strafe. Sie sieht vor, Vandalismus mit Terrorismus gleichzustellen. Vandalismus soll künftig mit dem Strafmaß der kale borroka bestraft werden, was auf baskisch "Straßenkämpfe" bedeutet. Dies hätte zur Folge, dass die Mindeststrafe für die Störung der öffentlichen Ordnung von einem auf zwei Jahre erhöht würde. Richter hätten damit auch die Möglichkeit, einstweilige Freiheitsstrafen anzuordnen.

Außerdem sieht das Gesetz vor, Mitglieder krimineller Organisationen zu einer Haftstrafe von über zwei Jahren verurteilen zu können. Außederdem soll jeder, der über Kommunikationsmedien wie das Internet oder soziale Netzwerke dazu aufruft, die öffentliche Ordnung zu stören, als Mitglied einer kriminellen Organisation eingestuft werden.

Spaniens Innenminister Fernández Díaz beschrieb das Reformpaket als "notwendig", um den "neuen sozialen Realitäten" entgegenzutreten. Es gebe Gruppen, die es nur darauf abgesehen hätten, mit Methoden, die einer "urbanen Guerilla" ähnelten, Gewalt auszuüben. Der Minister rechtfertigte die Reformvorschläge mit der Begründung, Spanien leide unter einer "Spirale von Gewalt".

Rückendeckung aus Katalonien

Der Innenminister betonte, dass die "Umgestaltung der gesetzlichen Regelungen ein konstitutionelles Recht wie das der Demonstration" verteidige. Nicht er, sondern diejenigen, "die legitime Demonstrationen gegen die Regierung missbrauchen", beschädigten die Demonstrationsfreiheit. Dies geschehe innerhalb einer "organisierten Struktur", welche die Polizei bereits identifiziert habe.

Rückendeckung erhielt Fernández Díaz von der Autonomieregierung Kataloniens. Der dortige Innenminister Felip Puig erklärte frei heraus: "Wir brauchen ein System, das den Demonstranten Angst macht." Puig hatte 2011 schon für Schlagzeilen gesorgt. Damals hatte er Zivilpolizisten in eine friedliche Demonstration des movimiento 15M in Barcelona eingeschleust. Die Gruppe wird auch Los indignados - die Empörten - genannt. Sie entstand am 15. Mai 2011, als eine Serie von friedlichen Protesten für eine partizipative Demokratie begann. Die eingeschleusten Zivilpolizisten randalierten und stachelten zur Gewalt an. Anlass genug für die dortige Polizei, auch gegen friedliche Demonstranten mit entsprechender Härte vorzugehen, wie El Publico berichtete. Videos belegten die Vorwürfe.

Die spanische Regierung hat angekündigt, die Gesetzesreform bis Ende des Jahres umsetzen zu wollen. Schon bis zum Sommer soll der Ministerrat darüber entscheiden. Fernández Díaz betonte, dass eine solche Maßnahme kein Einzelfall sei, sondern Spanien mit Ländern wie Frankreich oder Großbritannien gleichstelle.

Entwurf sorgt in Barcelona für Aufruhr

In den letzten Wochen und Monaten hatte die spanische Regierung einige Sparmaßnahmen durchgesetzt, die vermehrte Proteste hervorriefen: Steuern wurden erhöht, der Kündigungsschutz gelockert, das Arbeitslosengeld gekürzt. Die angekündigten Einsparungen in Höhe von über 27 Milliarden Euro riefen Generalstreiks in mehreren Städten hervor. In Barcelona gab es besonders viele Proteste. Die Stadt ist dem Innenminister ein Dorn im Auge: Seine Reform rechtfertigt er auch damit, dass Barcelona sich nicht in die "europäische Hauptstadt des Antisystems" verwandeln dürfe.

Vor allem in Barcelona sorgte der neue Gesetzesentwurf für Aufruhr - und erneute Demonstrationen. "Ist demonstrieren etwa Terrorismus?" stand auf Protestplakaten zu lesen.

"Es ist sehr einfach, jemandem einen Angriff auf die öffentliche Ordnung zu unterstellen", so Anwalt und Essayist Servando Rocha. Der neue Gesetzesvorschlag sei eine rein repressive Maßnahme. Rocha war es auch, der Mitglieder der Bewegung Movimiento 15M vertrat. Die Gruppe bezeichnet den Gesetzesentwurf als "Strategie der Angst". Das Strafgesetz sollte die letzte Instanz zur Lösung sozialer Konflikte sein, so die Gruppe.

Neue Streiks sind in Spanien bereits für den 29. April geplant. Der Grund: Ministerpräsident Rajoy hat am Freitag weitere Sparmaßnahmen angekündigt. Über 10 Milliarden Euro sollen dieses Mal eingespart werden. Das Paket umfasst unter anderem höhere Studiengebühren, größere Schulklassen und längere Arbeitszeiten für Lehrer. Auch rezeptfreie Medikamente sollen künftig teurer werden. Das sind die "neuen sozialen Realitäten" in Spanien. Die Menschen werden dagegen auf die Straße gehen - trotz der angedrohten Gesetzesverschärfung.

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