Süddeutsche Zeitung

Georgien:Solidaritätsbesuch der Verängstigten

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Präsidenten aus fünf Nachbarländern Russlands reisen nach Tiflis - sie sehen sich als mögliche nächste Opfer von Moskaus Großmachtstreben.

Thomas Urban

Fünf osteuropäische Staatspräsidenten sind am Dienstag nach Tiflis geflogen, um der georgischen Führung ihrer Solidarität zu versichern. Von Warschau aus starteten der polnische Präsident Lech Kaczynski und seine drei Kollegen aus Litauen, Lettland und Estland, Valdas Adamkus, Valdis Zatlers und Toomas Hendrik Ilves.

Diese Vier hatten bereits am Wochenende in einer gemeinsamen Erklärung das Vorgehen der russischen Truppen "gegen ein souveränes Land" scharf verurteilt und Moskau eine "imperialistische und revisionistische Politik" vorgeworfen. Bei einer Zwischenlandung der polnischen Regierungsmaschine auf der Halbinsel Krim stieg noch das ukrainische Staatsoberhaupt Viktor Juschtschenko zu. Dieser hatte ebenfalls bereits am Wochenende die Invasion russischer Truppen auf georgisches Territorium scharf verurteilt.

Moskau teste aus, wie weit es gehen könne

Die Kiewer Presse stellte einmütig die Frage, ob die Ukraine das nächste Land sein werde, das Moskau wieder unter Kontrolle nehmen wolle. Die Russen würden die Rohstoffpreise weiter erhöhen und versuchen, noch größeren Druck als bisher auf Kiew auszuüben. Es sei zudem damit zu rechnen, dass Moskau die russischsprachige Bevölkerung der Krim ein weiteres Mal gegen Kiew aufwiegeln werde, um so einen Unruheherd zu schaffen.

Die ukrainische Regierung verfügte bereits am Wochenende, dass die Schiffe der russischen Schwarzmeerflotte, die vom Kriegshafen Sewastopol auf der Krim in Richtung Georgien ausgelaufen sind, bis zu einem Waffenstillstand nicht zurückkehren dürfen. Moskau hat einen Teil des Hafens gepachtet. Juschtschenko lehnt es ab, den 2017 auslaufenden Pachtvertrag zu verlängern.

Der Politologe Olexander Suschko, Direktor im Kiewer Institut für Euroatlantische Zusammenarbeit, sagte, Moskau teste aus, wie weit es auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR gehen könne. Sollte der Westen nicht energisch auf das Vorgehen Russlands reagieren, werde Putin sich ermuntert sehen, weitere Versuche zu unternehmen, den einstigen sowjetischen Herrschaftsbereich wiederherzustellen. Der Konflikt um Südossetien bedeute allerdings auch, dass die Perspektive eines Nato-Beitritts für die Ukraine in die Ferne rücke.

Warnung vor Fehlern, "für die teuer bezahlt werden muss"

Kaczynski erklärte vor dem Abflug aus Warschau: "Wir wollen demonstrieren, dass unsere fünf Staaten solidarisch mit einem Volk sind, das Opfer einer Aggression wurde." Ohne diplomatische Verbrämung fügte er hinzu: "Der russische Staat hat ein weiteres Mal sein wahres Gesicht gezeigt." Sicherheitsexperten kritisierten allerdings, dass fünf Präsidenten gemeinsam in einem Flugzeug in ein Krisengebiet flögen. An Bord ist ebenfalls der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski.

Auch die Medien Polens und der baltischen Staaten verurteilten Russland einhellig . Die Empörung ist groß. Die Titelseiten vieler Zeitungen zeigen von russischen Bomben zerstörte Häuser und weinende Menschen. In großer Aufmachung berichteten die Zeitungen von Tallinn bis Warschau, dass Moskau allen Staaten drohe, die Georgien unterstützten. Zitiert wird der russische Botschafter in Lettland, Alexander Wischnjakow, der vor schweren Fehlern warnte, "für die teuer bezahlt werden muss".

Georgien sei das weitaus demokratischste Land der Region

Die Kommentatoren in Polen und im Baltikum sind sich einig darin, dass Moskau die Energiewirtschaft der EU-Staaten kontrollieren und diese somit erpressbar machen wolle. Politiker der vier Staaten, die einst gegen den Willen ihrer Bevölkerung zum Machtbereich Moskaus gehörten, nun aber Mitglieder der Nato und der EU sind, kündigten an, ihre Ostpolitik zu koordinieren, um mehr Einfluss auf die Entscheidungen Brüssels zu nehmen. Immer wieder wird betont, die georgische Demokratie weise zwar gewisse Defizite auf, Georgien sei aber dennoch das weitaus demokratischste Land der Region, Russland eingeschlossen.

In der gemeinsamen Erklärung des polnischen Präsidenten und seiner drei Kollegen aus dem Baltikum hieß es im selben Sinne, dass die Nato-Einladung an Tiflis ausgeblieben sei, habe Moskau als "grünes Licht für eine Aggression" aufgefasst. Kaczynski warb in einem Telefonat mit Nicolas Sarkozy dafür, eine EU-Friedenstruppe in den umstrittenen Gebieten zu stationieren. Die russischen Streitkräfte, die Moskau als "Friedenstruppe" bezeichnet, seien "völlig unglaubwürdig".

Scharf kritisieren die polnischen und baltischen Medien, dass die Nato der Ukraine und Georgien Beitrittsverhandlungen verweigert hat. Besonders scharf wird die Bundesregierung angegriffen, die dafür die treibende Kraft gewesen sei. Der in diesen Tagen zwischen Ostsee und Hoher Tatra am meisten zitierte deutsche Politiker ist Gernot Erler (SPD), Staatsminister im Auswärtigen Amt, der nicht der russischen, sondern der georgischen Seite vorgeworfen hatte, das Völkerrecht zu brechen.

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SZ vom 13.8.2008/ihe
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