Georgien:Polizei löst proeuropäische Demo gewaltsam auf

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Demonstranten laufen in Tiflis vor der Polizei davon, als sie am frühen Morgen vor dem Parlamentsgebäude gegen die Entscheidung der Regierung demonstrieren, die Verhandlungen über den Beitritt zur Europäischen Union für vier Jahre auszusetzen. (Foto: Zurab Tsertsvadze/dpa)

Der Streit um die von Fälschungsvorwürfen überschatteten Parlamentswahlen eskaliert weiter. Erneut haben sich in Georgien Polizei und Demonstranten Straßenschlachten geliefert.

In der Südkaukasusrepublik Georgien ist es in der dritten Nacht in Folge zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Polizei und regierungskritischen Demonstranten gekommen. Georgischen Medien zufolge setzten die Beamten Wasserwerfer und Tränengas ein, die Demonstranten beschossen die Polizei mit Feuerwerkskörpern. Am Morgen drängten die Uniformierten die Protestierenden vom Parlamentsgebäude am Rustaweli-Prospekt ab. Die Menge hat nun Straßensperren nahe der Staatlichen Universität aufgebaut.

Bislang gibt es noch keine offiziellen Angaben zur Zahl der Verletzten und Festgenommenen. In der vergangenen Nacht hatte die Polizei allein in der Hauptstadt Tiflis (Tbilissi) eigenen Angaben nach 107 Menschen wegen Rowdytums festgenommen – auch in anderen Städten wird demonstriert.

Georgiens Präsidentin Salome Surabitschwili während eines Interviews. (Foto: Irakli Gedenidze/REUTERS)

Hintergrund der Proteste sind die von Fälschungsvorwürfen überschatteten Parlamentswahlen Ende Oktober, bei der sich die Regierungspartei Georgischer Traum zum Sieger erklären ließ. Die Opposition hat die Wahlergebnisse nicht anerkannt – und weigert sich, ihre Mandate anzunehmen. So bezeichnete die der EU zugewandte Präsidentin Salome Surabitschwili die Regierung als nicht rechtmäßig und erklärte, sie werde trotz ihrer im Dezember endenden Amtszeit auf ihrem Posten bleiben.

Ihr Widersacher, Ministerpräsident Irakli Kobachidse hatte zuvor gesagt, Georgien werde keine Revolution wie 2014 in der Ukraine zulassen, als der russland-freundliche Präsident Viktor Janukowitsch gestürzt wurde. Er hatte ankündigt, die Beitrittsverhandlungen mit der EU, der er Einmischung und Erpressung vorwarf, bis 2028 auf Eis zu legen. Die Mehrheit der Bevölkerung will Umfragen zufolge in die EU. Der Beitritt ist auch in der Verfassung als Ziel festgeschrieben.

In einer Ansprache am Samstag hatte Präsidentin Surabitschwili gesagt, das Parlament habe kein Recht, einen Nachfolger für sie zu wählen, wenn ihre Amtszeit im Dezember ende. Sie werde daher im Amt bleiben. Es gebe kein legitimes Parlament, „und deshalb kann ein illegitimes Parlament keinen neuen Präsidenten wählen“. Ihr Mandat bleibe bestehen, bis ein rechtmäßig gewähltes Parlament gebildet sei.

Kobachidse dagegen beschuldigte die Gegner des EU-Beitrittsstopps, eine Revolution nach dem Vorbild der Maidan-Proteste in der Ukraine 2014 zu planen. Georgien werde ein solches Szenario „natürlich nicht zulassen“, zitierten ihn lokalen Medien. Am Samstagabend versammelten sich dann erneut Tausende Demonstranten in Tiflis. Die Polizei zog zahlreiche Kräfte zusammen.

Mit dem angekündigten Stopp des EU-Beitritts hatte der Streit in den sich seit Monaten verschlechternden Beziehungen zwischen dem Georgischen Traum, dem autoritäre und pro-russische Tendenzen vorgeworfen werden, und dem Westen einen neuen Höhepunkt erreicht. Die Partei wird von Bidzina Iwanischwili dominiert, einem milliardenschweren Ex-Ministerpräsidenten, der im Vorfeld der Wahlen im Oktober zunehmend antiwestliche Positionen vertreten hatte. Sowohl die Regierungspartei als auch die georgische Wahlkommission haben erklärt, die Wahl sei frei und fair verlaufen.

Die neue EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas deutete am Sonntag am Rande von Gesprächen in der ukrainischen Hauptstadt Kiew Konsequenzen durch die EU an. Es sei eindeutig, dass Gewalt gegen friedliche Demonstranten inakzeptabel sei und die georgische Regierung den Willen des georgischen Volkes sowie die georgische Verfassung respektieren sollte. Man werde gemeinsam mit den Mitgliedstaaten mögliche Konsequenzen erörtern. Als konkrete Beispiele nannte Kallas Sanktionen, aber auch Einschränkungen bei der Visavergabe.

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