Wie krank ist er? Bald schon lebensbedrohlich? Oder geht es ihm gar nicht so schlecht, das vermuten jedenfalls seine politischen Gegner. Michail Saakaschwili, der ehemalige Präsident von Georgien, so kennt man ihn seit Jahren: fast zwei Meter groß, ein kräftiger, vital wirkender Mann. Jetzt gibt es diese Bilder von ihm, zugeschaltet per Video in einen Gerichtssaal: unrasiert und mit zerzaustem Haar im Krankenbett, das Gesicht schmal geworden, er wirkt schwach. Saakaschwili ist deutlich abgemagert, das lässt sich nicht übersehen. Innerhalb eines Jahres hat er 41 Kilogramm verloren.
Saakaschwili war 2018 in Abwesenheit zu sechs Jahren Haft verurteilt worden, weil er während seiner Präsidentschaft von 2004 bis 2013 seine Macht missbraucht habe. Seine Unterstützer und er selber vermuten, dass das Urteil politisch motiviert war. Als er im vergangenen Herbst überraschend zurück in sein Heimatland reiste, wurde er festgenommen.
In der Haft verschlechterte sich sein Gesundheitszustand, mehrmals trat er in einen Hungerstreik, im Mai wurde Saakaschwili von einer Militärklinik in ein ziviles Krankenhaus in der Hauptstadt verlegt. Ein vom Lager des Ex-Präsidenten beauftragtes amerikanisches Ärzteteam schrieb Anfang Dezember in einem Bericht von einer wahrscheinlichen Vergiftung mit Schwermetallen, auch von einer ungesunden Mischung von Medikamenten ist die Rede, von Muskelschwund, Magersucht und Blutarmut. Vor wenigen Tagen ist er 55 Jahre alt geworden. Seit Wochen ist sein Gesundheitszustand ein großes Thema in Georgien, und nicht nur dort.
Die Botschafter der Europäischen Union und der USA in Tiflis zeigten sich besorgt und riefen die georgische Regierung dazu auf, die Rechte des angeschlagenen Ex-Präsidenten zu schützen. Das EU-Parlament forderte seine Freilassung. Die moldauische Präsidentin Maia Sandu schrieb auf Twitter ebenfalls, sie sei "tief besorgt", die Schwere der Situation mache es nötig, Saakaschwili sofort in ein geeignetes Krankenhaus zu bringen, "um sein Leben zu retten".
Trotz des Kriegs schaltet sich auch Selenskij in die Debatte ein
Sogar der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij, der schon genug damit zu tun hat, sein Land gegen den Raketenregen aus Russland zu schützen, schaltete sich neulich in die Debatte ein. "Gnade ist nötig, besonders vor Weihnachten", sagte Selenskij kurz vor dem Fest in einer Videobotschaft. "Was mit Michail passiert, ist eine Grausamkeit. Das passt nicht zu Georgien, das muss beendet werden." Er bot sogar an, Saakaschwili in ein ukrainisches Krankenhaus zu bringen, in ein anderes europäisches Land, oder in die USA.
Die georgische Regierungspartei "Georgiens Traum" dagegen hält die Besorgnis erregenden Berichte für übertrieben. Sie ließ ein Video veröffentlichen, das Saakaschwilis aggressives Verhalten gegenüber dem Klinikpersonal zeigen soll. Nach einem Bericht von Eurasianet.org sagte Georgiens Parlamentspräsident Shalva Papuaschwili: "Die Ärzte und der Staat wollen Michail Saakaschwili gesund sehen, damit er die verbleibenden fünf Jahre Haft für die begangenen Verbrechen verbüßen kann." Die Regierung lehnt bisher ab, dass der ehemalige Präsident ins Ausland gebracht wird.
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Saakaschwili war nach einer Revolution mit großen Hoffnungen Präsident geworden. Er war in den USA zum Juristen ausgebildet worden und stand für radikale Reformen bei Polizei und Justiz, die Alltagskorruption zunächst so gut wie beseitigten. Seine letzten Amtsjahre galten allerdings als zunehmend autoritär, geprägt auch von Massenprotesten. Dennoch, der friedliche Machtwechsel 2012 nach der eingestandenen Niederlage seiner Regierungspartei wurde als großer Sieg der georgischen Demokratie gewürdigt.
Das Musterland fällt hinter die Ukraine und Moldau zurück
In den vergangenen Jahren allerdings hat sich die innenpolitische Stimmung verschlechtert, Regierung und Opposition, die der Führung einen zu russland-freundlichen Kurs vorwirft, stehen sich kaum versöhnlich gegenüber. Die Stimmung ist gereizt. Der Fall Saakaschwili wirkt aus Sicht der EU nun wie eine Bestätigung dafür, wie polarisiert die Lage in dem Kaukasusstaat ist. Als die Europäische Union im Frühsommer der Ukraine und der Republik Moldau den Status von Beitrittskandidaten gab, blieb ausgerechnet Georgien, das einstige Musterland aus Brüsseler Sicht, einen Schritt zurück. Es erhielt eine Beitrittsperspektive, aber noch keinen Kandidatenstatus. Dazu muss das Land unter anderem erst die Unabhängigkeit der Justiz sichern, den Kampf gegen die Korruption stärken und sich bemühen, das politische Klima zu verbessern.
Nach Letzterem sieht es derzeit nicht aus. Am Mittwoch, einen Tag vor einer weiteren Anhörung Saakaschwilis, wollte der Chef der Regierungspartei, Irakli Kobachidse, auf den Fall des inhaftierten Michail Saakaschwili erst gar nicht groß eingehen. Er sprach lediglich von einer "Simulation"; sie solle nur dazu führen, dass Präsidentin Salome Surabischwili den Ex-Präsidenten begnadigt.