Süddeutsche Zeitung

Georgien:Nichts als Konflikte

Die Untersuchungshaft gegen den Chef der größten Oppositionspartei ruft Demonstranten auf den Plan. Und sogar der Premierminister tritt zurück, um weitere "Polarisierung" zu vermeiden. Das Gegenteil dürfte der Fall sein.

Von Silke Bigalke, Moskau

Der Oppositionsführer soll in Haft, der Premier tritt zurück. In der georgischen Regierungskrise ist keine Lösung absehbar. Das ist wohl der Hauptgrund dafür, dass Georgij Gacharija den Premierposten am Donnerstag aufgegeben hat. Er wolle so die "Polarisierung in der politischen Landschaft" Georgiens mindern, erklärte er. Konfrontation sei das größte Risiko für sein Land und seine wirtschaftliche Entwicklung.

Tatsächlich hat es seit den Parlamentswahlen im Oktober nichts als Konflikte gegeben. Damals hatte die Partei des Premiers, Georgischer Traum, deutlich gewonnen, doch die Opposition hält die Abstimmung für manipuliert. Auch Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und von Transparency International bemängelten Unregelmäßigkeiten, Wähler seien unter Druck gesetzt worden. Hunderte protestierten damals in Tiflis gegen das Wahlergebnis. Die Abgeordneten der Opposition boykottieren seither das neue Parlament. Mehrere Gespräche zwischen ihnen und der Regierung führten zu nichts.

Der Konflikt gipfelte stattdessen am Mittwoch in der Entscheidung das Stadtgerichts in Tiflis, den Chef der größten Oppositionspartei Vereinte Nationale Bewegung in Untersuchungshaft zu nehmen. Nika Melija wird vorgeworfen, die Massenproteste in Tiflis im Sommer 2019 organisiert und damit Gewalt provoziert zu haben. Damals blockierten Demonstrierende das Parlamentsgebäude und forderten der Rücktritt der Regierung, schon zu dieser Zeit war Georgij Gacharija Premierminister. Protestierende versuchten auch, das Parlamentsgebäude zu stürmen. Dutzende Menschen wurden verletzt, als die Polizei die Proteste niederschlug.

Die Regierung machte schließlich Zugeständnisse, um die Lage zu beruhigen: Sie reformierte das Wahlsystem, was die Opposition seit Langem gefordert hatte. Die nun umstrittene Wahl im Oktober 2020 erfolgte nach den neuen Regeln.

Wird der neue Premier nicht bestätigt, gibt es Neuwahlen

Das Strafverfahren gegen Nika Melija begann also bereits im Sommer 2019, er und seine Partei halten es für politisch motiviert. Damals kam er gegen Kaution frei, er hat aber laut Staatsanwalt gegen die Kautionsauflagen verstoßen. Deswegen forderte sie nun seine Festnahme, am Mittwoch gab das Gericht dem statt. Zuvor hatte das Parlament bereits dafür gestimmt, Melijas Immunität als Abgeordneter aufzuheben. Georgischen Medien zufolge protestierten 200 Menschen vor dem Sitz der Oppositionspartei gegen die Festnahme.

Premier Georgij Gacharija sagte am Donnerstag, er sei mit seiner eigenen Partei uneinig über den Fall von Nika Melija gewesen und deswegen zurückgetreten. Melija habe zwar im Sommer 2019 die "Invasion des Parlaments" organisiert und Georgiens Gesetze ohnehin nie respektiert. Ihn nun aber festzunehmen sei nicht akzeptabel, "wenn dadurch die Gesundheit, das Leben unserer Bürger oder die Möglichkeit einer politischen Eskalation im Land riskiert wird". Die Spitze der regierenden Partei Georgischer Traum hat am Donnerstag bereits einen neuen Kandidaten für den Premierposten aufgestellt, den bisherigen Verteidigungsminister Iraklij Garibaschwili. Das Parlament muss ihn innerhalb von zwei Wochen bestätigen, sonst gibt es Neuwahlen.

Die wünscht sich vor allem Oppositionsführer Nika Melija. Er erklärte am Donnerstag, er wolle gemeinsam mit allen Oppositionsparteien und der Regierung über eine vorgezogene Abstimmung verhandeln. Seine Festnahme hat das Innenministerium nach dem Rücktritt des Premiers vorerst verschoben.

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