Das Schlachtfeld, die Artillerie-Geschosse, die Raketeneinschläge, alles ist schon wieder Schall und Rauch: von vielen vergessen und verdrängt. Manche wollen sogar noch nie davon gehört haben. Sehr kurz war der Krieg zwischen Russland und Georgien, der in der Nacht auf den 8. August 2008 begann und fünf Tage dauerte.
Aber überraschend ist es doch, was das russische Umfrageinstitut Lewada jetzt bekannt gab: dass fast 20 Prozent der befragten Russen von dem Krieg vor genau zehn Jahren gar nichts wüssten und 56 Prozent lediglich davon "irgendetwas gehört" hätten. In Russland würden Medien eben nur spärlich über Georgien berichten, sagte Lewada-Leiter Lew Gudkow. Einerseits.
Andererseits, in Georgien nämlich, wird die Erinnerung sehr wach gehalten, durch mehr als 20 000 Flüchtlinge, durch eine umstrittene Grenzlinie und durch die Regierung, die den Verlust von einem Fünftel des Staatsgebietes beklagt. "Wir sollten keine Angst haben, die Dinge beim Namen zu nennen", sagte am Dienstag Präsident Giorgi Margwelaschwili. "Das, was Russland gegen einen souveränen Staat tut, ist ein Krieg zwischen Russland und Georgien, eine Aggression, eine Besetzung und ein schwerer Verstoß gegen das Völkerrecht."
Jens Stoltenberg im Interview:"Wir wollen keinen Kalten Krieg"
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg setzt im Verhältnis zu Russland auf die Geschlossenheit der Allianz und auf Dialog. Er glaubt nicht daran, Russland isolieren zu können. Von Deutschland erwartet der Norweger eine stärkere Führungsrolle in der Sicherheitspolitik.
Georgiens damaliger Staatschef Michail Saakaschwili hatte sich im August 2008 nach Spannungen und gewaltsamen Zwischenfällen zu einem Angriff auf die südossetische Hauptstadt Zchinwali und einige umliegende Dörfer in der abtrünnigen georgischen Region hinreißen lassen. Er endete mit einer schweren Niederlage Georgiens. Hunderte Menschen starben, Tausende sind geflüchtet. Russische Truppen stießen weit auf georgisches Gebiet vor, Abchasien und Südossetien spalteten sich ab und werden nun praktisch von Russland mithilfe von Soldaten und staatlicher Unterstützung kontrolliert.
Moskau hat die von Abchasien und Südossetien erklärte Unabhängigkeit anerkannt, und wenn ihm auch lediglich Venezuela, Nicaragua, der Pazifikstaat Nauru und seit 2018 Syrien folgten, so hat Tiflis die Kontrolle über diese Gebiete doch längst verloren.
Putin warnte "vor aggressiven Schritten"
Georgien sieht seinen Schutz seitdem im Westen. Vor wenigen Tagen bedankte sich Ministerpräsident Mamuka Bachtadse bei mehr als 1500 Soldaten aus Nato-Ländern für ihre Teilnahme an der Militärübung "Noble Partner". Für den Kaukasus-Staat hat die Zusammenarbeit mit der Allianz größte Bedeutung: Georgien engagiert sich bei der "Resolute Support"-Mission in Afghanistan, ein Beitritt in die Nato ist erklärtes Ziel, das Premier Bachtadse noch einmal unterstrichen hat. "Das wäre nicht nur im Interesse Georgiens und Europas, es wäre auch im besten Interesse der Region, ja auch Russlands", sagte er. "Es würde die Region wohlhabender, berechenbarer und sicherer machen."
Tiflis kann dabei auf eine Zusage der Allianz pochen, die Generalsekretär Jens Stoltenberg und US-Vizepräsident Mike Pence zum 10. Jahrestag des Krieges wiederholt haben. Eines Tages werde Georgien der Nato beitreten. Es sei eine souveräne, unabhängige Nation, die das Recht habe, "über ihren Weg selber zu entscheiden", sagte Stoltenberg. Soweit die Theorie.
Praktisch ist nicht absehbar, wann trotz allen Nato-Lobes das Land aufgenommen wird. Der Grund liegt in Moskau, das zwar aus Sicht des Westens kein Vetorecht, aber durchaus eine klare Meinung zu all dem hat. Russlands Präsident Wladimir Putin warnte neulich "vor aggressiven Schritten" und drohte, dass ein Beitritt der Ukraine und Georgiens "ernste Konsequenzen" haben werde. Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew sagte am Dienstag der Zeitung Kommersant sogar, "ein Nato-Beitritt könnte einen schrecklichen Konflikt provozieren". Was das bedeutet, hat er natürlich nicht ausgeführt, aber die Botschaft scheint in Brüssel anzukommen: Versprechen und loben, aber nichts überstürzen. So bleibt Georgien in der Warteschleife.
Maria Sacharowa, die Sprecherin des russischen Außenministeriums, rief Tiflis auf, die Unabhängigkeit von Abchasien und Südossetien anzuerkennen. Immerhin hätten sich die Hoffnungen Georgiens und Russlands auf ein besseres Verhältnis "seit 2012 erfolgreich verwirklicht". Damals übernahm in Tiflis die Partei "Georgischer Traum" die Regierung, die einen moskaufreundlicheren, zumindest pragmatischeren Kurs genommen hat. Einige Sanktionen wurden aufgehoben, der Handel hat zugenommen, 2017 reisten mehr als eine Million russische Touristen in das Kaukasus-Land am Schwarzen Meer, Georgier liefern wieder Wein und Mineralwasser nach Russland.
Doch diplomatische Beziehungen haben beide Länder nicht aufgenommen. Medwedjew sagte jetzt, wenn Georgien bereit sei, könnten diese wiederhergestellt werden. Russlands Anerkennung von Abchasien und Südossetien als unabhängige Staaten müssten dem nicht im Wege stehen. Doch aus Sicht von Tiflis ist das nicht so einfach. Georgien betrachtet die Gebiete als "besetzte Gebiete", versperrt für Zehntausende Menschen, die überwiegend in Flüchtlingsdörfern leben.
Und Spannungen an der Grenze gibt es auch. Seit Jahren beklagen sich Georgier, dass über Nacht Zäune ein Stückchen weiter auf georgisches Gebiet geschoben würden, Grundstücke plötzlich geteilt seien. Die georgische Fotografin Tako Robakidze ist seit drei Jahren immer wieder an die Grenzlinie gefahren. Am Telefon erzählt sie von einem 84 Jahre alten Mann, der ein Grenzschild in seinem Pfirsichgarten entdeckt habe und nun auf der südossetischen Seite lebe.
Robakidze sprach mit dem Mann durch den Zaun hindurch. Sie sagt, "er weiß nicht, was er tun muss, was aus seiner Rente wird." Die Menschen lebten in ständiger Sorge. Immer wieder werden Anwohner wegen Übertritts über die Grenze festgehalten. Sie müssen sich mit ungefähr 30 Dollar auslösen.
Eine EU-Mission patrouilliert entlang der "administrativen Grenzlinie"
"Bauern haben in den vergangenen Jahren an Zugang zu ihrem Land verloren", sagt der Leiter der EU-Beobachtermission (EUMM), Erik Høeg, der Süddeutschen Zeitung. "Und von denen, die Zutritt haben, wollen manche ihren Boden gar nicht mehr kultivieren, aus Sorge vor einer Festnahme durch einen russischen Grenzschützer oder irreguläres Sicherheitspersonal."
Die EU-Mission patrouilliert mit 200 Beobachtern entlang der sogenannten administrativen Grenzlinie, versucht, Spannungen abzubauen, Streit zu lösen, Vertrauen zu schaffen, nimmt über eine Hotline Klagen und Bitten entgegen - 1436 in diesem Jahr. Høeg beschreibt die Lage als "relativ ruhig", aber er sagt auch, die Grenzlinie sei durch "die starke Kontrolle von Sicherheitsleuten in Abchasien und Südossetien und den zunehmenden Bau von Barrieren undurchlässiger geworden." Er verlangt weiteren Einsatz "aller Parteien", um solche Vorfälle beizulegen. "Sonst könnte der Konflikt wieder anschwellen."