Georgien:Im Abwärtssog

Chkadua, holding her nephew Misha, walks between abandoned buses which are used as shelter by her family in Tbilisi

Eine halbe Million Georgier lebt unter der Armutsgrenze - so wie Kristine Chkadua und ihr Neffe Misha in einem Elendsviertel von Tiflis.

(Foto: David Mdzinarishvili/Reuters)

Der georgische Premier tritt zurück - warum, das weiß keiner so recht. Steckt ein Milliardär dahinter, der in dem Land die Fäden zieht?

Von Julian Hans, Moskau

Warum der georgische Premierminister sein Amt aufgab, wurde auch aus der Rede nicht richtig klar, mit der Irakli Garibaschwili am vergangenen Mittwoch überraschend seinen Rücktritt erklärte. Er habe Frieden, Stabilität, Rechtsstaat und Menschlichkeit gefördert, hieß es darin recht allgemein, und Georgien seinen Platz als Brücke zwischen Russland und Europa wiedergegeben. Aber ein Amt sei eben kein Selbstzweck, "deshalb habe ich die Entscheidung getroffen, heute vom Posten des Premierministers zurückzutreten".

Daran, dass der 33-Jährige diese Entscheidung wirklich selbst getroffen hat, zweifeln in Tiflis nicht nur die Gegner der Regierung. Gleich zwei Mal erwähnte er in der Rede Bidsina Iwanischwili, den Gründer des Parteienbündnisses "Georgischer Traum" und sein Vorgänger, von dem er vor zwei Jahren das Amt übernommen hatte. Bis heute soll der Milliardär bei allen wichtigen Entscheidungen mitreden.

Mit 31 Jahren wurde Garibaschwili im November 2013 jüngster Regierungschef Europas. Seine Regierung hat zwar ihre Versprechen wahr gemacht, der bisweilen autoritäre Züge annehmenden Herrschaft von Präsident Michail Saakaschwili ein Ende zu setzen und zugleich den Kurs in Richtung Europa und Nato-Beitritt beizubehalten. Darüber hinaus konnte sie aber nur wenige Ideen entwickeln, die das Land mit 4,5 Millionen Einwohnern im Südkaukasus voranbringen.

Im Abwärtssog der russischen Wirtschaft wird das Bruttoinlandsprodukt der ehemaligen Sowjetrepublik 2015 nicht wie ursprünglich prognostiziert fünf, sondern wahrscheinlich nur 2,8 Prozent wachsen. Der Verfall des Rubels hat auch die Landeswährung Lari erfasst. Die Preise steigen ebenso wie die Arbeitslosigkeit, die offiziell bei 15 Prozent liegt, tatsächlich aber deutlich höher sein dürfte.

Dass Georgien unter Garibaschwili ein Assoziationsabkommen mit der Europäischen Union unterzeichnete und die EU den Georgiern von 2016 an visafreie Einreise in Aussicht stellt, wird zwar von der Mehrheit der Bevölkerung begrüßt. Solange sich das aber nicht konkret auf die Lebensverhältnisse auswirkt, wächst die Unzufriedenheit. In Umfragen verlor der Georgische Traum kontinuierlich, die Nationale Bewegung - die Partei von Michail Saakaschwili - konnte wieder zulegen.

Ein Jahr vor der nächsten Parlamentswahl soll nun ein neuer Mann an der Spitze der Regierung wieder Auftrieb geben. Der saß allerdings auch schon in der alten: Am Wochenende nominierte das Bündnis Georgischer Traum den derzeitigen Außenminister Giorgi Kwirikaschwili als neuen Premier. Das Parlament soll ihn an diesem Dienstag bestätigen. Vorerst kündigte er an, mit der alten Mannschaft weiterregieren zu wollen.

Wie Garibaschwili hat auch der designierte Nachfolger Kwirikaschwili für das Wirtschaftsimperium des Milliardärs Iwa-nischwili gearbeitet, bevor er in die Politik ging. Von 2006 bis 2011 war er Direktor von dessen Cartu Bank. 2012 übernahm er unter Iwanischwili das Wirtschaftsministerium, bevor er vor einem Jahr in das Außenamt wechselte. Die georgische Verfassung verlangt, dass bei einem Rücktritt des Premiers das ganze Kabinett neu gewählt werden muss. Dank der Mehrheit des Georgischen Traums im Parlament gilt die Wahl des 48-jährigen Kwirikaschwili und der übrigen Minister als sicher.

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