Georgien:In der Zwickmühle

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Acht von zehn georgischen Bürgern möchten ihr Land in der EU sehen. Viele von ihnen gehen seit Wochen gegen ein umstrittenes Gesetz auf die Straße. (Foto: Shakh Aivazov/dpa)

Beitrittskandidat Georgien verabschiedet ein Gesetz, das die Werte der EU mit Füßen tritt. Doch in Brüssel verhindern Ungarn und die Slowakei zunächst eine scharfe Reaktion. Wie geht es jetzt weiter?

Von Hubert Wetzel, Brüssel

Schweigen beinhaltet manchmal auch eine Aussage. Und die Stille, mit der die EU am Montag zunächst die Verabschiedung des sogenannten Gesetzes über die Transparenz von ausländischem Einfluss in Georgien zur Kenntnis nahm, zeigte: Europa war - mal wieder - gespalten. Denn während eine Mehrheit der 27 EU-Länder in dem Gesetz durchaus einen direkten Angriff auf die demokratischen und rechtsstaatliche Normen und Werte der Europäischen Union sah, durch den der Beitrittsprozess Georgiens ernsthaft in Gefahr gerät, stemmten sich dem Vernehmen nach zwei Länder dagegen, dieses Missfallen gegenüber Tiflis auch genau so zu kommunizieren.

Diplomaten zufolge blockierten Ungarn und die Slowakei am Montag eine bereits vorbereitete harte Erklärung, in der die gesamte EU die georgische Regierung geschlossen vor unerfreulichen Konsequenzen warnte. Erst am Dienstag, als die Stille in Brüssel zu peinlich wurde, durfte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sich äußern. Er veröffentlichte - allerdings nur in seinem eigenen Namen und dem der EU-Kommission - eine Stellungnahme, in der er die Regierung in Tiflis wissen ließ, dass das Gesetz Georgiens EU-Beitrittsaussichten "negativ beinflusst" und sie es zurücknehmen solle.

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Acht von zehn Georgiern wollen in die EU, auch die Regierung strebt offiziell dieses Ziel an. Trotzdem verabschiedet sie zum Entsetzen der Bürger am Dienstag ein repressives Gesetz, das Brüssel nur erzürnen kann. Was steckt dahinter?

Von Silke Bigalke und Hubert Wetzel

Ganz überraschend war das Verhalten der Regierungen in Budapest und Bratislava nicht. Die dortigen Premierminister, Viktor Orbán und Robert Fico, sind Anhänger eines eher autokratischen Regierungsstils. Zudem vertreten sie in der EU einen deutlich freundlicheren Kurs gegenüber Russland als die anderen Mitgliedsländer.

Die EU kann Georgien den Kandidatenstatus kaum aberkennen

Das georgische Gesetz wiederum wird dort als "russisches Gesetz" bezeichnet. Es verpflichtet Nichtregierungsorganisationen analog zu entsprechenden Vorschriften in Russland dazu, sich als "Organisation unter ausländischem Einfluss" zu registrieren, wenn sie mehr als ein Fünftel ihrer Finanzierung aus dem Ausland erhalten. Damit hat das Gesetz das Potenzial, die georgische Zivilgesellschaft, die auf finanzielle Unterstützung aus dem Westen angewiesen ist, auf ähnliche Weise zu kontrollieren, wie es das russische Gesetz tut. Insofern ist die Feststellung wohl nicht übertrieben, dass Orbán und Fico mit dem georgischen Gesetz wenig Probleme haben. Ihre Motivation, eine scharfe Verurteilung durch die EU zuzulassen, die Tiflis beeindrucken könnte, hielt sich daher in Grenzen.

Die Stellungnahme, die Borrell am Dienstag veröffentlichen durfte, brach zwar das Brüsseler Schweigen. Sie löst allerdings nicht das Dilemma, in dem die EU mit Blick auf Georgien steckt.

Klar dürfte nun einerseits sein: Die erst im Dezember 2023 von der EU beschlossene Hochstufung Georgiens zu einem offiziellen Beitrittskandidaten ist de facto von der Realität überholt worden. Momentan ist nicht ersichtlich, wie die EU mit einer Regierung Beitrittsverhandlungen führen kann, die wissentlich und auf höchst provokante Art gegen grundlegende Werte der Union verstoßen hat. Denn auf Unwissenheit kann Tiflis sich nicht berufen: Schon vorige Woche haben zwölf EU-Außenministerinnen und -minister, darunter die Deutschlands, Frankreichs und Polens, in einem Brief an Borrell klargemacht, dass das georgische Gesetz "unvereinbar ist mit Fortschritten auf dem Weg Georgiens in die EU". Diese Formulierung verwendete Borrell auch am Dienstag.

Andererseits kennt man in Brüssel die Umfragen, wonach acht von zehn georgischen Bürgern ihr Land in der EU sehen wollen. Auch geopolitische Gründe sprechen für eine Anbindung des Staats im Kaukasus an Europa. Die EU kann Georgien also kaum den Kandidatenstatus wieder aberkennen - das wäre sowohl eine unerwünschte Bestrafung jener Georgier, die mit EU-Flaggen gegen ihre eigene prorussische Regierung demonstrieren, als auch ein Verstoß gegen eigene sicherheitspolitische Interessen. Diplomaten erwarten daher, dass die EU zumindest bis Oktober abwartet. Dann finden in Georgien Wahlen statt, danach könnte die Lage klarer sein.

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