Georgien:Schlag gegen die Freunde Europas

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Sie schützen sich hinter einer EU-Flagge: Demonstranten vor dem Parlament in Tiflis suchen Deckung vor Wasserwerfern und Tränengas. (Foto: Zurab Tsertsvadze/dpa)

Georgiens Führung stoppt die EU-Beitrittsgespräche. Zehntausende protestieren, und sogar Diplomaten wenden sich ab vom Kurs der Regierung, die den europäischen Traum vieler Menschen zerstören will.

Von Frank Nienhuysen

Der Protest war schon abgeflaut, wie schwierig war es doch für Georgiens Opposition geworden, mehr als vier Wochen nach der Parlamentswahl immer wieder Menschen für Demonstrationen zu motivieren. Am Donnerstagabend fanden sie einen neuen Anlass. Da traf sich Ministerpräsident Irakli Kobachidse mit seinem Regierungsteam und der Fraktion der Regierungspartei Georgischer Traum. Danach gab es ein Briefing in der Parteizentrale – und dann die zündende Botschaft: Georgien will bis Ende 2028 nicht mehr mit der Europäischen Union über einen Beitritt verhandeln.

Wie Kobachidse dies begründete, zeigt, wie weit sich Georgiens Regierung von Brüssel entfernt hat. Von Erpressung durch die EU sprach der Premier, Integration sei keine milde Gabe von Brüssel. Kobachidse sagte, sein Land wolle für die nächsten vier Jahre auch keine Haushaltszuschüsse von der EU annehmen. Es klang wie ein Bruch mit Europa, wie ein Ende des europäischen Wegs, und so war es wohl auch gemeint. Denn die georgische Verfassung sieht die Integration nach Europa und den EU-Beitritt als Ziel ausdrücklich vor. Vielleicht beteuerte der Premier auch deshalb noch immer, dass Georgien 2030, dann „mit Würde“, der EU beitreten werde. Realistisch ist das nicht. Der EU-Botschafter in Georgien, Paweł Herczyński, sagte, die Entscheidung der georgischen Regierung sei „herzbrechend“ und „traurig“.

Das Land sei dabei, seine Unabhängigkeit an Russland zu verlieren, sagt Georgiens regierungskritische Präsidentin Salome Surabischwili. (Foto: Zurab Tsertsvadze/dpa)

Kaum war die Nachricht vom Verzicht auf Verhandlungen heraus, begannen in mehreren georgischen Städten Demonstrationen, in Gori, Batumi, Kutaissi, Sugdidi. Allein in der Hauptstadt Tiflis haben nach georgischen Medienberichten mehrere Zehntausend Menschen protestiert. Es gab Ausschreitungen, Barrikaden wurden angezündet, die Polizei setzte Wasserwerfer ein und Tränengas. Es gab Festnahmen, zum Teil gewaltsam. Videos zeigen, wie mehrere Sicherheitskräfte auf einen bereits festgenommenen Mann eintreten und ihn wegzerren.

Die Präsidentin spricht von einem „konstitutionellen Putsch“

Die Nachrichtenplattform Jam News berichtete, dass maskierte Spezialkräfte gezielt Journalisten angegriffen hätten. Guram Rogawa vom Sender Formula TV sei „brutal geschlagen“ worden und habe mit einer Kopfverletzung ins Krankenhaus gebracht werden müssen. Auch ein Reporter des Online-Mediums Publika sei verletzt worden, und eine Journalistin von Jam News. Elene Khoshtaria, einer der führenden Politikerinnen des Oppositionsbündnisses „Koalition für den Wandel“, sei wahrscheinlich ein Arm gebrochen worden, berichteten mehrere georgische Medien. Das georgische Innenministerium wiederum teilte mit, mehr als 40 Menschen seien wegen „Rowdytums“ festgenommen, 32 Polizisten in der Nacht verletzt worden.

Ganz vorn bei den Demonstrationen am Donnerstagabend war auch die georgische Präsidentin Salome Surabischwili. Sie warf der Regierung einen „konstitutionellen Putsch“ vor. Georgien sei dabei, seine Unabhängigkeit an Russland zu verlieren. Surabischwili gehört zu den schärfsten Kritikern der Regierung, die in den vergangenen Jahren das Verhältnis zu Russland deutlich verbessert hat. Die Staatschefin setzt sich seit Jahren für den Beitritt Georgiens in die Europäische Union ein, musste zuletzt aber erleben, wie die Regierung in Tiflis das Land immer weiter davon abrückt.

Die Wahlen vor wenigen Wochen waren geprägt von Vorwürfen des Betrugs und Stimmenkaufs

Die offiziellen Ergebnisse der Parlamentswahl Ende Oktober erkennt Surabischwili nicht an. Die Wahl war geprägt von Vorwürfen des Betrugs, Stimmenkaufs und einem Klima der Einschüchterung durch staatliche Behörden. Vor wenigen Tagen forderte das EU-Parlament Tiflis auf, die Abstimmung innerhalb eines Jahres wiederholen zu lassen.

Die Polizei führt eine Demonstrantin in Tiflis ab, die Festnahmen verlaufen zum Teil brutal. (Foto: Zurab Tsertsvadze/dpa)

Im Juni hatte die EU bereits den Status Georgiens als Beitrittskandidat ausgesetzt. Grund war der autoritäre Kurs der Regierung, die trotz aller Warnungen der Europäer ein Gesetz über „ausländischen Einfluss“ verabschiedet hatte, das viele Georgier einfach nur das „russische Gesetz“ nennen. Denn es erinnert stark an das „Agentengesetz“ in Russland, mit dem dort seit Jahren die Zivilgesellschaft zunehmend drangsaliert wird. Auch die drastische Einschränkung von LGBTQ-Rechten in Georgien verstößt gegen die Prinzipien in der EU, der das Land ja offiziell beitreten will.

Am Freitag ging die Machtprobe in Tiflis weiter. Gleich mehrere private Universitäten schlossen aus Protest und setzten zeitlich befristet ihren Betrieb aus. Beunruhigend für die Regierung dürfte sein, dass spontan 130 georgische Diplomaten einen Protestbrief gegen den Abbruch von Verhandlungsgesprächen mit der EU unterzeichnet haben. Viele von ihnen gehören Abteilungen an, die sich mit der europäischen Integration beschäftigen.

Der georgische Botschafter in Bulgarien kündigte am Freitag sogar seinen Rücktritt an. Während seines langen diplomatischen Dienstes habe er sich immer zusammen mit seinen Kollegen für den euroatlantischen und den EU-Integrationsprozess engagiert, schrieb Otar Berdsenischwili auf X. „Unsere unermüdlichen Bemühungen dürfen mit keinen Mitteln untergraben werden.“ Präsidentin Surabischwili äußerte sich am Freitag etwas fordernder. Sie erwarte jetzt eine starke Reaktion aus den europäischen Hauptstädten.

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