Süddeutsche Zeitung

Georgien:"Der Krieg war vermeidbar"

Parlamentspräsidentin Nino Burdschanadse räumt ein, dass Georgien im Konflikt mit Russland Fehler begangen hat. Dennoch pocht sie auf die territoriale Souveränität ihres Landes.

S. Zekri

Nino Burdschanadse ist nicht neu in der georgischen Politik, und dass sie heute als Hoffnungsträgerin gilt, zeigt vor allem, wie wenig seriöse Figuren es in der Opposition gibt. Sie war Parlamentspräsidentin unter Präsident Eduard Schewardnadse, betrieb seinen Sturz in der Rosenrevolution 2003 und wurde erneut Parlamentspräsidentin unter Präsident Michail Saakaschwili, mit dem sie sich im Frühjahr entzweite.

SZ: Sie waren in Amerika und Deutschland. Was war Ihre Botschaft?

Burdschanadse: Dass man zwei Fragen auseinanderhalten muss: Jene, ob der Krieg hätte verhindert werden können, und jene nach der territorialen Souveränität Georgiens. In einigen Ländern herrscht die Meinung, dass man sich für die territoriale Unversehrtheit Georgiens nicht engagieren will, wenn sich herausstellt, dass Tiflis einen Fehler gemacht hat. Aber selbst wenn, wäre dies nicht der Fehler des georgischen Volkes.

SZ: Hätte Georgien den Krieg vermeiden können?

Burdschanadse: Im Moment habe ich den Eindruck: Ja. Die Osseten haben georgische Dörfer bombardiert. Aber warum haben wir darauf reagiert? Wer hat den Präsidenten in dieser Nacht beraten? Ich habe oft davor gewarnt, dass Russland einen Krieg benutzen wird, um uns als Aggressor darzustellen.

SZ: Sie haben als Parlamentspräsidentin Saakaschwilis konfrontative Politik gegenüber Russland gestützt.

Burdschanadse: Ich will mich von den Fehlern der vergangenen vier Jahre nicht distanzieren. Die Konfrontation mit Russland war unausweichlich, weil wir in die Nato und die EU wollen. Aber der Krieg war vermeidbar.

SZ: Nun gründen Sie eine Partei.

Burdschanadse: Ja, eine Partei der Mitte mit liberalen und demokratischen Prinzipien. Aber noch fordere ich keine Neuwahlen. Erst will ich Antworten.

SZ: Wird Ihre Partei den Menschen erklären, dass Abchasien und Südossetien verloren sind?

Burdschanadse: Das werde ich nie sagen. Abchasien und Südossetien sind nicht "Territorien" Georgiens, sie sind Georgien - Teil unserer Seele, unserer Herzen. Natürlich ist eine Lösung in drei, vier Jahren nicht realistisch. Aber wir müssen den Osseten erklären, dass sie von Russland für ein geopolitisches Spiel benutzt wurden.

SZ: Wie wollen Sie das tun?

Burdschanadse: Deshalb: Bitte, Europäer und Amerikaner, lassen wir die gesamte Bevölkerung dieser Gebiete entscheiden - alle Menschen, die vor dem Krieg in den Neunzigern in Südossetien gelebt haben!

SZ: Das ist illusorisch.

Burdschanadse: Aber es entspricht dem Völkerrecht. Sonst werden ethnische Säuberungen an 300.000 Menschen legalisiert.

SZ: Die EU schickt Beobachter.

Burdschanadse: Dafür sind wir dankbar, aber es ist nicht genug. Wir wollen Einigkeit gegenüber Russland. Es geht um eine neue Weltordnung. Deshalb sollte Europa uns helfen, eine internationale Friedenstruppe in Abchasien und Südossetien zu installieren.

SZ: Derzeit scheint der Präsident von der Besatzung zu profitieren. Er zitierte eine Umfrage, nach der er 76 Prozent Zustimmung bekommt, Ihr Rating aber von 38 auf 30 Prozent gesunken ist.

Burdschanadse: Wieso macht er sich Sorgen über meine Popularität? Es gibt Wichtigeres.

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Quelle:
SZ vom 07.10.2008/gal
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