Süddeutsche Zeitung

Georgien:Brandgefährlich

Moldau, Abchasien, Südossetien und die Krim: Russland ist der weltweit größte Produzent eingefrorener Konflikte. Mit den wohldosierten militärischen Eingriffen kontrolliert Moskau seine Nachbarn.

Von Stefan Kornelius

Gerade hat die Welt einen Beleg dafür erhalten, dass eingefrorene, festsitzende Konflikte zwischen Staaten doch gelöst werden können. Am Roten Meer zeigten die Präsidenten Äthiopiens und Eritreas, dass Versöhnung möglich ist, wenn sie nur gewollt wird. Ein territoriales Tauschgeschäft, die bewusste Abkehr von Belagerung und Gewalt, kraftvolle Gesten der Verbrüderung - der frozen conflict zwischen den ostafrikanischen Erzfeinden mag 20 Jahre angehalten haben, nun wurde er in ein bisschen mehr als 20 Tagen aufgetaut.

Georgien wird auf diesen Moment wohl noch lange warten müssen. Der Krieg um Südossetien mit dem russischen Mutterland im Hintergrund liegt nun zehn Jahre zurück und liefert auch heute noch das wohl beste Anschauungsmaterial für einen Zustand unter Nachbarn, der mit Krieg oder Frieden nichts zu tun hat. Vielmehr beschreibt er den gefährlichen Schwebezustand in der Mitte.

Eingefrorene Konflikte sind nämlich alles andere als eisesstarr, wie der Begriff vermuten lässt. Sie sind brandgefährlich, weil ihre Protagonisten sich stets kurz unterhalb der offenen Gewaltanwendung begegnen. Bismarck inszenierte nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 die Krieg-in-Sicht-Krise, um seinen diplomatischen Spielraum im europäischen Kräftetableau auszuloten. Eingefrorene Konflikte wie der in Südossetien haben eine ähnliche Funktion: Sie dienen als Warnung vor der Einmischung Dritter und ermöglichen (in diesem Fall) Russland, die Nachbarschaft unter Kontrolle zu halten.

Moldau, Abchasien, Südossetien und nun die Krim und die Ostukraine: Russland ist der weltweit größte Produzent eingefrorener Konflikte, was nicht unbedingt auf umstrittene Territorialansprüche nach dem Zerfall der Sowjetunion schließen lässt. Im Gegenteil: Unter den Präsidenten Medwedew und Putin geriet der wohldosierte militärische Eingriff in die Nachbarschaft zum Ausdruck eines Machtverständnisses. Dieses Russland denkt in Einflusszonen, es sieht sich Bedrohungen ausgesetzt, die wiederum den hybriden Krieg mit dubiosen Kämpfern und die klandestine Destabilisierung der Nachbarschaft rechtfertigen sollen.

Eingefrorene Konflikte geben Russland die indirekte Kontrolle über die Nachbarn

Südossetien ist nicht zufällig vor zehn Jahren zum Konfliktherd geworden. Die Rosenrevolution fünf Jahre zuvor, die Demokratisierung und klare Orientierung gen Westen hin zur Nato verstärkten die Einkreisungsängste Moskaus und vor allem die Furcht vor der demokratischen Infizierung. Die Öffnung der Ukraine in Richtung Europäische Union löste die gleichen Reflexe aus. Heute sind sowohl die Ukraine wie auch Georgien mit ihren schwärenden Wunden im Staatsgebiet ein Stück weit bündnisuntauglich geworden. Eine Nato-Mitgliedschaft kann es bei ungelösten Territorialkonflikten nicht geben.

Anders als in Ostafrika werden sich die frozen conflicts in Russlands Nachbarschaft nicht durch einen Willensakt der politischen Führung lösen lassen. Nötig ist es vielmehr, Russland seine Einkreisungsängste zu nehmen - Einkreisungsängste, die aber auch vorgeschoben erscheinen, um das eigentliche Motiv für diese kalte Machtpolitik zu verschleiern. Russlands Grenze ist nämlich auch die Grenze zwischen konkurrierenden politischen Systemen. Putins Vertikale der Macht und die Idee des Machtausgleichs à la EU vertragen sich nicht. Die eingefrorenen Konflikte in der Ukraine und in Georgien zeugen davon.

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SZ vom 08.08.2018
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