USA:Eine Universität auf den Knochen der Sklaverei

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Die Georgetown-Universität gäbe es heute womöglich nicht mehr, hätten die Jesuiten seinerzeit nicht 272 Sklaven zu Geld gemacht. (Foto: Jacquelyn Martin/AP)
  • Um die Universität in Georgetown vor dem Ruin zu bewahren, haben Priester des Jesuiten-Ordens im 19. Jahrhundert 272 Sklaven verkauft.
  • Nun wollen Studenten einen Fonds für Reparationen an die Nachfahren einrichten, in den alle Studenten einzahlen. Aber nicht alle sind damit einverstanden.
  • Die Debatte zieht ihre Kreise auch außerhalb der Universität.

Von Alan Cassidy, Washington

In der Mitte des Campus der Georgetown-Universität, im nobelsten Viertel Washingtons, liegt ein Friedhof, der an die Geschichte der Hochschule erinnert. Die Grabsteine sehen fast alle gleich aus, schlicht und schmucklos, sie gehören zu den Priestern und Brüdern des Jesuiten-Ordens, die hier begraben liegen.

Die Jesuiten hatten Georgetown einst als erste katholische Universität in den USA gegründet. Im Jahr 1838 stand die Institution vor dem finanziellen Ruin, und um an flüssige Mittel zu kommen, entschieden sich die Priester, die 272 Sklaven zu verkaufen, die in ihrem Besitz standen. Das Geschäft sicherte der Universität die Zukunft - und verdammte die Sklaven zu einem Leben auf Plantagen im tiefsten Süden der USA.

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Es ist ein dunkles Kapitel in der Geschichte der Eliteuniversität, zu deren Abgängern der frühere US-Präsident Bill Clinton zählt, aber es ist eines, das die heutige Debatte über das Erbe der Sklaverei verändern könnte. Kürzlich beschlossen die Studenten von Georgetown in einer Abstimmung, einen Fonds für Reparationen einzurichten, um die schätzungsweise 8000 lebenden Nachfahren der damals verkauften Sklaven zu entschädigen. Jeder Student soll dazu pro Semester 27 Dollar und 20 Cents einzahlen. Ein Gremium aus Vertretern der Studentenschaft und der Nachfahren soll darüber entscheiden, wofür die Gelder eingesetzt werden. Zur Debatte steht zum Beispiel die Unterstützung von Infrastrukturprojekten in jener Gegend in Louisiana, in der noch heute viele Nachfahren leben.

Reparationen also - eine Forderung, die schon der Bürgerrechtler Martin Luther King erhoben hatte, werden gerade in neuer Dringlichkeit verhandelt. Würde der Fonds tatsächlich eingerichtet, wäre Georgetown die erste große Institution des Landes, die Reparationen entrichten würde.

In Umfragen lehnen zwei Drittel der US-Amerikaner Reparationen ab

Noch ist es nicht so weit: Die Abstimmung der Studenten ist nicht bindend, als nächstes muss jetzt die Schulleitung entscheiden, wie sie damit verfährt. Universitätspräsident John DeGioia lobte nach der Abstimmung das Engagement der Studenten und sagte, die Schule sei bereit, die "schwierigen Fragen" anzugehen, die sich dadurch stellten. Was das konkret heißt, ist derzeit aber nicht klar.

Die Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit begann an der Universität spät. Erst nachdem Bauarbeiter vor einigen Jahren bei Arbeiten auf dem Campus auf Knochen gestoßen waren, die sich als Überreste von begrabenen Sklaven herausstellten, setzte die Universität eine Untersuchungskommission ein, entschuldigte sich und erklärte sich bereit, für Nachfahren der Sklaven den Zugang zu einem der begehrten Studienplätze zu erleichtern.

Das sei nicht genug, findet Hannah Michael, eine schwarze Studentin, die zu den Initianten des Fonds gehört: "Die heutige Universität würde es ohne den Verkauf der Sklaven nicht geben." Die Idee des Fonds bestehe nicht darin, irgendjemanden zu bestrafen. Doch mit einem prestigeträchtigen Abschluss von Georgetown profitierten die Studenten bis heute vom Erbe der Sklaverei. "Es geht darum, dass wir unsere Ressourcen dazu nutzen, etwas zurückzugeben." Es sei auch nicht Aufgabe der Schulleitung alleine, für die Fehler der Vergangenheit geradezustehen: "Die Studenten stehen ebenso in der Pflicht."

Das sehen allerdings nicht alle so. "Die Universität alleine, nicht die Studentenschaft, hat die Verpflichtung, für ihre früheren Fehler zu bezahlen", schrieben zwei Gegner der Reparationen in der Studentenzeitung The Hoya. Es stimme, dass es die Universität ohne den Sklavenhandel von 1838 nicht mehr gäbe. "Doch die Studenten von heute trifft keine Schuld für die Sünden der Institution in der Vergangenheit." Andere finden, es sei falsch, dass auch afroamerikanische Studenten in den Fonds einzahlen müssten, zumal sich viele die jährlichen Studiengebühren von 55 000 Dollar ohnehin kaum leisten könnten. Ein Drittel der Studenten stimmte schließlich gegen den Fonds.

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Schon jetzt zieht die Debatte der Studenten Kreise außerhalb der Universität. Was in Georgetown geschehe, zeige, dass sich das politische Klima in Amerika verändere, sagte die Historikerin Marcia Chatelaindem Webmagazin Politico. Viele Leute kämen zum Schluss, dass es nicht mehr reiche, Rassismus verbal zu verurteilen: "Es geht jetzt darum, konkret Verantwortung zu übernehmen für frühere Entscheidungen, die bis heute nachwirken."

Tatsächlich hat das Thema auch den demokratischen Präsidentschaftswahlkampf erreicht. Cory Booker, einer der zwanzig Bewerber der Partei, reichte im Senat einen Gesetzesentwurf ein, der eine wissenschaftliche Untersuchung über die Reparationsfrage verlangt. Die wirtschaftliche Unterdrückung der Afroamerikaner habe mit der Abschaffung der Sklaverei 1865 nicht aufgehört, sagte er. Es habe in den vergangenen Jahrzehnten eine Vielzahl von rassistischen Strukturen gegeben, die diese Benachteiligung fortgeführt hätten. Reparationen seien ein Weg, um die Folgen dieser Politik zu korrigieren.

Neben Booker hat sich eine Reihe weiterer Präsidentschaftskandidaten für Reparationen ausgesprochen, darunter die Senatorinnen Kamala Harris und Elizabeth Warren und der ehemalige Kongressabgeordnete Beto O'Rourke. Das ist auch dem Druck der linken Parteibasis geschuldet, dem sich viele Kandidaten ausgesetzt sehen: Dort ist die Forderung populär. Bei den Amerikanern insgesamt sieht es allerdings anders aus. In den Umfragen lehnen zwei Drittel der Bevölkerung Reparationen ab, selbst unter Afroamerikanern spricht sich nur eine knappe Mehrheit dafür aus.

Was dabei genau unter Reparationen verstanden wird, wer Anspruch darauf hätte und in welcher Form sie geleistet würden: All dies wird in dieser Debatte kaum je klar, und der Weg von der Forderung zur politischen Realität scheint sehr weit. An der Georgetown-Universität hoffen die Studenten trotzdem, einen ersten Schritt gemacht zu haben.

© SZ vom 30.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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