Süddeutsche Zeitung

George H. W. Bush:Der Diplomat im Weißen Haus

Deutsche Einheit, Irakkrieg, das Ende des Kalten Krieges: George H. W. Bush war als US-Präsident mit gewaltigen Herausforderungen konfrontiert. Nun starb der Staatsmann, der Politik für schmutzig hielt, im Alter von 94 Jahren.

Nachruf von Sebastian Gierke

Ein Versager, wie es ihn selten gegeben hat in der langen Reihe der US-Präsidenten. Ein "One Term President", vier Jahre nur im Amt, nicht wiedergewählt. Einer, der es nie geschafft hat, aus dem Schatten seines Vorgängers zu treten, der seine Versprechen gebrochen hat. Und: ein Langweiler.

Das war lange das Bild, das die öffentliche Wahrnehmung von George Herbert Walker Bush bestimmte. Jetzt ist er, der die vergangenen Jahre an Parkinson gelitten hat, im Alter von 94 Jahren gestorben - und wird als einer der populärsten Präsidenten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in die US-Historie eingehen. Lange hat es keinen US-Präsidenten mehr gegeben, dessen Imagewandel nach der Amtszeit so tiefgreifend war.

In die Jahre 1989 bis 1993, die Jahre seiner Präsidentschaft, fallen politische Ereignisse von globaler Bedeutung: Das Ende des Kalten Krieges, die deutsche Wiedervereinigung und der erste Irakkrieg. Ohne George Bush an der Spitze der zumindest damals mächtigsten Nation der Welt, hätten diese Ereignisse eine andere, eine möglicherweise zerstörerische Wendung genommen. Denn Bush wusste, was Krieg bedeutet - und wie wichtig es ist, Dinge zum Positiven zu wenden.

Der 2. September 1944 war ein entscheidender Tag in seinem Leben. George Bush hatte gerade eine Bombe auf eine japanische Funkstation abgeworfen, als sein Flugzeug über dem Pazifik abgeschossen wird. Der Lieutenant Junior Grade rettet sich aus dem Flugzeug per Fallschirm, die drei anderen Soldaten im Flugzeug schaffen es nicht. Drei Stunden schwimmt Bush durch den Ozean, hinter ihm ein japanisches Schiff. Erst dann nimmt ihn ein US-amerikanisches U-Boot auf.

Kein typischer Politiker

Dieser Schock, der Tod der Kameraden, die drei Stunden im Wasser, die Angst vor dem eigenen Tod - all das hat das Leben von George Bush geprägt.

Bush war kein typischer Politiker. Im Kern seines Wesens wollte er mit der Politik nichts zu tun haben. Er hielt sie für eine schmutzige, eine unfaire Sache. Aber eben eine, die man mitmachen musste. So lange, bis man Präsident ist, also in einem Amt, das einen aus all dem Schmutz und der Unfairness erhebt.

Er war ein Mann mit Prinzipien, angetrieben vom Konkurrenzdenken, er wollte es allen zeigen. Vor allem seinem Vater Prescott Bush, für ihn eine überlebensgroße Figur, der als Investor und im Ölgeschäft ein Vermögen gemacht hat.

Deshalb lehnte Bush am Tag nachdem er sein Studium an der Eliteuniversität Yale abgeschlossen hatte, ein Angebot ab, das ihn nach New York geführt hätte, an die Wall Street. Bush hätte Banker werden können, Finanzinvestor. So wie sein Großvater, sein Vater und seine drei Brüder. Doch er wollte nach Texas. Bush wollte seinen eigenen Weg gehen, sich beweisen.

Bush ging nach West-Texas. Dorthin, wo es am windigsten ist, im Sommer am heißesten und im Winter am kältesten. In den Wilden Westen. Bush stieg ins Ölgeschäft ein. Gründete selbst drei Unternehmen.

In den USA ist für viele die Gegend, aus der ein Mensch stammt, gleichbedeutend damit, wer dieser Mensch ist. Der heimatliche Bundesstaat als Charakterzug. George Bush wurde in Massachusetts an der Ostküste der Vereinigten Staaten geboren, aufgewachsen ist er in Greenwich, Connecticut, wenige Meilen nördlich von New York City.

Vermögend geboren, seine Familie, sein Clan: Geldadel. Auf der Eliteuniversität Yale knüpfte Bush Kontakte zu den mächtigsten Familien der Vereinigten Staaten, war Mitglied in der Studentenverbindung "Skulls and Bones". Im Jahr 1945 heiratete er standesgemäß. Barbara Pierce, eine Nachfahrin des 14. Präsidenten der USA. Bush begriff sich als neuenglischer Patrizier, als liberaler Republikaner. Haltung, Pflicht, harte Arbeit und Noblesse oblige, das waren die Koordinaten, um die herum er seine Laufbahn aufbaute. "Ich habe ihn niemals furzen gehört", sagte sein Sohn Jonathan einmal über seinen Vater.

Mit seinem Umzug nach Texas erfand er sich neu, entzog sich der Familientradition. Als Politiker hatte er anfangs eine harte Zeit - aber eine, die ihn prägte. Zu Beginn seiner politischen Karriere, als Vorsitzender der Republikanischen Partei in Harris County, nahm ihm keiner den Texaner ab. So sehr Bush sich auch anbiederte. Er stopfte, sobald eine Kamera in der Nähe war, geröstete Schweinehaut in sich hinein, behauptete, Countrymusik gut zu finden und sogar Dolly Parton. Kurz: Bush versuchte den Eindruck zu erwecken, als sei er nicht in einer Villa mit neun Schlafzimmern aufgewachsen, sondern in einem Wohnwagen im Trailerpark ohne fließendes Wasser. Er mutierte vom Yankee zum Raubein. 1964, im Wahlkampf um einen Sitz im Senat wütete er wie besessen gegen die Bürgerrechtsgesetzgebung des damaligen Präsidenten Lyndon Johnsons, gegen Liberalität, gegen Martin Luther King - und verlor.

Und trotzdem: Ohne Texas wäre Bush nie Präsident geworden. Dort relativierte sich das Elitäre seiner Herkunft, die Unnahbarkeit, die er ausstrahlte. Wer nach Ronald Reagan, am Ende des 20. Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten Präsident werden wollte, der musste ein bisschen wie Texas sein: patriotisch, konservativ, religiös.

1966 wurde Bush als Abgeordneter von Houston ins Repräsentantenhaus gewählt, blieb aber ein politisches Leichtgewicht und scheiterte 1970 erneut beim Versuch, Senator zu werden. Anschließend wurde er mit einigen hochrangigen Ämtern betraut, war US-Botschafter bei den UN für Präsident Richard Nixon, Vorsitzender des Republican National Committee, US-Botschafter in Peking für Präsident Gerald Ford. Von 1976 bis 1977 war Bush Direktor des Geheimdienstes CIA.

George Bush war ein Mann, der sein Leben statuarisch repräsentierte. 1,88 Meter groß, schlank, sportlich. Er sah in seinen eng geschnittenen Sakkos aus, wie sich Amerika einen durchsetzungsstarken Leader gemeinhin so vorstellte. Und er wusste das zu nutzen. Im Vorwahlkampf gegen Ronald Reagan 1980 zum Beispiel. Da passte Bush seinen Rivalen in dem Moment ab, als der ein Hotel in Florida verließ. Wie aus dem Nichts tauchte Bush auf, im T-Shirt und kurzen Hosen joggte er an Reagan und den aufgeregt knipsenden Fotografen vorbei. Der alternde ehemalige Gouverneur von Kalifornien auf der einen Seite, der über zehn Jahre jüngere, durchtrainierte Herausforderer auf der anderen Seite. Bush lächelte dieses für ihn so typische Lächeln. Eiskalt, siegesgewiss und zuversichtlich.

Am Ende konnte sich der Favorit Reagan zwar durchsetzen, doch er holte sich Bush an seine Seite. Gemeinsam gewannen sie das Rennen um das Weiße Haus gegen Jimmy Carter, Bush wurde Vizepräsident - und acht Jahre später war er am Ziel.

Epoche beispielloser, dramatischer Veränderungen

Es war der 20. Januar 1989. Bush wurde Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Der 41. In seiner Antrittsrede verkündete er, die einzige Supermacht der Welt möge eine freundlichere und sanftere Nation werden.

Was folgte, war eine Epoche beispielloser, dramatischer Veränderungen. Für die wenigsten war Bush verantwortlich. Ihm fiel die Aufgabe zu, das, was bereits ins Rollen gekommen war, in die richtigen Bahnen zu lenken. Im Gegensatz zu Reagan war er ein nüchterner Verwalter. Mit Emotionen oder Gefühlen tat er sich immer schwer - und erreichte deshalb auch nur selten die Herzen der Menschen.

Und das obwohl er eine neue Weltordnung verkündet konnte. Bush vollendete, worauf Reagan in den achtziger Jahren hingearbeitet hatte: den friedlich erkämpften Sieg im Kampf der Systeme, im Kalten Krieg. Die Sowjetunion brach auseinander. Der ultimativen Triumph. Bush verzichtete auf Triumphgeheul.

Auch beim Fall der Berliner Mauer. Die Deutsche Einheit 1990 wäre ohne Bush so nicht zustande gekommen. Gegen die Bedenken europäischer Verbündeter wie Großbritannien und Frankreich trieb er die Einheit entschlossen voran.

Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl, mit dem Bush eine tiefe, vertrauensvolle Freundschaft verband, erklärte gar, dass es ohne diesen heute keine deutsche Einheit gäbe. Partnership in Leadership - Partner in der Führung, das waren die geflügelten Worte damals. Ein Höhepunkt der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Bush senior war Deutschland so wohlgesonnen, wie wohl kaum ein anderer US-Präsident jemals zuvor und danach.

Zur ersten großen internationalen Krise nach dem Ende des Kalten Krieges kam es, als 1990 der irakische Diktator Saddam Hussein Kuwait überfiel. Für die verbliebene Supermacht war das ein wichtiger Test. Und Bush bestand ihn. In dieser Krise zeigte sich: Bush war einer der vorsichtigsten Präsidenten, den die USA je hatten.

Im Golfkrieg übernahmen die USA unter Bush die Führung, doch einen Alleingang starteten sie nicht. Umsichtig organisierte Bush eine breite internationale Koalition, er sicherte sich den Beistand der Welt. Die Operation Wüstensturm war genau geplant, es gab eine Exit-Strategie, die internationale Gemeinschaft unterstützte sie. In die Geschichte ging dieser Einsatz als Amerikas "guter Irak-Krieg" ein. Bush machte das, was sein Sohn zwölf Jahre später versäumte.

Die Einigkeit mit der die internationale Gemeinschaft gegen die Aggression Saddam Husseins auftrat, ließ eine hoffnungsvolle neue Ära erkennen. Das bei weitem wichtigste Erbe ihre Mannes, erklärte Barbara Bush viele Jahre später sei es, der Welt gezeigt zu haben, wie man den Frieden bewahrt, indem man Koalitionen schafft und diese zusammenhält.

1991 dann hielt Bush sich zurück. Die US-Armee hätte nach der Befreiung Kuweits nach Bagdad vorrücken können, Saddam Hussein stürzen. Bush entschied sich anders, hörte auf den Rat seiner Berater und Diplomaten, wollte keine opferreiche Schlacht. Er hatte kein Mandat der Vereinten Nationen für ein solches Vorgehen und wollte die Destabilisierung der gesamten Region verhindern. Das erledigte dann sein Sohn.

Niederlage gegen Clinton

In den USA war Bush nach dem Golfkrieg beliebt, er war auf dem Höhepunkt seiner Macht. Bei 90 Prozent lagen seine Zustimmungswerte in den USA. Er hätte jetzt alles durchsetzen können. Steuersenkungen, Sozialprogramm, er hätte Geld in die Wirtschaft pumpen können. Doch er überließ die Wirtschaft sich selbst, setzte darauf, dass sie sich von selbst erholte, so wie es Roland Reagan immer gepredigt hatte. Und lag damit falsch. Die Wirtschaftskrise die folgte, kostete ihn sein Amt. Er hatte versprochen, die Steuern nicht zu erhöhen. In der Krise konnte er das Versprechen nicht halten, galt fortan als Lügner und verlor die Wahl gegen den Gefühlspolitiker Bill Clinton und dessen Slogan "It's the economy, stupid!". Die innenpolitischen und wirtschaftlichen Probleme überlagerten die Erfolge in der Außenpolitik. Nach nur einer Amtszeit war Schluss.

Bis ins hohe Alter war Bush aktiv, war sein Drang zu spüren, sich mit anderen zu messen. Er war auf Lachsfang in Neufundland unterwegs, fuhr Powerboote, spielte Tennis. Prinzen, Präsidenten und Premiers luden ihn gerne zum Dinner. Noch an seinem 90. Geburtstag ging er Fallschirmspringen. Er ließ sich eine Glatze scheren, aus Solidarität mit dem Sohn eines Leibwächters, der an Leukämie erkrankt war, diente einem befreundeten lesbischen Paar als Trauzeuge - in der konservativen republikanischen Partei des Ex-Präsidenten ein Affront.

Mit politischen Äußerungen hielt sich Bush senior in den den letzten Jahren seines Leben zurück. Auch während der Amtszeit seines Sohnes Bush junior, Nummer 43, der von Diplomatie sehr viel weniger hielt als sein Vater. Der Sohn war Texaner durch und durch, auftrumpfend und oft rücksichtslos, Bush senior hat sich noble Zurückhaltung bis zu seinem Tod auferlegt. Zur Amtseinführung von Donald Trump ist er nicht erschienen. "Mein Arzt sagt mir, dass ich vermutlich sechs Fuß unter der Erde lande, wenn ich im Januar draußen herumsitze. Gleiches gilt für Barbara. Also hängen wir vermutlich in Texas fest." Mit diesen Worten sagte er ab.

Er war mit sich und seinem Politikerleben im Reinen. Nun ist George Herbert Walker Bush gestorben - nur ein halbes Jahr nach seiner Frau Barbara. Er hat als Poltiker keinen so nachhaltigen Eindruck hinterlassen wie sein Sohn. Das ist gut so.

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