Manche Franzosen ertragen ihren Alltag leichter mit dem Stoßseufzer: C’est la vie! So ist halt das Leben! Und so ist gerade die Welt – meinen die beiden Experten Émilie Aubry und Frank Tétart beim Blick auf unseren Globus. Aubry ist Chefredakteurin des geopolitischen TV-Magazins „Mit offenen Karten“, sie und Tétart arbeiten für den Sender Arte. Gemeinsam haben sie nun ein eher pessimistisch gestimmtes Panorama verfasst, das übersetzt den Titel trägt: „Die Welt der Gegenwart. Ein geopolitischer Atlas“.
Genauer betrachtet ist es allerdings eine Kombination aus Atlas und Almanach. Zu mehr als hundert thematisch gefertigten Karten liefern die Autoren relativ ausführliche Erklärungen. Grob gegliedert liest sich das im Inhaltsverzeichnis so: „Europa – die Zeit der Krisen“; „Die beiden Amerika – America is back ?“; „Asien – das Epizentrum von morgen“; „Der Nahe Osten – neue Herren, neue Herausforderungen“; „Afrika – der Kontinent des Möglichen und des Unmöglichen“; „Von der Welt davor – zur Welt danach“. Blättert man das großformatige Buch auf, finden sich achtundzwanzig informative Momentaufnahmen von ausgewählten Ländern und Orten, die vor allem durch Probleme und Rivalitäten, durch Krisen oder Kriege belastet sind – zum Beispiel durch mexikanische Drogenkartelle oder militärische Auseinandersetzungen in Syrien. Einen komplett globalen Überblick von Afghanistan bis Zypern (wie ihn der Kosmos-Weltalmanach jährlich bietet) gibt es hier also nicht.
Undeutliche Linienführung bei Verkehrswegen
Auch das vorneweg versprochene Glossar fehlt im Anhang. Da wäre bei der sachlichen und sprachlichen Bearbeitung der deutschen Ausgabe ein bisschen mehr Sorgfalt nötig gewesen: Norwegen etwa wird als neues Nato-Mitglied vorgestellt, obwohl es bereits 1949 Gründungsmitglied war; und mit „Russie“ bleibt Russland beispielsweise unübersetzt auf einer Landkarte verzeichnet. Was dagegen bei der großen Anzahl an Karten eher zu verzeihen ist, das ist die teils geringe Trennschärfe bei der Farbgebung und die manchmal undeutliche Linienführung bei Verkehrswegen. Der Verlauf von Chinas „neuer Seidenstraße“ freilich ist gut zu erkennen.
Wie überhaupt gleich drei Beiträge der machtpolitischen Bedeutung der Volksrepublik gerecht werden – nämlich Artikel zu Peking, Wuhan und Hongkong. Zudem wird die politische Lage in Ostasien kartografisch treffend verdeutlicht. China ist so zu sehen, wie es die meisten Menschen dort wahrnehmen. Auf ihrer Weltkarte liegt Europa am westlichen und Amerika am östlichen Rand des Globus, dazwischen der Indische Ozean, der Pazifik und eben China. Kein Wunder, wenn die Leute hinter der Großen Mauer ihre Heimat seit Langem zhong guo (Reich der Mitte) nennen und entsprechend denken.
Werner Hornung bespricht seit mehr als 50 Jahren politische Bücher und kartografische Literatur.