Gentrifizierung in Berlin:Gesetz soll bezahlbare Mieten erzwingen

Mietpreise

Graffiti in Berlin: Gentrifizierung und Verdrängung sind in der Hauptstadt ein besonderes Problem.

(Foto: dpa)
  • In Berlin sammeln mehrere Initiativen Unterschriften für ein Volksbegehren zu Senkung der Mieten für sozial Schwache.
  • Sie fordern die Stadt auf, Sozialwohnungen anzukaufen und die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften in Anstalten des öffentlichen Rechts umzuwandeln.
  • Nach einem Monat haben sie mehr als 20 000 Unterschriften gesammelt. Das bringt den Senat in Bedrängnis.

Von Hannah Beitzer, Berlin

Ein Volksentscheid für niedrige Mieten - das klingt erst einmal wie "Volksentscheid für saubere Luft" oder "Volksentscheid für besseres Essen". Wer würde da nicht unterschreiben? Und doch steckt mehr hinter einer Initiative, die genau das in Berlin anstrebt. Mehrere Mieter-Organisationen wollen per Volksabstimmung ein neues Mietengesetz in Berlin durchsetzen und insbesondere die Mieten für sozial Schwache senken.

Sie machen damit auf eines der drängendsten Probleme der Hauptstadt aufmerksam. Gentrifizierung und Verdrängung sind in Berlin präsenter als in jeder anderen Stadt Deutschlands. In Berlin wurden in den vergangenen Jahrzehnten Wohnungen zu niedrigsten Preisen verkauft, die Bevölkerung ganzer Viertel ausgewechselt und das Gesicht vieler Kieze komplett verändert.

Warum die Initiativen Unterschriften sammeln

Als Negativbeispiel par excellence gilt der Prenzlauer Berg - jedenfalls allen, die nicht dort wohnen: Erst kamen dorthin nach der Wende die Künstler und Studenten, dann die Doppelverdiener-Pärchen und inzwischen wohnen dort fast nur noch wohlhabende schwäbische Familien in sanierten Altbauwohnungen, die ihre Kinder Johann und Charlotte nennen. Bioladen und Mutter-Kind-Kaffee statt Aldi und Eckkneipe. Soweit das Klischee. Doch in der Tat ändern sich viele Viertel rasant, nicht nur Prenzlauer Berg. Kreuzberg, Neukölln - überall hin drängen Neuberliner aus aller Welt, die für eine Wohnung deutlich mehr zahlen können als der durchschnittliche Urberliner. In der Stadt, die lange genügend Platz für alle zu haben schien, wird es eng.

Deswegen steht Daniel, 29 Jahre, vor der Mensa Nord der Humboldt-Universität in Mitte und sammelt Unterschriften. Er ist über die Vereinigung "Studis gegen hohe Mieten" zum Mieten-Volksentscheid gekommen. "Studenten sind ja in einer zwiegespaltenen Situation", sagt er, "einerseits haben sie selbst Probleme, Wohnungen zu finden, andererseits sind sie ein wesentlicher Teil des Gentrifizierungsprozesses." So sei es auf der einen Seite inzwischen auch in Berlin üblich, von Neumietern Gehaltsnachweise zu verlangen, die viele Studenten nicht vorweisen können. Und auf der anderen Seite kann sich selbst eine Studenten-WG noch eine höhere Miete leisten als manche Familie in Neukölln.

Daniel ist 2010 nach Berlin gezogen und hat dort vor seinem Studium der Sozialwissenschaften schon als Sozialarbeiter in einer Plattenbausiedlung Einblicke in die Auswirkungen der Gentrifizierung bekommen. Viele Menschen, die dort leben, seien aus ihren angestammten Kiezen im Zentrum der Stadt vertrieben worden. "Ich finde nicht, dass man Menschen, die schon ihr ganzes Leben in einer Nachbarschaft sind, zwingen sollte, rauszuziehen", sagt er.

Was im Gesetz steht

Die Initiativen wollen daher vor allem die Mieten für sozial Schwache senken - in den Wohnungen der landeseigenen Unternehmen und den Sozialwohnungen in privater Hand. Finanziert werden soll das aus einem Wohnraumförderungsfonds. Außerdem fordert das Bündnis die Stadt auf, Sozialwohnungen anzukaufen, neu zu bauen und die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften in Anstalten des öffentlichen Rechts ohne Gewinnorientierung umzuwandeln.

Das von den Mieter-Gruppen entworfene Gesetz war in den vergangenen Monaten in der ganzen Stadt Gesprächsthema, die Aktivisten sammelten Unterschriften auf Flüchtlingsdemos in Kreuzberg, die Listen lagen aber auch in Weddinger Eckkneipen, in denen es heute noch das Bier für 1,50 Euro und den Pfeffi umsonst obendrauf gibt. Erfolgreich waren die Unterschriftensammler auch am Tempelhofer Feld - jenem Ort, der zum Symbol des ersten erfolgreichen landesweiten Aufbäumens gegen die Wohnungsbaupolitik des Senats gefeiert wird.

Der Senat steht unter Druck

Im vergangenen Jahr verhinderten die Berliner per Volksentscheid die Bebauung eines Teils des Feldes. Das will auf den ersten Blick nicht so recht zur Forderung nach mehr Wohnraum passen, doch auch am Tempelhofer Feld ging es um Gentrifizierungsängste und Misstrauen gegenüber dem Senat. Die Bewohner der anliegenden Kieze fürchteten teure Luxusbebauung, die wiederum die Preise auch in den anderen Stadtteilen in die Höhe treiben könnten. Der Senat stellte sich in der Argumentation wahrlich unglücklich an, ging auf Konfrontation zu den Bürgern - und verlor krachend.

Nun sollen also per Volksentscheid niedrigere Mieten erzwungen werden. Dafür müssen die Initiatoren im ersten Schritt 20 000 Unterschriften in ganz Berlin sammeln, um ein Volksbegehren zu beantragen. Dann muss das Berliner Abgeordnetenhaus über den Text beraten. Sollte kein Kompromiss gefunden werden, müssten in einem zweiten Schritt sieben Prozent aller Berliner unterschreiben, um einen Volksentscheid durchzusetzen. Die 20 000 Unterschriften für den ersten Schritt haben die Initiativen schon, nur einen knappen Monat haben sie dafür gebraucht. Dennoch wollen sie weitersammeln, sagt Sprecher Rouzbeh Taheri: "Je mehr Stimmen wir haben, desto größer ist das politische Signal."

Der Senat zeigt sich kompromissbereit

Eines haben die Initiatoren schon erreicht: Die Politik ist diesmal vorsichtiger als beim Tempelhofer Feld, kommt den Initiativen entgegen. "Ich habe kein Interesse an einer Konfrontation. In dem Gesetzentwurf der Bürgerinitiative gibt es vieles, was ich teile", sagte Bausenator Andreas Geisel (SPD). Der rot-schwarz regierte Berliner Senat sieht das Verdrängungsproblem durchaus, hat zum Beispiel in einigen Gegenden ein Umwandlungsverbot von Mietwohnungen in Eigentum und ein Ferienwohnungs-Verbot beschlossen.

Insbesondere die SPD möchte noch weiter gehen, Neubauten noch mehr fördern als bisher. Und die Partei denkt über eine Privatisierungsbremse in der Verfassung nach. Der Senator kann sich auch eine Subventionierung von Sozialmieten vorstellen - allerdings nicht in Form einer pauschalen, öffentlich subventionierten Deckelung. Lieber sollen die Sozialmieter selbst Zuschüsse bekommen, sie sollen nicht mehr als 30 Prozent ihres Einkommens für Miete ausgeben müssen. Kritik gibt es aus dem Senat auch am geforderten Ankauf von Sozialwohnungen und der Umwandlung der Wohnungsbaugesellschaften - zu bürokratisch, zu teuer.

Wie hoch sind die Kosten?

Überhaupt, die Sache mit den Kosten: Der Senat schätzt die Kosten für den Gesetzentwurf der Initiativen in den Jahren 2017 bis 2022 auf insgesamt 3,3 Milliarden Euro - wesentlich mehr als nach deren eigener Berechnung (1,256 Milliarden). In den kommenden Monaten will die Politik den Kontakt zu den Aktivisten suchen, um über diese Punkte zu sprechen.

"Wir sind froh, wenn auf unseren Druck hin etwas kommt", sagt Initiativen-Sprecher Taheri zur Reaktion der Politik. Bisher haben Initiativen und Senat allerdings noch keinen direkten Kontakt. "Wir reden erst einmal mit den Berlinern auf der Straße, nicht mit der Politik", sagt Taheri. Dann will er abwarten, wie das Abgeordnetenhaus über das Gesetz berät, denn immerhin muss die SPD ihre Vorstellungen mit dem Koalitionspartner CDU abgleichen. Taheri befürchtet, die Kompromissbereitschaft der SPD könne bereits "Vorwahlkampf" sein - in Berlin wird im Herbst 2016 ein neues Abgeordnetenhaus gewählt. Dass Mieten eines der wichtigsten Themen im Wahlkampf werden, ist sicher.

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