Genfer Konventionen:Minimum an Menschlichkeit

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Vor 70 Jahren einigte man sich darauf, in Kriegen zwischen Kämpfern und Unbeteiligten zu unterscheiden und Zivilisten zu schonen. Es ist Zeit, dem Grundsatz wieder Geltung zu geben.

Von Ronen Steinke

Die Genfer Konventionen, das ist die letzte Haltelinie, wenn die Hölle auf Erden ausbricht. Wenn das Schießen, das Bombardieren beginnt - dann sagen die Genfer Konventionen nicht: Du sollst nicht töten. Dafür ist es dann nämlich schon zu spät. Darauf hören die Machthaber dann nicht mehr, dieser Damm ist schon gebrochen. Nein, das Genfer Regelwerk sagt bloß noch, wen man töten darf. Was für ein kläglich bescheidener Anspruch; "humanitäres Völkerrecht", das klingt schön, ist aber schrecklich. Es geht nur noch um einen winzigen Rest an Menschlichkeit; in der Hoffnung, dass man damit vielleicht noch erhört wird von den Mächtigen.

Zivilisten sind tabu. Auf diese drei Wörter lässt sich das ganze Regularium der Genfer Konventionen reduzieren. Es ist ein großer zivilisatorischer Schritt gewesen, als sich die ersten Unterzeichner vor jetzt 70 Jahren, im August 1949, auf dieses einfache Prinzip einigen konnten. Armeen sollten trennen zwischen Unbeteiligten und Beteiligten. Es ist allerdings auch ein Prinzip, das durchzusetzen heute immer schwieriger wird. Und da beginnen, wenn die Feierlichkeiten zum 70. Geburtstag vorbei sind, die Probleme.

Das Prinzip der Trennung von Kämpfern und Zivilisten muss dringend erneuert werden

Der Krieg hat sich gewandelt. Die Grenzen zwischen Zivilisten und Kombattanten werden zunehmend verwischt. Einst haben Kämpfer Uniformen übergezogen. So martialisch es manchmal aussieht, der Flecktarn ist in Wahrheit ein selbstauferlegtes Handicap; aus humanitärer Sicht: eine gute Tat. Damit erklären sich Soldaten gegenüber ihren Kriegsgegnern zur völkerrechtlich legitimen Zielscheibe, und sie erklären gleichzeitig: Wer keine Uniform trägt, den lasst ihr bitte in Ruhe. Heute ziehen wichtige Akteure in Kriegen lieber einen Vorteil daraus, dass sie auf dieses Handicap verzichten.

Da wären die Guerillakämpfer im Nahen und Mittleren Osten, egal ob Taliban, Hamas oder andere. Sie schwimmen in der Masse der Bevölkerung mit, sie missbrauchen diese als Schild. Wenn reguläre Armeen nicht einfach aufgeben wollen in diesem asymmetrischen Kampf, dann machen sie bald Razzien auch in Wohnhäusern - ein Tabu. Der Rechtsverstoß der einen zieht den Rechtsverstoß der anderen nach sich. Das ist gegenwärtig der Sumpf, in dem das Genfer Recht versunken ist.

Der Krieg selbst ist die Geißel, wie es in der Charta der Vereinten Nationen heißt. In den "modernen" Kriegen in Städten aber sind die Gefahren für Zivilisten noch viel schlimmer, als wenn sich früher Armeen auf einem Feld trafen. In den Städten weiß das Internationale Komitee vom Roten Kreuz bislang keinen besseren Rat, als zu sagen: Es kann sich stündlich ändern mit dem Status als Zivilist. Der Kioskbesitzer, der abends Sprengfallen bastelt, gilt dann vorübergehend als Kämpfer. Klar geregelt ist nichts, jede Armee hat hier ihre eigene Meinung. Und die Genfer Konventionen: sind fast stumm. Heute sind 90 Prozent aller Kriege Bürgerkriege. 1949 aber war dies den Genfer Verfassern nur eine Randnotiz wert.

Heute bräuchte es eine neue Genfer Konvention, die das alte Prinzip in die neue Zeit bringt. Zwischen Kämpfern und Zivilisten ist zu trennen, und es darf auch keine Zwischenformen geben, wie sie der einstige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld einführen wollte: "unrechtmäßige Kämpfer", weder als Zivilist noch als Kombattant geschützt. Solange das Völkerrecht ein Vakuum lässt, haben die Rumsfelds dieser Welt leichtes Spiel.

© SZ vom 21.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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