Generationswechsel bei den Grünen:Erneuerung um fünf nach zwölf

Grüne nach der Bundestagswahl

Claudia Roth (l.) und Cem Özdemir, sowie die Spitzenkandidaten Jürgen Trittin (r.) und Katrin Göring-Eckardt: Die Grünen erleben eine Zäsur.

(Foto: Jens Büttner/dpa)

Die Rücktrittswelle an der Spitze der Grünen ist eine Reaktion auf eine empfundene Schmach. Die Partei erlebt eine Zäsur - aber sie wirkt nur deshalb so tiefgreifend, weil bei manchen Spitzenleuten schlicht nachgeholt wird, was längst fällig war.

Ein Kommentar von Nico Fried

Jürgen Trittin hat nach der Niederlage der Grünen einen richtigen Satz gesagt: Natürlich werde nun gerne über Personal gesprochen, weil das einfacher sei als andere Themen. Tatsächlich ist die grüne Partei groß darin, sich in guten Zeiten über ihre basisdemokratische Beteiligung an Programm und Personal, an buchstäblich allem und jedem, besoffenzuquatschen. Wenn es aber schiefgeht, müssen nur jene dran glauben, die den Kopf hingehalten haben. Auf die Grünen trifft der Slogan "Das Wir entscheidet" viel mehr zu als auf die SPD. Deshalb kann man sich schon wundern, dass Jürgen Trittin die Wahl quasi alleine verloren haben soll.

Trotzdem hat er die Brocken hingeworfen. Trittin musste einsehen, dass die korrekte Analyse einer politischen Dynamik nicht davor schützt, ihr zum Opfer zu fallen. Damit geht es bei den Grünen, wo ja auch noch Claudia Roth und Renate Künast ihren Abschied aus der ersten Reihe erklärt haben, ähnlich rund wie bei der FDP. Obwohl sie noch im Bundestag vertreten sind, wird bei den Grünen genauso wild zurückgetreten wie bei den Liberalen. Das zeigt, wie die Grünen ihre Niederlage vom Sonntag empfinden: als eine Schmach, was bei einem Ergebnis von 8,4 Prozent weniger mit realen Zahlen als mit überzogenen Erwartungen zu tun hat.

Es entbehrt nicht der Ironie, dass Guido Westerwelle und Jürgen Trittin (so er nicht noch schwarz-grüner Minister wird) gleichzeitig von der politischen Bildfläche verschwinden. Sie stehen für eine Generation, aber zwei Ideologien, die sich kompromisslos bekämpften. Ihr Scheitern hat viele Gründe und eine Gemeinsamkeit: Die Bundestagswahl hat gezeigt, dass das Land in der großen Mehrheit Rechthaberei als Politikprogramm nicht mag. Egal, von wem.

Der viel zu spät erzwungene Zeitpunkt für eine Erneuerung

Die Grünen erleben eine Zäsur, aber sie wirkt nur deshalb so tiefgreifend, weil bei manchen Spitzenleuten schlicht nachgeholt wird, was längst fällig war. Der Abschied von Künast nach der Landtagswahl in Berlin, der von Roth nach der Urwahl der Spitzenkandidaten. Wenn Claudia Roth nun meint, jetzt sei der richtige Zeitpunkt für eine personelle Erneuerung, dann irrt sie. Es ist der viel zu spät erzwungene Zeitpunkt.

Der richtige Zeitpunkt war gar kein Punkt, sondern eine Phase. Sie währte acht Jahre lang vom Ende der rot-grünen Koalition 2005 bis zum Wahltag 2013, aber sie verstrich ungenutzt. Mit wenigen Ausnahmen traten die Grünen bei den einen Wahlen mit dem gleichen Personal an wie bei den anderen. Weil sich die Abgewählten von 2005 zweimal vier Jahre lang an die Hoffnung klammern durften, wieder an die Regierung zu kommen, war der Flaschenhals zwischen Basis und Führung verstopft. Die oben stellten sich dumm, denen unten fehlte der Mumm.

Die Wahlniederlage der Grünen hat viele Gründe. Welcher Anteil dabei nun dem Steuerkonzept oder dem Veggie-Day oder der Pädophilie-Diskussion im Einzelnen zuzuschreiben ist, wird man so genau wohl nie herausfinden. Ganz sicher aber hat die politische Kommunikation all dieser Themen einen hohen Anteil, diese Mischung aus Belehrung, Besserwisserei und Freudlosigkeit. Für die Kernwählerschaft hat das gereicht. Für mehr nicht.

Manchmal braucht man jemanden, der die Wirklichkeit zur Kenntnis nimmt

Mit bemerkenswerter Naivität sind die Grünen zudem in eine strategische Falle getappt. Sie glaubten, mit der Nominierung Peer Steinbrücks werde die SPD sich um die Mitte kümmern und links Platz machen. Weil die SPD aber Steinbrück ausrichtete und nicht umgekehrt, traten sich drei Parteien links auf den Füßen herum - ein Umstand, der dadurch verstärkt wurde, dass die Grünen zwar eine Frau und einen Mann, aber nur zwei linke und keinen Realo-Kandidaten hatten. Katrin Göring-Eckardt beschrieb in ihren Reden fast ausschließlich ein Deutschland der Trostlosigkeit, Trittin lieferte das Steuerkonzept zur Umverteilung. Und Rot-Grün zusammen versank im Keller der Aussichtslosigkeit. So kann man sich irren.

Wirklich zum Problem wurde dieser Fehler aber erst, als die Grünen nicht die Kraft hatten, sich zu korrigieren, in der Sache wie in der Ausrichtung. Da fehlte es an Führung. Ein Grund dafür ist die ach so tolle Basisdemokratie: Hier führt eben vor allem eine Partei ihr Spitzenpersonal. Manchmal muss es aber umgekehrt sein. Eine Partei will immer nur das Wahre, Schöne, Gute. Und das absolut. Manchmal aber braucht man eben auch jemanden, der die Wirklichkeit zur Kenntnis nimmt.

Trittin hat sich der Basis unterworfen, weil ihre Wünsche seinen Vorstellungen entsprachen, Göring-Eckardt, weil sie zu schwach war und schon eine politische Lernkurve hinter sich hat. Andere mit Einfluss haben nur aufgemuckt und dann die Pobacken zusammengekniffen. Wenn sie jetzt die Klappe aufreißen, ist es nicht nur wenig überzeugend, sondern zu spät.

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