Generationen:Die Sitzenbleiber

Leider, leider: Die Jugend ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Wirklich jung zum Beispiel, das ist sie derzeit nicht gerade. 30- und auch noch 40-Jährige geben sich heute häufig cooler und unangepasster als die eigentlichen Heranwachsenden.

Von Friederike Knüpling

Das sind die 30-Jährigen mit Schlagseite zur 40, die sich immer noch die Nächte um die Ohren schlagen, als gäbe es kein Morgen; das sind diejenigen, die ihr Studium hinter sich haben und jetzt doch eine WG und keine Familie gründen.

Jene, deren Freunde "Jungs" und "Mädchen", manchmal auch "Gören" sind, obwohl auch die schon seit ein paar Jahren Steuern zahlen. Sie besitzen eine Spielkonsole und keinen Bräter, sie sind für Popkultur und gegen Rotwein, denn der verträgt sich nicht mit dem Gras, das sie ganz gerne mal rauchen, und erst recht nicht mit ihrer Idee von Lässigkeit.

Was die Lässigkeit betrifft, sind sie die Meister, sie haben auch genug Zeit gehabt zum Üben in den letzten ein, zwei Jahrzehnten, die sie mit Jungsein beschäftigt waren: Turnschuhmarken, Popmusik und Fernsehserien werden bei ein paar Bier beplaudert, Kindheitserinnerungen, Verknalltsein und wie es sich noch mal genau anfühlt, eine Arschbombe vom Dreier zu machen.

Hauptsache, der Spaß fällt nicht hinten runter. Hauptsache, alle wissen flott weiter und keiner rückt mit Zähneknirscher-Themen an, die nicht mit ein paar kessen Sprüchen runtergesurft werden könnten.

Lauter Sitzenbleiber

All jene, die man gemeinhin "die Jugend" nennt, sitzen in einer Schulklasse, in der es vor lauter Sitzenbleibern langsam eng wird. Vor freiwilligen Wiederholern, die einfach keine Lust haben, in die nächste Stufe weiter zu ziehen.

Ihre Hausaufgaben erledigen sie trotzdem fleißig, schreiben und singen und reden sich ihr Jugendgefühl von der Seele, als erlebten sie das alles zum ersten Mal.

Die Klassenanforderungen sind: Pop-Wissen beweisen, lässige Antworten geben, bloß nicht naiv fragen. Oder woran liegt es, dass es haufenweise Menschen gibt wie den Moderator Markus Kavka? Der ist 37 und bringt seit Jahren im Musikfernsehen das junge Gemüse mit den neuesten Tönen zum Tanzen - derzeit ausgerechnet auch noch mit seiner Sendung "20 Years on MTV". Als wäre nichts geschehen.

Es ist dabei aber nicht so, als gäbe es keine Missstimmungen zwischen den Jungen und den Alten, pardon: Den "etwas Jüngeren" und den "etwas Älteren", wie es die "großen Jungs und Mädchen" auszudrücken pflegen.

Die etwas Älteren sorgen sich um jene, die sie gern zu ihren jüngeren Freunden, nicht aber zu ihren Nachfolgern machen würden: Die nach 1980 Geborenen wirken auf sie bisweilen wie eine zähe Herde Streber, Spießer, Langeweiler. Demogänger, MoMa-Besucher, Aufs-Land-Rausfahrer.

Als das eben, was die etwas älteren Dauerausgeher beschlossen hatten, nicht zu sein, als sie mit Westbam sangen: "We'll never stop living this way" - die Party sollte einfach kein Ende nehmen.

Die Jahre der ideologischen Streitereien, der Betroffenheit und der Moralisierungen, mit denen die Achtziger auch nicht die Welt gerettet hatten, waren vorbei. Das Meiste war mindestens genauso Scheiße wie zuvor.

Die Sitzenbleiber

Manches löste sich einfach in Luft auf, der Ost-West-Konflikt und das Waldsterben zum Beispiel. Anderes wurde dafür richtig leicht: Die Gesprächsthemen und sogar das Geldverdienen. Eine Zeitlang konnte aus dem Internet jeder seinen eigenen Sportwagen ausparken, und mit der Entdeckung der Kaufkraft der 15- bis 29-Jährigen wurden auch Jobs für Exemplare aus ebenjener Zielgruppe geschaffen.

Damals hatte das Zelebrieren von Abgeklärtheit und Oberflächlichkeit wohl seinen Platz - nur: Wie lang ist diese Sommerschwüle am Ende des letzten Jahrhunderts jetzt schon vergangen?

So lang jedenfalls, dass die Jüngeren nicht viel davon mitbekommen haben. Die schlugen sich eher mit ihren eigenen Privatproblemen rum, waren deprimiert wie Kurt Cobain, der Held der Neunziger, jener Musiker, der erst den düsteren Grunge groß machte und sich dann das Leben nahm. Oder sie erzählten in einer Nachmittagstalkshow ihre Lebensgeschichte.

Jeder sein eigenes Ding

Oder sie bastelten sich ihre eigene Homepage, auf der sie ihr Tagebuch veröffentlichten. Auf die Idee, sich zusammen zu raufen zu einem "Wir" kamen sie jedenfalls nicht - lieber drehte jeder sein eigenes Ding und regte sich nicht groß über den Musikgeschmack des anderen auf.

Und jetzt gibt es eben diese Probleme zwischen den Jüngeren und den Älteren, so jung diese sich auch fühlen mögen. Womöglich besonders, wenn sie sich mit den Jüngeren vergleichen.

Die in Umfragen ihr Faible für Familienleben und weitere Spießerinstitutionen bekunden, sogar für die Universität. In die sie nicht nur gehen, um die neuen Turnschuhe auszuführen. Was ist daran so falsch, wo heute jedes Kind "Chancen" und "Arbeitsaufwand" in eine Rechnung packen kann? Was bleibt schon anderes übrig?

Der Vorwurf, die Jungen verkrampften angesichts der Arbeitslosenzahlen zu einem zitternden Pack Hasenfüße, ist jedoch ungerecht. Zwar bilden sie bisher nicht gerade eine Armada an schneidigen Rebellen, auch wenn sie die Globalisierungskritiker-Bibel "No Logo" gelesen und gegen den Irak-Krieg demonstriert haben.

Gedenkminute für damals

Und selbst so geistlos, wie die erwachsenen Jungen behaupten, sind die jungen Erwachsenen auch nicht. Nur, dass sie es anpacken, heißt ja noch nicht, dass sie den Stellenmarkt frühstücken und sich in der Mensa nach jemandem umschauen, der zwar todlangweilig ist, aber ein ordentliches und gewinnbringendes Familiengründungsmitglied abgeben könnte.

Im Gegenteil: Nachdem der Stellenmarkt sowieso ein recht mageres Frühstück abgäbe, kann in der Mensa ruhig noch eine Runde geplaudert werden.

Die Privatlebenpflege haben die Jüngeren vielleicht sogar von den Älteren übernommen, nur dass sie anstelle von Oberflächenpolitur damit beschäftigt sind, es sich möglichst lauschig in der Zukunft einzurichten - mit der die Älteren ja scheinbar nicht viel am Hut haben, im Gegenteil.

Die T-Shirts mit Mickey-Mouse-Aufdruck springen durch Büros, die Gedenkminute für damals, als noch alles super war, ist zu einer ständigen Einrichtung geworden.

Leider nur fehlt dem ständigen Reproduzieren von Popcodes, mit dem die Älteren sich die Freizeit vertreiben, genau das, was es eigentlich beweisen soll: Lässigkeit. Da kann man auf seinem Beachcruiser-Fahrrad noch so schlaksig aussehen, während man sich im Viertel rumdrückt: Rückbesinnung ist nicht gerade das, was man als besonders jugendlich bezeichnen könnte.

Wahrscheinlich ist das Problem nicht nur, dass die etwas älteren Jugendlichen nicht vorwärts wollen, sondern auch, dass sie es nicht können.

Gut reden

In Stellenanzeigen fordern die Bosse sie ja quasi dazu auf, alle Pläne von einem geruhsamen Abend mit der eigenen Familie über Bord zu werfen: Noch ein Graduiertenstudium draufzusetzen. Im Ausland gibt es auch Arbeit! In Ganzwoanders auch, Überstunden inklusive! Wahrscheinlich haben wir Jüngeren nur gut reden.

Wir gehen noch eine Runde zur Uni, ohne dass wir uns dafür rechtfertigen müssen. Und haben Zeit genug, unsere Vorstellungen vom Superwohlstand ein klein wenig nach unten zu korrigieren, runter, und ein Stückchen noch, bis es dann aber hoffentlich auch gut ist.

Die 22-jährige Autorin arbeitet in der Redaktion von jetzt.de

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