In der Geschichte der Bundesrepublik hat es das noch nicht gegeben: Ein Generalstaatsanwalt steht unter Verdacht des Verrats von Dienstgeheimnissen. Das ist so, als stünde ein General der Bundeswehr unter Verdacht, er habe Waffen aus Beständen der Armee verkauft. Der Vorwurf wiegt so schwer, dass man sich wünscht, er träfe nicht zu.
Wenn er zutrifft, schadet er der Staatsanwaltschaft insgesamt; er beschädigt den Ruf einer Institution, die von der Integrität lebt - davon also, dass sie ohne Zorn und Eiferei arbeitet, möglichst ohne Einflussnahme von außen, ohne Willfährigkeit politischen Wünschen gegenüber, ohne private Rachsucht und Gehässigkeit.
Hat der Generalstaatsanwalt Wulff bewusst schaden wollen?
Erhärtet sich der Vorwurf, führt das zu Weiterungen - weil man sich dann fragen müsste, warum der Generalstaatsanwalt Ermittlungsdetails verraten hat. Aus Plaudersucht? Wichtigtuerei? Oder aus dem Kalkül heraus, auf diese Weise immer wieder die Empörung der Öffentlichkeit zu schüren und ein nachhaltig negatives Klima für den Beschuldigten zu schaffen? Und: Wer könnte daran interessiert gewesen sein und warum?
Die Antworten führen womöglich hin zu einer Staatsaffäre. Der Vorwurf des Geheimnisverrats wird Frank Lüttig, dem Generalstaatsanwalt von Celle, gemacht; Lüttig ist derjenige Generalstaatsanwalt, der für den Abschluss der Ermittlungen und die Anklageerhebung gegen den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff verantwortlich war. Die Ermittlungen wurden mit großem Aufwand im In- und Ausland geführt.
Am Anfang stand ein Antrag auf Aufhebung der Immunität des Bundespräsidenten, der zu dessen Rücktritt führte. Am Ende stand eine Anklage, in der es noch um einen Betrag von 753 Euro und 90 Cent ging. Und am Schluss des Prozesses, der wegen dieses Betrags geführt wurde, stand der Freispruch. Unter anderem aus den Ermittlungen in diesem Verfahren soll Lüttig Informationen weitergegeben haben - in sieben Fällen.
Spektakulär ist der Vorgang, spektakulär ist die Zahl der Fälle. Gleichwohl: Das Spektakuläre ändert nichts daran, dass derzeit de jure nur ein Anfangsverdacht vorliegt. Es gilt die Unschuldsvermutung - auch für einen Generalstaatsanwalt. Sie gilt so, wie man sich das in anderen Verfahren, etwa in dem gegen Wulff, auch gewünscht hätte. Damals wurden Kontostände, Rechnungen, Belege und Ermittlungshypothesen an bestimmte Medien durchgestochen - Details, die bis heute das Bild eines nassauernden Spitzenpolitikers formen.