Generaldebatte im Bundestag zum Nazi-Terror:Opposition attackiert Schröders Extremismusklausel

Demütig wollten sich die Politiker zeigen, sich bei den Opfern des Nazi-Terrors entschuldigen. Doch die ungewöhnliche Einigkeit der Parteien währte nur kurz. Im Bundestag attackiert die Opposition vor allem Familienministerin Schröder wegen ihrer Extremismusklausel. Bei ihr sei "ein Mangel an Herzensbildung" festzustellen. Kritik kommt auch von der Türkischen Gemeinde in Deutschland.

Trauer, Betroffenheit und Bestürzung - das wollten die Bundestagsabgeordneten zum Auftakt der Generaldebatte zur Neonazi-Affäre zum Ausdruck bringen. In einer einstimmig verabschiedeten Erklärung fordern die Parteien im Bundestag eine zügige Aufklärung der Mordserie. Die Stellungnahme von Union, SPD, FDP, Grünen und Linkspartei solle "die klare Botschaft aussenden, dass wir den Rechtsextremismus bekämpfen", sagte Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) nach Beratungen mit den anderen Fraktionen in Berlin.

Bei "allen Unterschieden im Detail" wollten die Fraktionen "geschlossen zusammenstehen" und dadurch signalisieren, dass für Rechtsextremismus "kein Platz in unserer Gesellschaft ist". In der Erklärung wird auch festgehalten, dass ein Verbot der rechtsextremen NPD geprüft werden soll. Zudem fordern die Abgeordneten, dass "die Strukturen der Sicherheitsbehörden auf Bundes- und Länderebene dringend überprüft werden".

Die parteiübergreifende Einigung ist ein ungewöhnlicher Vorgang, da es die Unionsfraktion üblicherweise ablehnt, gemeinsam mit der Linken Beschlüsse zu fassen. Direkt im Anschluss an das Treffen der Partei- und Fraktionschefs begann im Bundestagsplenum eine etwa eineinhalbstündige Debatte zu den Konsequenzen aus der Mordserie.

Zum Auftakt sprach Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Die Abgeordenten erhoben sich - und Lammert bat die Angehörigen der Opfer um Entschuldigung. Wegen der Fahndungspannen im Zusammenhang mit den Neonazi-Morden. Wegen der falschen Verdächtigungen.

"Wir sind beschämt, dass die Sicherheitsbehörden der Länder und des Bundes die über Jahre hinweg geplanten und ausgeführten Verbrechen weder rechtzeitig aufdecken noch verhindern konnten", sagte Lammert. Der Bundestag bitte um Entschuldigung "für manche Verdächtigungen von Opfern und Angehörigen", die sie während der Ermittlungen erlebt hätten. "Wir wissen um unsere Verantwortung." Der Bundestag sei fest entschlossen, alles mit den Mitteln des Rechtsstaates Mögliche zu tun, um die Ereignisse und Hintergründe aufzuklären.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sagte im Bundestag, dass er ein erneutes NPD-Verbotsverfahren prüfen wolle. Die Diskussion um ein Verbot der rechtsextremen NPD werde sich wohl nicht vermeiden lassen, sagte Friedrich. Eine Arbeitsgruppe für das Vorhaben sei bereits eingesetzt. Allerdings sei das Verbotsverfahren nicht einfach, sagte der Minister und verwies auf die vom Bundesverfassungsgericht gestellte Bedingung, zunächst die V-Leute aus der Partei abzuziehen.

Nach Ansicht von Unionsfraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier (CDU) müssen die Pannen bei der Aufklärung weitreichende Folgen auch für die Sicherheitsbehörden haben. "Was sich jetzt herausgestellt hat, ist einer der schwerwiegendsten terroristischen Vorgänge in der Bundesrepublik", sagte er. Zugleich betonte er: "Wir haben weder einen Ausnahmezustand noch eine Staatskrise." Es gebe Fragen, ob die Sicherheitsbehörden richtig aufgestellt seien, wie sinnvoll der Einsatz von Verbindungsleuten des Verfassungsschutzes in die rechtsextreme Szene sei und inwieweit die Zusammenarbeit von Bund und Ländern verbessert werden könne.

Bei der Debatte war es dann aber mit der Einigkeit auch wieder schnell vorbei. Vor allem über den Verfassungsschutz und die von Familienministerin Kristina Schröder (CDU) eingeführte Extremismusklausel stritten die Parlamentarier heftig.

"Mangel an Herzensbildung"

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier erhob schwere Vorwürfe gegen die Sicherheitsbehörden. Wenn sich alles bewahrheite, was derzeit auf dem Tisch sei, dann befinde sich der Verfassungsschutz in einer "schweren Glaubwürdigkeitskrise", sagte Steinmeier. Es sei "ein ungeheuerlicher Verdacht", dass die V-Leute nicht nur nichts gesehen hätten, sondern bei Straftaten auch dabei gewesen seien. Die notwendige Aufklärung dürfe nicht nur hinter verschlossenen Türen stattfinden, forderte Steinmeier. Die Bürger müssten mitbekommen, dass der Staat wirklich um schonungslose Aufklärung bemüht sei. "Nazis haben überall dort eine Chance, wo man sie gewähren lässt. Und wir dürfen sie nicht gewähren lassen", sagte Steinmeier. Deshalb sei er dem Innenminister auch dankbar für dessen zumindest vorsichtiges Signal zu einem erneuten NPD-Verbotsverfahren.

Deputies observe a minute of silence during session about right-wing violence in Berlin

Zu Beginn der Debatte im Bundestag erhoben sich die Abgeordneten zu einer Schweigeminute für die Opfer des Nazi-Terrors in Deutschland.

(Foto: REUTERS)

Direkt griff Steinmeier Kristina Schröder an. Die Familienministerin müsse die Kürzungen für zivilgesellschaftliche Gruppierungen gegen rechts zurücknehmen und damit aufhören, die Leute zu gängeln.

Auch Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast kritisierte die Bundesfamilienministerin heftig. "Es ist bei Ihnen ein Mangel an Herzensbildung festzustellen, Frau Schröder", sagte Künast und spielte damit auf die Praxis der Projektunterstützung durch das Ministerium an. Schröder hätte das Problem viel "früher sehen können und müssen", sagte Künast. Sie forderte eine Abschaffung der Extremismusklausel.

Darin verlangt das Familienministerium von Projektträgern, die staatliche Unterstützung erhalten wollen, dass sie sich zur Verfassung bekennen und auch für die Verfassungstreue ihrer Kooperationspartner bürgen. In der Praxis führte dies bereits häufiger dazu, dass Projektträger kein Geld vom Staat bekamen.

Nun will die Union dies offenbar korrigieren: Die dpa berichtet unter Berufung auf Fraktionskreise, dass Unionsfraktionschef Volker Kauder zugesagt habe, Kürzungen von Mitteln für Projekte gegen Rechtsextremismus rückgängig zu machen. Kauder habe persönlich zugesagt, dass die Gelder im Etat von Schröder wieder hochgesetzt würden, falls es eine Kürzung geben sollte.

In der Bundestagsdebatte warf die Grünen-Fraktionsvorsitzende Künast auch den Sicherheitsbehörden schwere Fehler vor. "Wenn man hätte wissen wollen, hätte man wissen können", sagte sie. Aber in Deutschland seien die Verfassungsschutzämter immer noch vielmehr auf den Linksextremismus fokussiert und hätten "eine Ignoranz gegenüber der rechten Seite". So werde im Fernsehen über Neonazi-Treffen berichtet, der Verfassungsschutz aber wolle dies nicht gesehen haben.

Kritik am Verfassungsschutz äußerte auch Linke-Fraktionschef Gregor Gysi. "Es geht um mehr als ein Versagen der Sicherheitsbehörden", sagte er. Verfassungsschützer betrieben teilweise Kumpanei mit der rechtsextremen Szene. In der Debatte um V-Leute des Verfassungsschutzes in der rechten Szene sagte Gysi, es sei zu fragen, wer hier wen führe: Der Verfassungsschutz die Neonazis, oder die Neonazis den Verfassungsschutz.

Gysi forderte eine umfassende Aufklärung der Vorgänge. "Es ranken sich Fragen über Fragen." So sei unverständlich, weshalb die Ermittler die Täter der Mordserie im Umfeld der Mafia oder der Drogenszene gesucht hätten. "Warum wurde so etwas Naheliegendes wie rechtsextreme Täter eigentlich ausgeschlossen?", fragte Gysi. Politiker und Ermittler müssten ein Bewusstsein hinsichtlich der Gefahren des Rechtsterrorismus entwickeln, statt zu glauben, dass vorwiegend Gefahren von links ausgingen.

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, kritisierte die jüngste Bundestags-Debatte über Rechtsextremismus in Deutschland als zu dürftig. "Die Rede des Parlamentspräsidenten war hervorragend; und das ist das Wichtigste", sagte er der Mitteldeutschen Zeitung, fügte aber hinzu: "Die Debatte war etwas dürftig. Ich hätte erwartet, dass man mehr über Formen von Rassismus und seine Bekämpfung diskutiert. Dazu haben wir sehr wenig gehört. Darüber müssen wir in Zukunft mehr diskutieren."

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