Generaldebatte im Bundestag:Merkel will Juncker - egal, was Cameron sagt

Bundestag

Bundeskanzlerin Angela Merkel lobt in der Generaldebatte im Bundestag ihre eigene Regierung.

(Foto: dpa)

Kanzlerin Merkel bestreitet gelassen die Generaldebatte im Bundestag. Sie bekräftigt ihre Unterstützung für Juncker als neuen EU-Kommissionspräsidenten. Grünen-Fraktionschef Hofreiter arbeitet sich an der Regierung ab: "Kein Mut, kein Drive, das ist der Sound dieser Koalition."

Von Thorsten Denkler, Berlin, und Hannah Beitzer

  • In der Generaldebatte im Bundestag freut sich Kanzlerin Merkel über den ersten Haushalt ohne neue Schulden "seit 1960"
  • Merkel betont Rückendeckung für Juncker als EU-Kommissionspräsident - egal, was Großbritannien sagt
  • Oppermann rügt Linke für "Schmähkritik" an Gauck
  • Grünen-Fraktionschef Hofreiter wirft Regierung Politik auf Kosten künftiger Generationen vor
  • Linken-Fraktionschef Gregor Gysi attackiert die große Koalition

Merkel sieht Deutschland als Stabilitätsanker

Bundeskanzlerin Angela Merkel betont in der Generaldebatte im Bundestag, dass der Haushalt 2014 der erste "seit 1960" ohne neue Schulden sei. "Deutschland bleibt Stabilitätsanker und Wachstumsmotor in der EU", sagt die Bundeskanzlerin. Die deutsche Wirtschaft sei mit Schwung ins Jahr gestartet. Nach einem erwarteten realen Plus von 1,8 Prozent 2014 könnte die Wirtschaft im nächsten Jahr um zwei Prozent zulegen - bei weiter positiven Rahmenbedingungen. Dennoch sei die Euro-Krise noch nicht ausgestanden. Merkel spricht sich vor dem EU-Gipfel Ende der Woche klar gegen eine Lockerung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes aus. Dieser biete hervorragende Voraussetzungen für mehr Wachstum und Beschäftigung. Absolute Priorität habe die Schaffung von Arbeitsplätzen.

Rückendeckung für Juncker

Merkel betont, dass Deutschland den ehemaligen luxemburgischen Ministerpräsidenten Jean-Claude Juncker auch gegen Widerstand aus anderen EU-Staaten zum neuen EU-Kommissionspräsidenten wählen will. Mit Blick auf die Ablehnung Junckers durch Großbritanniens Premierminister David Cameron sagt sie: "Es ist kein Drama, wenn wir auch nur mit qualifizierter Mehrheit abstimmen werden."

Oppermann wirft Linkspartei "unglaubliche Entgleisungen" vor

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann schießt sich vor allem auf die Linkspartei ein. Er spricht mit Blick auf Äußerungen eines linken Landtags-Abgeordneten aus Brandenburg, der Bundespräsident Joachim Gauck einen "widerlichen Kriegshetzer" genannt hatte, von "unglaublichen Entgleisungen". Als Sozialdemokrat reagiere er da sensibel, "denn das war die Strategie der Nazis in der Weimarer Republik gegen Reichspräsident Ebert", argumentiert Oppermann in Hinblick auf die "Schmähkritik". Der brandenburgische Abgeordnete Norbert Müller hatte auf seiner Facebook-Seite Gaucks Äußerungen zur deutschen Außenpolitik mit den Worten kommentiert: "Mancher bleibt sich treu. Andere werden Bundespräsident und widerliche Kriegshetzer." Gysi sagte dazu, Müller habe sich "falsch ausgedrückt". "Es kann schon sein, dass der eine oder andere bei uns mal über das Ziel hinausschießt." Für die Linke wie für andere Parteien gelte aber: "Keine Partei kann für jede Äußerung eines einzelnen Mitglieds die Verantwortung übernehmen." Die Potsdamer Staatsanwaltschaft prüft mittlerweile, ob sie gegen Müller aktiv wird. Laut Paragraf 90 des Strafgesetzbuches droht bei Verunglimpfung des Bundespräsidenten eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren.

"Sie verramschen die Potenziale unseres Landes"

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter wirft der Regierung hingegen eine Politik auf Kosten zukünftiger Generationen vor. "Für ihr Rentenpaket zahlen am Ende junge Menschen doppelt", sagt er - durch höhere Beiträge und niedrigere Renten. Wo mehr Geld notwendig wäre, etwa bei armen Rentnerinnen und Rentnern, "an denen fließt Ihr schöner schwarz-roter Geldstrom vorbei", erregt sich Hofreiter. Zu wenig Geld investiere die Regierung in die Bildung, noch immer sei in Deutschland keine Chancengleichheit gegeben. "Sie verramschen die Potenziale unseres Landes", wirft der Fraktionschef der Grünen Merkel vor. Auch die Energiewende treibe die Regierung nicht entschieden genug voran. Die Ökostrom-Reform entpuppe sich als "handwerklicher Murks". Deutschland könne nicht Kohleland bleiben und zugleich internationaler Vorreiter für eine Energiewende sein. "Wir wollen Wertschöpfung hier, statt Milliarden für Diktatoren", sagt Hofreiter. Seine Bilanz: "Kein Mut, kein Drive, das ist der Sound dieser Koalition."

Oppositionsführer Gregor Gysi wirft Regierung soziale Kälte vor

Auch Gregor Gysi, Fraktionschef der Linkspartei, nutzt die Generaldebatte für einen Rundumschlag gegen die Regierung. Er wirft der großen Koalition eine Umverteilung zulasten der ärmeren Bevölkerungsschichten vor. Um zu einem ausgeglichenen Haushalt zu kommen, verschiebe Schwarz-Rot die Kindergelderhöhung sowie die Abschaffung der kalten Progression, zudem würden die öffentlichen Investitionen für Verkehrswege, Schulen oder IT-Netze weiter reduziert. Ein kostenloses Mittagessen für Schulkinder sei der Regierung zu teuer, "aber für die Commerzbank haben Sie Milliarden", sagt er. Gysi fordert einen flächendeckenden Mindestlohn von zehn Euro. Zugleich verlangt er eine grundsätzliche Reform der Rentenversicherung, in die künftig auch Beamte und Abgeordnete einzahlen müssten. Die unterschiedliche Höhe der Renten in Ost und West nennt er einen "Skandal". "Vielleicht kann man mit 90 im Bundestag rumdödeln ohne dass es einer merkt. Nur Dach decken geht dann nicht mehr", sagt der Oppositionsführer zum Thema Rente.

Was ist die Generaldebatte?

Der Bundestag soll am Freitag den Etat für 2014 beschließen. Dessen Verabschiedung hatte sich durch Bundestagswahl und Regierungsneubildung verschoben. Derzeit gilt eine vorläufige Haushaltsführung. Die Debatte über den Etat des Kanzleramts, die heute stattfindet, hat traditionell den Charakter einer Generalaussprache über die Politik der Regierung.

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