Generaldebatte im BundestagScholz pocht auf Asyl-Grundrecht – Merz sieht „Migrationskrise“

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Bundeskanzler Olaf Scholz (li., SPD) und CDU-Chef Friedrich Merz während der Generaldebatte im Bundestag.
Bundeskanzler Olaf Scholz (li., SPD) und CDU-Chef Friedrich Merz während der Generaldebatte im Bundestag. (Foto: Ebrahim Noroozi/AP)

Nach heftiger Kritik von CSU-Landesgruppenchef Dobrindt redet sich der Bundeskanzler in Rage. Die Union habe keine gemeinsame Lösung zur Migration gewollt. Oppositionschef Merz bemüht sich um einen ruhigen Ton, gibt sich in der Sache aber hart. Die Generaldebatte im Livestream.

Von Julia Bergmann

Wer in den vergangenen Tagen die Debatte über die Migrationspolitik verfolgt hat, ist an laute Töne aus der CSU gewöhnt. Ungewöhnlicherweise wird die Generaldebatte im Bundestag an diesem Mittwoch dann sogar von einem Christsozialen eröffnet: Alexander Dobrindt, Vorsitzender der Landesgruppe, poltert ordentlich los. Er erinnert an ein Gedankenspiel des Bundeskanzlers, demnach ein Weltreisender, der 2021 ohne Zugang zu Medien aufgebrochen und 2024 wieder zurückkommen sei, von der Regierungsbilanz wohl beeindruckt wäre. „Ich weiß nicht, ob es Ignoranz oder Arroganz ist. Aber es ist auf jeden Fall eine Respektlosigkeit gegenüber den Sorgen und Ängsten der Bürger in diesem Land“, sagt Dobrindt.

„Ist Deutschland heute sicherer als 2021? Nein! Ist Deutschland heute wettbewerbsfähiger als 2021? Nein!“, ruft er und setzt damit den Ton für diese Debatte. Noch schlimmer aber ist laut CSU-Landesgruppenchef: Der Kanzler habe am Dienstag beim Treffen zwischen Ampelregierung und Union die Gelegenheit versäumt, die irreguläre Migration wirksam zu begrenzen.

Es ist überraschend, dass Dobrindt an diesem Mittwoch die Debatte eröffnet. Üblicherweise fällt diese Aufgabe dem Oppositionsführer, also CDU-Chef Friedrich Merz, zu. Doch der spricht erst nach dem Kanzler.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) beginnt seine Rede im Anschluss mit einem Blick auf Thüringen und Sachsen: Die Wahlergebnisse für die AfD seien „bedrückend. Und wir werden uns in Deutschland niemals daran gewöhnen.“

Auf die Forderung nach schärferer Begrenzung der Zuwanderung entgegnet Scholz, der wirtschaftliche Erfolg der vergangenen 20 Jahre „hat damit zu tun, dass viele Frauen und Männer aus anderen Ländern Europas und (...) der Welt mit angepackt haben (...) und dafür gesorgt haben, dass diese Wirtschaft nach vorn kommt“. Scholz sagt: „Wir wollen, dass man hier anpackt, dass man die deutsche Sprache lernt, dass man sich an die Gesetze hält, aber dann auch mitbestimmt.“ Mit den Gesetzen, die die Ampel auf den Weg gebracht habe, sei das nun auch in Deutschland möglich.

Scholz: „Wir müssen uns aussuchen können, wer nach Deutschland kommt“

Vor dem Hintergrund der „Tragödie des Faschismus und des Nationalsozialismus“ unterstreicht Scholz, dass Deutschland ein Land sei, das denjenigen, die politisch verfolgt werden, die ihr Leben retten müssten, Schutz biete. „Das steht in unserem Grundgesetz. Und das stellen wir nicht zur Debatte.“

Weltoffenheit bedeute nicht, dass jeder kommen könne, der das möchte. „Wir müssen uns aussuchen können, wer nach Deutschland kommt.“ Es müsse gelingen, „dass wir die Zahl derjenigen, die irregulär nach Deutschland kommen, reduzieren und dass wir diejenigen, die nicht bleiben können, auch wieder zurückführen“.

Den konservativen Innenministern der vergangenen Jahre wirft der Kanzler „Untätigkeit“ vor. „Sie können es nicht“, sagt Scholz in Richtung der Unionsparteien und ihres Fraktionsvorsitzenden Merz. „Sie sind der Typ von Politiker, der glaubt, mit einem Interview in der Bild am Sonntag hätte er schon die Migrationsfrage gelöst“, ruft er.

Es wäre gut gewesen, in der Migrationsfrage zu gemeinsamen Lösungen zu kommen. „Wir schlagen niemals eine Tür zu, Sie können immer wieder kommen“, sagt er direkt an Merz gerichtet über die gescheiterten Gespräche mit der Union. Diese habe sich allerdings „in die Büsche geschlagen“.

Scholz verteidigt die Abschiebung von Straftätern auch nach Afghanistan und Syrien und kündigt weitere Flüge an. „Wir werden alle Möglichkeiten, Zurückweisungen durchzuführen im Rahmen des geltenden Rechts, nutzen.“

Als Merz schließlich ans Rednerpult tritt, spricht er zunächst ein anderes Thema an. Er stellt den Terroranschlag vom 11. September 2001, der sich heute zum 23. Mal jährt, in eine Reihe mit dem Beginn des Angriffskriegs der Russlands auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 und auch mit dem Überfall der Hamas-Terroristen auf Israel am 7. Oktober 2023. Diese drei Daten markierten das, was der Kanzler zu Recht als Zeitenwende bezeichnet habe.

Merz: Union gegen jede Form von Fremdenhass und Ausländerfeindlichkeit

Im Gegensatz zu seinem angriffslustigen Kollegen Dobrindt spricht Merz betont ruhig: „Wir müssen immer und immer wieder sagen, auf wessen Seite wir stehen. (...) Wir stehen sehr konkret an der Seite der Menschen, der Opfer von Terror und Krieg.“ Man dürfe nicht den Eindruck erwecken, man könne mit einer elegant daherkommenden Friedens- und Diplomatierhetorik einen Kriegsverbrecher wie Putin zum Aufgeben bewegen.

Schnell kommt Merz aber auch auf das beherrschende Thema zu sprechen: Migration. Diese bewege die Menschen in Deutschland seit Monaten. „Es ist vor allem die unbewältigte Migrationskrise. Und spätestens seit dem Terrorakt von Solingen ist den meisten von uns nun wohl endgültig klar geworden, dass es so wie es bisher war einfach nicht weitergehen kann“, sagt er.

Er möchte klarstellen, worum es ihm in dieser Diskussion geht, sagt Merz: „Deutschland muss ein offenes und ausländerfreundliches Land bleiben.“ Viele Menschen mit Migrationshintergrund lebten seit Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten, in Deutschland. „Ohne sie könnten Krankenhäuser, Altenpflegeheime, viele weitere soziale Einrichtungen aber auch Schulen, Gastronomiebetriebe und zahlreiche Unternehmen in Deutschland keinen Tag erfolgreich arbeiten.“ Deshalb brauche Deutschland diese Menschen. „Wir brauchen in den nächsten Jahren möglicherweise eher sogar mehr von ihnen.“ Sie seien willkommen. „Und deswegen stehen wir als Union und als Bundestagsfraktion klar und unmissverständlich, klar und unmissverständlich, gegen jede Form von Fremdenhass und Ausländerfeindlichkeit.“

Merz mahnt, die Politik dürfe gleichzeitig die Augen vor zwei Entwicklungen nicht verschließen. Zum einen sei die Zahl derer, die in den vergangenen Jahren gekommen seien und bisher nicht integriert werden konnten, einfach zu hoch. „Und unter denen, die gekommen sind, ist eine kleine Minderheit (...), vor allem von jungen Männern, die sich nicht an die Regeln halten wollen, die in unserem Land gelten. Über die müssen wir sprechen.“

Merz wiederholt in diesem Zusammenhang seine zentrale Forderung: Die wenigstens auf Zeit angelegte Zurückweisung aller Asylbewerber an den deutschen Staatsgrenzen, „die allesamt nach den Regeln der Europäischen Union in dem Land, in dem sie zuerst eingereist sind, einen Asylantrag hätten stellen müssen“.

Die Ampel hatte diesen Vorschlag der Union nicht mitgetragen. Merz sagt nun im Bundestag, dieser sei „rechtlich zulässig, praktisch möglich und im Lichte der gegenwärtigen Lage sogar politisch geboten“. Die Vorschläge der Ampel blieben hinter diesen „Notwendigkeiten weit zurück“ und man begebe sich „auch nicht in eine Endlosschleife von Gesprächen“.

Weidel: „Sie sind ein Kanzler des Niedergangs“

Kritik an der Migrationspolitik der Ampel kommt wie zu erwarten auch von der AfD. Co-Parteichefin Alice Weidel sagt: „Sie wollen sich immer noch einreden, dass die Wähler Ihnen in Scharen davonlaufen, weil Sie ihnen Ihre Politik nicht gut genug erklärt hätten. Das Gegenteil ist der Fall.“ Die Bürger hätten ganz genau begriffen, dass Scholz’ Politik „Wohlstandsvernichtung, Deindustrialisierung, Massenmigration und Verlust der inneren Sicherheit bedeutet.“

Weidel kritisiert auch die Abschiebung von afghanischen Straftätern Ende August: „Sie zelebrieren kurz vor den Landtagswahlen eine absurde Luxusabschiebung von ganzen 28 afghanischen Schwerstkriminellen und geben ihnen noch ein fürstliches Handgeld von 1000 Euro mit auf den Weg.“

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katharina Dröge, wirft der Union bei der Migration „Politik ohne Sinn und Verstand“ vor. Die Union habe an einem vernünftigen Dialog kein Interesse gehabt. Die Bürgerinnen und Bürger erwarteten, dass sich nicht jeder wie ein Kind im Sandkasten verhalte und sich beleidigt zurückziehe, wenn es nicht allein bestimmen dürfe. Sie nennt es naiv zu glauben, dass andere europäische Staaten einer solchen Grenzschließung einfach zuschauen würden.

FDP-Fraktionschef Christian Dürr ruft die Union nach Abbruch der Migrationsgespräche in seiner Rede zur Zusammenarbeit mit der Ampel auf: „Für eine Blockade in der Frage der Ordnung und Begrenzung der Migration haben die Menschen in Deutschland kein Verständnis mehr.“

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