Generalbundesanwalt:Checkliste des rechten Terrors

Generalbundesanwalt: Neonazi, rechtsextrem, Rechtsterrorist? Mitglieder der rechten Szene geben sich selten offen zu erkennen, und Ermittlern fällt es offenbar schwer, die Erscheinungsformen des Rechtsextremismus entsprechend einzuordnen.

Neonazi, rechtsextrem, Rechtsterrorist? Mitglieder der rechten Szene geben sich selten offen zu erkennen, und Ermittlern fällt es offenbar schwer, die Erscheinungsformen des Rechtsextremismus entsprechend einzuordnen.

(Foto: imago)
  • Wie erkennt man rechtsterroristische Zusammenhänge? Der Generalbundesanwalt hat hierzu eine Art Checkliste zusammengestellt.
  • Sie bietet Anhaltspunkte für Ermittler - soll jedoch eine "rechtlich wertende Beurteilung" nicht ersetzen.
  • In der Indikatoren-Liste finden sich zahlreiche Punkte, die auch auf die "Gruppe Freital" zutreffen.

Von Lena Kampf und Hans Leyendecker

Wenn einer einen "Hang zur germanischen Brauchtumspflege und zur nordischen Mythologie" hat, wenn er den Nationalsozialismus verherrlicht, ein "auffälliges Interesse oder sogar Affinität zu Waffen und Sprengstoffen" zeigt und wenn ihm "Hakenkreuz, SS-Totenkopf, Gauwinkel" und ähnliche Symbole viel bedeuten, dann spricht manches dafür, dass er möglicherweise mal ein Rechtsterrorist werden könnte - oder bereits einer ist.

Eine ellenlange Liste von Indikatoren, also Anzeichen "zum Erkennen rechtsterroristischer Zusammenhänge", hat der Generalbundesanwalt zusammengestellt und als zehnseitiges Merkblatt an Staatsanwälte in der Republik verschickt. Kann man aber eins und eins addieren und hat dann einen konkreten Verdacht?

Die Festnahmen von mutmaßlichen Rechtsterroristen im sächsischen Freital am Dienstag waren schon spektakulär. Die Bundesanwaltschaft wirft sieben Männern und einer Frau vor, spätestens im Sommer 2015 die rechtsterroristische "Gruppe Freital" gegründet und Asylbewerberheime sowie Wohnungen von politischen Gegnern angegriffen zu haben. Sachsens Innenminister Markus Ulbig vermutet, da könne noch mehr sein: "Der Ermittlungskomplex ist durchaus größer, und weitere Aktivitäten laufen derzeit". Das sagen Politiker häufig nach Zugriffen.

Indikatorenliste - ein Beitrag aus der Praxis

Es gibt nach dem unfassbaren Versagen diverser Behörden im Terror-Fall "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) bundesweit die Erkenntnis, dass sich so etwas nie wiederholen darf. Der NSU hat zehn Menschen ermordet, und die Sicherheitsbehörden bekamen nichts mit.

Nach dem großen Desaster schuf der Bund das Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus, die Sachsen gründeten ein eigenes Operatives Abwehrzentrum, beim Bundeskriminalamt wurde eine Clearingstelle Asyl eingerichtet, in der seit zwei Jahren alle Informationen über Angriffe auf Asylbewerberheime gesammelt werden. Auch der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages hat 2014 in seinem Bericht Konsequenzen gefordert: 50 Punkte umfasst eine Liste von Empfehlungen, was sich ändern müsse.

Die Indikatorenliste der Karlsruher Bundesanwaltschaft, die 2015 verschickt wurde, ist da eher ein Beitrag aus der Praxis. Das Papier hat Stärken und Schwächen. Es macht auch klar, was die Behörden im Fall NSU alles nicht wussten, und es lässt ahnen, dass sie immer noch keinen ganz großen Durchblick haben.

Hinweise allein reichen nicht

In einer "erläuternden Einführung" macht die oberste deutsche Ermittlungsbehörde gleich klar, dass sich die "Vielzahl der Erscheinungsformen" im Bereich des Rechtsterrorismus oder Rechtsextremismus "einer schematischen Bewertung" entziehe.

Ein "schlichtes Addieren von Treffern anhand der Indikatorenliste" könne eine "rechtlich wertende Beurteilung nicht ersetzen". Gefordert sei "ebenso eine hohe Sensibilität für mögliche staatsschutzrelevante Hintergründe wie das von staatsanwaltlicher Erfahrung getragene Augenmaß". Das hören örtliche Strafverfolger gern. Dass von oben gesagt wird, wo es lang geht, mögen sie meist nicht.

Es brennt

Unbekannte haben in der Nacht zum Mittwoch einen Brandanschlag auf eine Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge im Chemnitzer Stadtteil Einsiedel verübt. Laut dem für Extremismus zuständigen Operativen Abwehrzentrum (OAZ) in Leipzig wurden drei Molotowcocktails geworfen. Diese landeten wenige Meter von einem Gebäude entfernt, in dem 21 Menschen untergebracht sind. Der Wachschutz konnte die Flammen löschen. Verletzt wurde niemand. In Einsiedel hatte es wiederholt Proteste gegen Flüchtlinge gegeben. Derzeit leben knapp 100 Asylbewerber in dem ehemaligen Pionierlager, fast ausschließlich Familien mit Kindern. Hinter den hinter den Schüssen auf eine Flüchtlingsunterkunft am 4. Januar im südhessischen Dreieich steckt offenbar kein fremdenfeindliches Motiv. Nach Angaben des Radiosenders HR Info war möglicherweise ein missglücktes Drogengeschäft der Grund für die Tat, bei der ein syrischer Asylbewerber verletzt wurde. Ein 27-jähriger Deutscher wurde festgenommen. Ulrike Nimz

Was man vor dem Fall NSU alles nicht wusste: Die Ermittlungen, so die Bundesanwaltschaft, hätten "erkennen lassen, dass auch Schusswaffen in der rechten Szene vorhanden sind und eingesetzt werden". Die Ergebnisse weiterer Ermittlungen belegten, "dass die rechte Szene sogar über eine erhebliche Anzahl an Waffen und Munition verfügt". Sie habe allerdings noch mehr Hieb- und Stichwaffen und auch Zugang zu Sprengstoffen.

Weitere Erkenntnis: Neben fremdenfeindlichen Angriffen von Einzeltätern oder Kleinstgruppen und Brandanschlägen (zum Beispiel auf Asylunterkünfte) sei "in Einzelfällen auch mit Tötungsdelikten zu rechnen". In dem Papier heißt es weiter, die Zugehörigkeit zu einer rechtsextremistischen Partei oder politischen Organisation wie "Der dritte Weg" oder "Die Rechte" könne ebenso ein Indikator für den Pfad zum Rechtsterroristen sein wie "Kontakte zur völkischen Bewegung, Entfaltung von rechtsextremistischen Aktivitäten im Internet".

Wer sich mit den beiden großen mutmaßlichen Fällen von Rechtsterrorismus, der Oldschool Society (OSS) und der "Gruppe Freital" beschäftigt, stellt fest, dass es in der Indikatoren-Liste zahlreiche Punkte gibt, die auf beide Gruppierungen zutreffen. Im Fall der OSS, die offenbar Anschläge auf Asylantenheime plante, waren es unter anderem die Online-Umtriebe und der Hang zu rassistischen Symbolen. Im Fall der "Gruppe Freital" gibt es Übereinstimmungen bei "Ideologie" und "Verhalten".

Gewöhnlich ist es so, dass in solche Verfahren Bewegung kommt, wenn sich, wie im Fall Freital, Karlsruhe einschaltet. Dazu passt Punkt 23 der Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses: "Für die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts sollte der Gesetzgeber . . . einen größeren Spielraum eröffnen."

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