Süddeutsche Zeitung

Gene Sperling soll Obama beraten:Meister der Kompromisse

Gene Sperling soll zum wichtigsten Wirtschaftsberater des US-Präsidenten aufsteigen - obwohl ihm die US-Linke schon Verrat vorgeworfen hat.

Christian Wernicke, Washington

Es kehrt einer zurück, der eigentlich nie weg war. Gene Sperling, so zwitschern die Spatzen auf Washingtons Dächern, soll an diesem Freitag wieder exakt dort landen, wo er Mitte der neunziger Jahre schon einmal saß: im Büro des Vorsitzenden des National Economic Council (NEC). An diesem strategischen Platz wird der ökonomische Kurs der US-Regierung konzipiert, und als engster Wirtschaftsberater des Präsidenten darf der 52-jährige Demokrat künftig allmorgendlich Barack Obama die volkswirtschaftliche Krisenlage referieren. Davon, und ob es mit Sperlings Ratschlag gelingt, die erdrückende Arbeitslosigkeit zu überwinden, hängt nicht viel weniger ab als des Präsidenten Wiederwahl im Herbst 2012.

Zuletzt waren die offenkundigen Talente Sperlings - sein scharfer analytischer Verstand, ein ideologiefreier Geist sowie sein überaus geschmeidiges Wesen - dem Präsidenten im Dezember aufgefallen. Als Chefunterhändler der Regierung gelang es dem quirligen kleinen Mann überraschend schnell, mit den oppositionellen Republikanern einen 858 Milliarden Dollar schweren Steuerkompromiss auszuhandeln. Der Deal sicherte Millionen Arbeitslosen die Stütze, bescherte zugleich jedoch Amerikas reichsten Ständen lukrative Steuernachlässe - weshalb die US-Linke das Paket als politische Kapitulation geißelte und Sperling, dem bisherigen Berater im Finanzministerium, Verrat vorwarf.

Das kennt Sperling, das war nie anders gewesen. Auch 1993 nicht, als der damals 34-Jährige als stellvertretender NEC-Chef das erste Mal in die Regierungszentrale einzog. Dieser agile Intellektuelle war ein Vordenker jenes "Dritten Weges", auf dem Bill Clinton seine Demokraten zurück in die politische Mitte führte. Sperling nennt sich selbst einen "Pro-Wachstums-Progressiven", einen neoliberalen Linken also, der mit strikt marktgerechten Instrumenten eine halbwegs sozialdemokratische Reformpolitik umsetzen will.

Sperlings größter Erfolg in den neunziger Jahren war die massive Ausweitung staatlicher Lohnsubventionen zur Unterstützung der Gruppe der Working Poor, die zwar ein Gehalt beziehen, statistisch aber zu den Armen gerechnet werden. Das Programm half Millionen alleinerziehenden (meist schwarzen) Müttern, per Billigjob plus Staatszuschuss ein Auskommen zu finden. Später half Sperlings Verhandlungsgeschick, der republikanischen Opposition im Kongress einen Kompromiss zum Budgetausgleich und Defizitabbau abzuringen. Ein solches politisches Wunder soll er, der schon 2006 Obama beriet, im Wahlkampf aber zunächst dem Hillary-Lager angehörte, nun dem Präsidenten bescheren.

Der Linken ist der am Weihnachtstag 1958 im Uni-Städtchen Ann Arbor geborene Jurist und Betriebswirt suspekt. Blogger geißeln, dass Sperling während der Bush-Jahre Finanzhäusern der Wall Street als Berater diente und 2008 knapp 900 000 Dollar Honorar einstrich für ein Projekt zur Förderung afrikanischer Kleinunternehmerinnen. Die Republikaner hingegen schätzen Sperling als ehrlichen Verhandler. Diesen Meister pragmatischer Kompromisse braucht Obama jetzt.

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Quelle:
SZ vom 7.1.2011/jul/plin/plin
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