Genc-Preis in Berlin:Geehrtes NSU-Opfer rührt Gäste zu Tränen

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Als ihr Vater vor zwölf Jahren von der NSU in seiner Änderungsschneiderei ermordet wird, ist Tülin Özüdogru 17 Jahre alt. Jetzt hat sie in Berlin den Genc-Preis verliehen bekommen. Aber auf das Zeichen der Liebe, das sie sich von Deutschland ersehne, warte sie noch immer, sagt Özüdogru in ihrer emotionalen Rede.

Von Stefan Braun, Berlin

Es gibt viele Veranstaltungen in Berlin. Aber es gibt nur wenige, die emotional berühren. Und es gibt so gut wie nie eine, bei der alle Anwesenden Tränen in den Augen haben. Genau das ist am Dienstag aber passiert. Bei der Verleihung des Genc-Preises 2013 trat die Tochter eines von der NSU ermordeten Mannes auf. Und sie rührte die 150 Gäste.

Tülin Özüdogru musste sich sehr aufraffen, nach Berlin zu kommen. Anders als andere Angehörige hat die 30-Jährige die Öffentlichkeit bis heute gemieden. An diesem Vormittag ahnt man, warum. Schon vor ihrem Auftritt im Saal des Hotels Adlon spürt man, wie die junge Frau um Fassung ringt. Die Tat mag zwölf Jahre her sein. Die Wunden sind bis heute offen.

Als ihr Vater Abdurrahim am 13. Juni 2001 in seiner Änderungsschneiderei in Nürnberg ermordet wird, ist sie gerade siebzehn und verliert das Glück ihres Lebens. Was der Vater für sie war, wie das Leben nach seinem Tod einstürzt, wie die Behörden Misstrauen säen, wie Existenz, Freunde und Ehre entgleiten und Mama und Tochter niemandem mehr trauen, weil ihnen nicht getraut wird - das erzählt Tülin Özüdogru. Zehn Minuten spricht sie, fast zehn Minuten kämpft sie gegen Tränen, alle hören zu. Bundestagspräsident Norbert Lammert als Schirmherr, SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier als ein Laudator, Maria Böhmer, die Integrationsbeauftragte der Regierung.

Die zierliche, dunkelhaarige Frau sagt dann noch mehr. Sie sagt, der Preis sei eine riesige Ehre. Sie sagt, dass sie in Deutschland geboren sei, dass es ihre Heimat sei, ja, dass sie Deutschland liebe. Aber das Zeichen der Liebe, das sie sich umgekehrt von Deutschland ersehne, habe sie noch immer nicht bekommen. Es klingt nicht nach Vorwurf, es ist Enttäuschung. Eine Enttäuschung, die vom Applaus und den Gästen, die sich alle erheben, wenigstens für einen Moment gelindert wird.

Der Genc-Preis, den außer Özüdogru auch der SPD-Politiker Sebastian Edathy als Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses erhält, ist mit 10.000 Euro dotiert. Er wird von der Türkisch-Deutschen Gesundheitsstiftung, der Deutsch-Türkischen Gesellschaft und der Allianz Kulturstiftung verliehen und erinnert an die Familie Genc, die 1993 bei einem rassistischen Brandanschlag in Solingen fünf Angehörige verlor. Edathy sagte, im Rahmen der NSU-Morde habe der Staat seine zwei rechtsstaatlichen Kernversprechen gebrochen. Er habe die Menschen nicht schützen können und danach auch bei der objektiven und fairen Aufklärung der Morde versagt. Entsprechend lang sei nun der Weg, um sich das zerstörte Vertrauen wieder zu erarbeiten.

© SZ vom 26.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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