Süddeutsche Zeitung

Gemeinsames Papier:Rot-rot-grüne Gruppe gegen Gabriel

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Von Christoph Hickmann, Berlin

Auf dem linken SPD-Flügel gibt es Kritik an der Art und Weise, in der Parteichef Sigmar Gabriel angesichts der hohen Flüchtlingszahlen ein Solidarprojekt auch für die einheimische Bevölkerung gefordert hat. Man habe zugelassen, "dass die Diskussion in Deutschland über die Aufnahme sowie die Integration von Geflüchteten auch zu einer Sozialneiddebatte geworden ist", heißt es in einem gemeinsamen Papier von Politikern aus SPD, Linkspartei und Grünen, das mehrere sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete unterschrieben haben. "Überwiegend, auch zum Teil in unseren Parteien", werde "die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen" zugunsten sozialer Gerechtigkeit für deutsche Staatsbürger "in Frage gestellt".

Die Integration von Flüchtlingen stehe aber "gerade nicht im Gegensatz zur sozialen Frage", heißt es in dem Papier mit der Überschrift "Neue Solidarität und mehr Investitionen in die Zukunft". Ein Solidarprojekt, wie es Gabriel fordere, sei "sicherlich" überfällig. "Jedoch wollen wir kein Solidarprojekt, weil die AfD gewählt wurde, sondern weil alle hier lebenden Menschen nicht erst mit der Wahl der AfD ein Recht auf soziale Gerechtigkeit und Teilhabe haben", so die knapp 20 Unterzeichner.

Gabriel hatte vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt ein "neues Solidarprojekt" gefordert, in dem Geld für Kita-Plätze, sozialen Wohnungsbau und die Aufstockung kleiner Renten enthalten sein sollte. Nach der Einigung auf die Eckwerte für den Bundeshaushalt 2017 verwiesen die Sozialdemokraten dann kürzlich triumphierend auf zusätzliche Milliarden, die einen "Einstieg" in das Solidarprojekt bedeuteten. Die rot-rot-grüne Gruppe formuliert nun in ihrem Papier, ein "solches Solidarprojekt" komme "nicht von allein", sondern koste Geld - "und für uns stellt sich somit erneut die Frage nach einer solidarischen Umverteilung". Auch damit setzen sie sich von Gabriel ab, der eine Diskussion über Umverteilung mittels Steuererhöhungen möglichst vermeiden will.

Für die SPD haben unter anderem die Bundestagsabgeordneten Sönke Rix und Frank Schwabe unterzeichnet, außerdem die Geschäftsführerin der "Denkfabrik" in der SPD-Fraktion, Angela Marquardt. Auf Seiten der Linken gehören etwa die Abgeordneten Stefan Liebich und Halina Wawzyniak zu den Unterzeichnern, während von den Grünen unter anderem die Parlamentarier Agnieszka Brugger und Sven-Christian Kindler unterschrieben haben. Sie alle setzen sich seit Längerem für eine Zusammenarbeit ein und versuchen in ihrem Papier, ein Solidarprojekt "aus rot-rot-grüner Perspektive" zu definieren, da es nur realistisch sei, wenn die "Mehrheitsverhältnisse zur Verfügung stehen".

So fordern sie unter anderem, die "Einkommens- und Vermögensschere" dürfe sich nicht weiter öffnen. "Steuern müssen darauf entsprechende Antworten geben. Die Kapitalbesteuerung ist zu gering, beim Spitzensteuersatz besteht Luft nach oben." Das Geld wolle man "in Bildung, Erziehung, Familie und öffentliche Infrastruktur" investieren.

Zudem wolle man ein "Rentenniveau, das Altersarmut verhindert", wofür man "eine große Rentenreform" brauche, "die auch eine vollständige Ost-West-Angleichung einschließt". Für eine "solidarische Krankenversicherung" sollten darüber hinaus "alle nach ihrer Leistungsfähigkeit in ein öffentliches System einzahlen". Die Kommunen müssten genügend Geld bekommen, die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit sowie humanitäre Hilfe sollten deutlich erhöht werden, fordern die Unterzeichner.

Allerdings ist ihnen bewusst, dass die drei Parteien derzeit laut Umfragen weit von einer Mehrheit auf Bundesebene entfernt sind. "Wir wissen, dass die zurückliegenden Landtagswahlen trotz erhöhter Beteiligung kein Rückenwind für links-grüne Koalitionen waren, im Gegenteil", schreiben sie. "Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass das rot-rot-grüne Lager in den drei Ländern zusammen über 265 000 Parteistimmen verloren hat."

Zwar trage die Mehrheit in der Gesellschaft "die Ideen und politischen Ansätze für soziale Gerechtigkeit, Umverteilung und Solidarität" - dennoch müsse man anerkennen, "dass solidarische Antworten auf drängende soziale Fragen in der Vergangenheit in der Politik nicht mehrheitsfähig durchsetzbar" gewesen seien. Es sei aber "zu früh", von Rot-Rot-Grün jetzt abzurücken, "dieser über eine bloße Addition einer Idee hinausreichenden strategischen und politischen Option", heißt es in dem Papier. "Uns verbindet nach wie vor vieles."

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SZ vom 31.03.2016
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