Reform:Wer gemeinnützig ist - und wer es werden könnte

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Viele deutsche Traditionsvereine profitieren finanziell von der Gemeinnützigkeit. Politische NGOs wollen das auch. (Foto: dpa)
  • Nach dem Entzug der Gemeinnützigkeit für die Kampagnenorganisation Campact arbeitet Bundesfinanzminister Olaf Scholz an der Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts.
  • Der Katalog der Förderungsgründe ist reformbedürftig, ein übergreifender Gedanke davon, was der Staat aus welchen Gründen fördern möchte, ist nicht erkennbar.
  • Wer die Gemeinnützigkeit für mehr politisches Engagement öffnen will, muss zwischen politischen NGOs und Parteien einen Abstand wahren.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Natürlich war wieder vom "Maulkorb" für die Zivilgesellschaft die Rede, aber wirklich überraschend kam der Entzug der Gemeinnützigkeit für die Kampagnenorganisation Campact nicht mehr. Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte im Februar mit seinem Urteil zu Attac das Ende der steuerlichen Großzügigkeit für politisch aktivistische Organisationen eingeleitet. Er hatte sich für eine enge und sehr konservative, aber keineswegs zwingende Lesart von Gemeinnützigkeit entschieden, da hatten seine Kritiker recht.

Der einschlägige Paragraf 52 Abgabenordnung, der auch die "allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens" erwähnt, hätte genügend Raum für eine großherzige Auslegung geboten. Solche Paragrafen sind ja nicht aus Beton. Andererseits: Der Richterspruch aus München war kein Skandalurteil. Er spiegelt vielmehr die - freilich angestaubte - Aufgabenteilung, nach der die eigentliche politische Arbeit, gerichtet auf konkrete Maßnahmen und Gesetze, in den Parteien stattfindet. Nichtregierungsorganisationen können sich zwar einmischen, wo sie mögen; förderungswürdig ist aber nur eine eher "allgemeine" Politikarbeit.

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Die Organisation darf damit keine Spendenquittungen mehr ausstellen. Im Februar hatte der Bundesfinanzhof bereits dem Netzwerk Attac die Gemeinnützigkeit aberkannt.

Konsequenz dieses Urteils ist, dass der Gesetzgeber die Sache überdenken will. Man arbeite "mit Hochdruck an der Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts", ließ Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) mitteilen, in den nächsten Wochen werde man einen Vorschlag vorlegen. Dass die Regeln dringend reformbedürftig sind, kann jeder nachvollziehen, der den Katalog der Förderungsgründe einmal durchgelesen hat. Hier und da lässt sich zwar noch erkennen, dass Gemeinnützigkeit ursprünglich der Lohn des Staates für Vereine war, die ihn bei der Erfüllung seiner Aufgaben entlasten - die Förderung von Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur, Lebensrettung, Denkmalschutz.

Vieles aber liest sich wie ein Arbeitsnachweis für Wahlkreisabgeordnete und Lobbyisten, die dort ihr Thema unterbringen konnten: Tierschutz und Verbraucherberatung, Sport und Heimatkunde, Tierzucht und Kleingärtnerei, Karneval und Reservistenbetreuung, Modellflug und Hundesport. Alles sicher sinnvoll oder wenigstens nicht verwerflich. Aber man merkt auch: Ein übergreifender Gedanke davon, was der Staat aus welchen Gründen fördern möchte, ist nicht in Ansätzen erkennbar.

Ob Olaf Scholz eine solche Idee hat, ist noch nicht klar: "Wenn Organisationen, die sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzen, schlechtergestellt werden als jeder x-beliebige Verein, müssen wir das Steuerrecht ändern", teilt das Ministerium mit. Das klingt zwar sympathisch, dahinter können sich aber zwei Varianten verbergen. Eine Grundsatzreform zur Förderung eines breiten politischen Engagements. Oder eben eine Verlängerung der Wunschliste. Für den großen Wurf würde man ohnehin die CDU benötigen, die zu Jahresbeginn aber am liebsten gleich noch die Deutsche Umwelthilfe aus dem Club der Steuerbegünstigten verbannt hätte. Politisch einfacher ist es daher, lieber hübsche neue Fördertitel zu schaffen. Die Länderfinanzminister haben ein paar Anregungen gegeben: Schutz vor Diskriminierung wegen geschlechtlicher Identität, Klimaschutz, Pflege von Friedhöfen, Ortsverschönerung. Dass dafür der Karneval oder die kirchlichen Zwecke gestrichen werden, ist nicht zu erwarten.

Einen offensiven Reformansatz vertreten die Grünen. Sie wollen die Teilhabe der Bürger an der politischen Willensbildung stärken. Aus ihrer Sicht ist das auch ein Gebot der Gleichbehandlung, weil Verbände wie der CDU-Wirtschaftsrat trotz breiter politischer Kampagnen von der Gemeinnützigkeit profitieren. Bei ihnen klingt der Grundgedanke durch, der gerade in einer Zeit eine hohe Plausibilität hat, in der man Politikverdrossenheit beklagt und gesellschaftliche Spaltung befürchtet. Müsste nicht jede Form von politischem Engagement jeden Steuer-Euro wert sein?

Aber auch die Grünen wollen einen Mindestabstand zwischen politischen NGOs und Parteien wahren. Der Gesetzgeber solle klarstellen, "dass tagespolitische Einflussnahme von gemeinnützigen Verbänden ihm Rahmen der Verfolgung ihres Zwecks zulässig ist, soweit die parteipolitische Neutralität gewahrt wird und die Mittelverwendung nicht die Regelungen zur Parteienfinanzierung umgeht", schrieben Manuela Rottmann und Lisa Paus Anfang August im Tagesspiegel. Da mag die Sorge der Parteien mitschwingen, dass man nicht eine explizit politische Bewegung nähren will, die am Ende - siehe Frankreich - Parteien hinwegfegen kann. Vor allem aber ist dies Ausdruck einer verfassungsrechtlichen Ordnung, die der Parteienfinanzierung Grenzen setzt und Transparenz abverlangt. Politische Vereine zur Parteifinanzierung durch die Hintertür einzuladen, könnte dunkle Kanäle für dubiose Sponsoren öffnen, die mit viel Geld ihre politischen Vorstellungen groß machen wollen. "Parteien und Vereine sind aus guten Gründen rechtlich anders zu behandeln, diesen Unterschied kann man auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht einfach einebnen", sagt der Hamburger Finanzsenator Andreas Dressel (SPD).

Auch, wer die Gemeinnützigkeit für mehr politisches Engagement öffnen will, wird daher solche Grenzen ziehen müssen. Das ist kompliziert, aber machbar, sagt der Staatsrechtler Joachim Wieland. Attac wäre dann wohl wieder drin in der Förderung. Wer das möchte, wird freilich hinnehmen müssen, dass dann auch andere Bewegungen vom staatlichen Topf profitieren könnten. Zum Beispiel Pegida.

© SZ vom 25.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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