Geißler zu Stuttgart-21-Stresstest:"Provokationen sollte man jetzt lassen"

Wie teuer darf Stuttgart 21 werden? Schlichter Heiner Geißler wird bald das Ergebnis des Stresstests zum geplanten Bahnhof vorstellen - und macht im SZ-Gespräch klar, dass es einen Weiterbau um jeden Preis kaum geben kann. Wie er die Gefahr eines Datenpfuschs sieht, wie die Rolle von Bahnchef Grube und warum er mehr als ein Vorleser sein wird.

Heribert Prantl

SZ: Herr Geißler, Sie sollen im Auftrag des Lenkungskreises Stuttgart 21, dem unter anderem Bahn-Chef Grube und der grüne Verkehrsminister Herrmann angehören, am 14. Juli das Ergebnis des sogenannten Stresstests vorstellen. Sie waren im Herbst vergangenen Jahres der Schlichter. Jetzt sind Sie der Vorleser. Ist das nicht eine ziemlich mickrige Rolle?

Geißler: Den Vorleser mache ich nicht. Wenn sich der Lenkungskreis so etwas vorstellen sollte, findet die Lesestunde nicht statt.

SZ: Was sind Sie denn dann, wenn Sie demnächst den Stresstest vorstellen?

Geißler: Ich muss feststellen können, dass das Ganze dem entspricht, was in der Schlichtung vereinbart worden ist - und ich werde das Ergebnis des Tests mit allen Beteiligten diskutieren.

SZ: Die Bahn sollte per Stresstest nachweisen, dass der neue Bahnhof um 30 Prozent leistungsfähiger ist als der alte. Zu diesem Zweck sollen Computersimulationen gemacht werden. Ist denn die Stresstest-Firma SMA von der Bahn überhaupt mit den richtigen, unumstrittenen Daten gefüttert worden?

Geißler: Niemand kann Interesse an einem Pfusch haben. Ein gutes Ergebnis ist aber logischerweise nur dann möglich, wenn über das Verfahren Einigkeit erzielt worden sind. Wir haben vereinbart, dass im Stresstest "anerkannte Standards des Bahnverkehrs" etwa für Zugfolgen und Haltezeiten angewendet werden müssen. Darüber muss Klarheit und Einigkeit bestehen, sonst hat das Ganze gar keinen Sinn.

SZ: Nun läuft ja dieser Stresstest schon längst, die Computersimulationen sind gemacht, die Firma SMA sitzt über der Auswertung. Die Stuttgart-21-Gegner wissen gar nicht, welche Daten die Bahn der Firma gegeben hat.

Geißler: Die wichtigste Instanz der Projektgegner war dabei das zuständige Verkehrsministerium unter dem grünen Minister Herrmann. Dieses Ministerium hat der Bahn fünf klare Kriterien übermittelt, die in den Stresstest eingebaut werden müssen. Das hat die Bahn auch grundsätzlich zugesagt, es geht jetzt darum, dass dies auch in Präzision realisiert wird. Wenn die Bahn sagt, sie werde das berücksichtigen "wo immer möglich", wird möglicherweise der Konsens in Frage gestellt.

SZ: Wenn Sie nicht nur Vorleser der Ergebnisse des Stresstests sein wollen, wäre es doch sinnvoll, dass Sie spätestens jetzt nachprüfen, ob der Stresstest richtig läuft. Sonst kann es durchaus passieren, dass Sie am 14.Juli sagen müssen: der Stresstest muss wiederholt werden.

Geißler: Ich werde bis zum 14. Juli mit Sicherheit keine Expedition zum K2 oder zum Nanga Parbat unternehmen. Ich werde mich natürlich schon im Vorfeld informieren, wie die Voraussetzungen ausschauen und ob Konsens im Verfahren zustande gekommen ist.

SZ: Und wenn nicht?

Geißler: Vorweg: Auch die Projektgegner müssen sich an den Rahmen der anerkannten und in der Schlichtung vereinbarten Standards halten. Ohne Konsens wird der Nachweis, dass der neue Bahnhof um dreißig Prozent leistungsfähiger ist, nicht anerkannt werden.

SZ: Was wären die Konsequenzen?

Geißler: Das müssen die Projektträger entscheiden, das kann ich nicht vorgeben.

SZ: Der Hinweis auf mögliche Konsequenzen gehört nicht zu ihrem Mandat für den 14. Juli?

Geißler: Nein. Ich kann nur für Transparenz sorgen, und das werde ich. Entscheiden müssen dann Bahn, Bund, Land und die Stadt Stuttgart. Wenn der Stresstest negativ ausfällt, dann muss die Frage beantwortet werden, ob Milliarden Euro ausgegeben werden, für die man im Endeffekt keine Verbesserung der Verkehrsfähigkeit bekommt.

"Ein beschränkter Baustopp ist logisch"

SZ: Wenn der Stresstest negativ ausgeht, fällt dann die gesamte Schlichtung in sich zusammen?

Geißler: Nein, es gibt ja noch die anderen Vorschläge in der Schlichtung, die beide Seiten für notwendig halten, wenn der Bahnhof gebaut werden sollte, zum Beispiel die definitive, von der Stadt Stuttgart dankenswerterweise schon beschlossene Überführung der freiwerdenden Grundstücke in eine Stiftung.

SZ: Angenommen, die von der Bahn versprochene Steigerung der Verkehrsfähigkeit des neuen Bahnhofs kostet weitere 1,5 Milliarden Euro. Das entspräche in etwa den Ausstiegskosten aus dem Projekt. Was soll man dann machen?

Geißler: Die genannte Zahl ist zu hoch. Solche Kosten und Zahlen werden in der Volksabstimmung eine Rolle spielen. Etwas ist aber auch klar: Die Projektträger haben sich verpflichtet, alle Baumaßnahmen, die sich aus dem Stresstest als notwendig erweisen, auch bis zur Inbetriebnahme zu realisieren.

SZ: Ministerpräsident Kretschmann behauptet, es gehöre zur Logik des Stresstests, das bis zu dessen Abschluss in vier Wochen ein Baustopp gilt.

Geißler: Kretschmann hat Recht insoweit, als ein beschränkter Baustopp logisch ist. Es darf nichts gebaut werden, was eine Präjudizierung, also vollendete Tatsachen schafft - die dann nicht mehr oder nur noch unter hohen Kosten beseitigt werden können. Aber die Bahn scheint das ja einzuhalten.

SZ: Bahn-Chef Grube hat den Grünen Wahlbetrug im Hinblick auf Stuttgart 21 vorgeworfen. Er gießt Öl ins Feuer.

Geißler: Solch unnötige Provokationen sollte man lassen. Der Bahn-Chef greift bei Veranstaltungen mit Unternehmern bisweilen zu starken Worten. Die sind aber dem Publikum geschuldet. Er hat ein Interesse am Konsens, davon bin ich überzeugt.

SZ: Wird die Bahn das Projekt durchziehen wollen, koste es was es wolle?

Geißler: Die Mittel des Bundes und der Bahn sind beschränkt. Einen Weiterbau um jeden Preis wird es wohl nicht geben können.

SZ: Wenn die Voraussetzungen, auch die finanziellen, von denen man bei Vertragsschluss ausging, hinten und vorn nicht mehr stimmen, dann gilt der Grundsatz "Verträge muss man halten" nicht mehr. Dann muss der Vertrag angepasst oder rückabgewickelt werden. Kann ab einer bestimmten, exorbitanten Kostensteigerung gesagt werden: jetzt fällt die Geschäftsgrundlage weg?

Geißler: Das glaube ich schon, nur kann ich die Höhe nicht angeben. Wenn es nach der Landesregierung geht, wird der Steigerungsbetrag relativ niedrig sein. Da stochern wir jetzt im Nebel. Wir wissen ja noch gar nicht, ob es Zusatzkosten überhaupt gibt.

SZ: Wird es eine neue Schlichtung geben müssen?

Geißler: Nein, es wird ja zu einer Volksabstimmung kommen.

SZ: Erwarten Sie von ihr Befriedung?

Geißler: Ja. Sie wird eine Eskalation stoppen und zur Befriedung beitragen.

SZ: Auch wenn sie für das Bahn-Projekt entscheidet, weil ja landesweit abgestimmt wird, nicht nur in Stuttgart?

Geißler: Die Grünen werden sich dem Votum der Bürgerinnen und Bürger auch dann beugen. Sie sind ja auch eine basisdemokratische Partei.

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