Geiselnahmen im Irak:Genickschuss am offenen Grab

Seit der Verstümmelung der Leichen von vier Amerikanern in Falludscha vor einer Woche und seit der US-Vergeltungsaktion, der in Falludscha über 400 Iraker zum Opfer fielen, herrscht im Land Gesetzlosigkeit. Nun sind nach der Ermordung einer italienischen Geisel auch die drei Schicksalsgefährten in höchster Gefahr.

Von Heiko Flottau

Die Journalisten des arabischen Fernsehsenders al-Dschasira, der aus Doha, der Hauptstadt des Mini-Golfstaates Katar, sendet, sind gewiss nicht zimperlich.

Während des Irakkrieges vor einem Jahr zeigten sie live die Jagd irakischer Kämpfer nach US-Soldaten, die angeblich in Bagdad untergetaucht waren. Die neuesten Szenen vom irakischen Schlachtfeld hielten allerdings auch sie für "zu blutig".

Um "die Empfindsamkeit der Zuschauer nicht zu reizen", teilte der Sender am Mittwoch in Doha mit, wolle man die Bilder von der Erschießung einer italienischen Geisel nicht verbreiten.

Mit der Videokamera den Mord gefilmt

Seit der Verstümmelung der Leichen von vier Amerikanern in Falludscha vor einer Woche und seit der US-Vergeltungsaktion, der in Falludscha über 400 Iraker zum Opfer fielen, herrscht im Irak Gesetzlosigkeit. Da die Aufständischen die Besatzer nicht in offener Feldschlacht aus dem Land vertreiben können, benutzen sie die Waffe der Geiselnahme und jetzt auch des Geiselmordes.

Mit einer Videokamera filmten die Kidnapper die Tötung des Italieners, das Band spielten sie Al-Dschasira zu. Nach Angaben der TV-Journalisten ist darauf zu sehen, wie einer der vier italienischen Gefangenen, die man seit Montag dieser Woche vermisste, mit Genickschuss getötet wurde - in Anwesenheit der drei anderen. Zuvor mussten alle vier, am Boden hockend, zusehen, wie ihre Peiniger ein Grab aushoben.

"Wir haben", ließen die Entführer den italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi wissen, "eine der vier Geiseln getötet, um allen jenen, welche an der Besetzung des Irak beteiligt sind, eine Lektion zu erteilen. Wir wissen, dass sie Wächter sind, die für die amerikanischen Besatzer des Irak arbeiten."

Und kategorisch drohten die Kidnapper an, auch die übrigen drei Gefangenen - Salvatore Stefio, Maurizio Agliana und Umberto Cupertino - nacheinander zu töten, falls Berlusconi nicht Italiens Truppen aus dem Irak abziehe. Wenn er dies für "nicht verhandelbar" erkläre, dann bedeute dies, dass er "sich nicht um die Sicherheit seiner Bürger kümmert". Vielmehr sei er daran interessiert, "seine Herren im Weißen Haus" zufrieden zu stellen.

Schnelles Geld machen

Das erste Opfer dieser Kraftprobe ist Fabrizio Quattrocchi, 36 Jahre alt, Sizilianer aus Catania, früher als Bäcker tätig im Betrieb seines Vaters in Genua. In den Irak hat es den Kampfsport-Fan im November verschlagen, als er sich von einer der vielen im Land tätigen amerikanischen, südafrikanischen oder britischen Sicherheitsfirmen anheuern ließ, um schnelles Geld zu machen - angeblich 10.000 Euro im Monat, wie die italienische Zeitung la Repubblica schrieb. Seine Familie glaubte, er sei im Kosovo.

Wie früher im Libanon

Für die Aufständischen im Irak gelten die inzwischen etwa 20.000 Mann zählenden Angestellten von Sicherheitsfirmen als Kollaborateure der Besatzer. Die vier in Falludscha getöteten und verstümmelten Amerikaner arbeiteten ebenfalls für eine Sicherheitsfirma, Blackwater aus dem US-Bundesstaat North Carolina.

Wie einst im libanesischen Bürgerkrieg, der von 1975 bis 1990 wütete, tauchen jetzt auch im Irak urplötzlich Gruppen auf, die niemand zuvor gekannt hat. Die Männer, welche die vier Italiener in ihre Gewalt brachten, nennen sich al-Katibat al-Khadra - "grüne Brigaden". Grün ist die Farbe des Propheten und des Islam.

Wer die Mitglieder dieser "Brigaden" sind, Iraker, ausländische Kämpfer mit Verbindungen zum Al-Qaida-Terrornetz oder beides, ist nicht bekannt. Sicher scheint nur, dass sie entschlossen sind, weitere Geiseln zu erschießen.

Vor der Ermordung Fabrizio Quattrocchis hatte al-Dschasira schon ein anderes Videoband der Entführer erhalten, das man als sendefähig erachtete. Es zeigt die vier Italiener mit verbundenen Augen kniend, dahinter die bewaffneten Kidnapper.

Verstümmelte Leichen

Und eine weitere Schreckensnachricht entsetzte die Welt. Zwischen Abu Ghareb und Falludscha westlich von Bagdad, auf der derzeit wohl gefährlichsten Autostrecke der Welt,wurden vier verstümmelte Leichen gefunden.

Ersten Vermutungen zufolge sind es die sterblichen Überreste von Angestellten der US-Firma Kellog, Brown and Root. Sie gehört zum Konglomerat des Riesen Halliburton. In diesem Konzern, der im Irak seit einem Jahr in erster Linie mit der Instandsetzung der Ölförderanlagen viele Millionen Dollar verdient, war der amerikanische Vizepräsident Dick Cheney einst der Chef.

Einer ihrer womöglich ermordeten Mitarbeiter ist Thomas Hamill. Voller Vertrauen in seine Mission war der 43-jährige Lastwagenfahrer in den Irak gekommen. Er werde dazu beitragen, dem Land Demokratie zu bringen und den Menschen ein besseres Leben zu bescheren, hatten ihm seine Auftraggeber gesagt.

Das letzte bekannte Bild, das von ihm gemacht wurde, findet sich auf einem kurzen Videoband, das in einem arabischen Fernsehsender ausgestrahlt wurde. Die Kidnapper drohten mit seiner Ermordung, sofern die USA die Belagerung Falludschas nicht aufgäben. Seitdem hat man von Thomas Hamill nichts mehr gesehen.

Letztes Hab und Gut für das Wiedersehen

Die Halliburton-Bosse in den USA ließen nur verlauten, man sei zwar noch nicht sicher über die Identität "dieser tapferen Männer". Aber man sei "traurig" über diese Schicksale und kooperiere mit den Behörden, damit die Familien der Toten ihren "Trauer- und Heilungsprozess" beginnen könnten.

Dergleichen wartet möglicherweise noch auf andere Angehörige der im Irak tätigen Ausländer, die teilweise auch gekommen sind, um beim Wiederaufbau des geschundenen Landes zu helfen. Etwa 40 befinden sich derzeit in den Händen von Geiselnehmern. Wo erst einmal Chaos herrscht, ist ein normales Zusammenleben der Menschen nicht so schnell wiederherzustellen. Und der Heilungsprozess wird Jahre dauern.

Auch hier könnte den irakischen Gewalttätern der libanesische Bürgerkrieg zu einem schrecklichen Vorbild werden. In Beirut wurden in den Achtzigerjahren nicht nur Ausländer gefangen gesetzt. Politisch motivierte und rein kriminelle Banden kidnappten reihenweise auch libanesischen Landsleute - manchmal nur, um Lösegeld zu erpressen. In Bagdad haben Banden seit Kriegsende bereits viele Bürger auf offener Straße überfallen. Oft waren es junge Mädchen, welche den Gangstern in die Hände gerieten. Häufig versetzen die Eltern ihr letztes Hab und Gut, um ihre Kinder wiedersehen zu können.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: