Geiselnahme in der Türkei:Die PKK schadet allen Kurden

Gewalt erschwert jede Lösung. Doch die Türkei und die Welt müssen der Kurdischen Arbeiterpartei eine Chance geben, sich zu zivilisieren.

Ahmet Dag

Es ist eine sehr gute Nachricht, dass die drei von der PKK entführten deutschen Bergsteiger wieder zu Hause sind. Hoffentlich wird es nie wieder solche kriminellen Aktionen von Kurden geben.

Geiselnahme in der Türkei: Deutschland muss seine Politik gegenüber der Kurdischen Arbeiterpartei PKK ändern, fordert Ahmet Dag.

Deutschland muss seine Politik gegenüber der Kurdischen Arbeiterpartei PKK ändern, fordert Ahmet Dag.

(Foto: Foto: AP)

Die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) hat durch die Entführung der deutschen Bergsteiger wieder öffentliche Aufmerksamkeit für sich geschaffen, wie bereits in der Vergangenheit durch Anschläge auf türkische Einrichtungen in Deutschland und Europa - ohne dabei zu bedenken, welcher Schaden dadurch angerichtet wird, und dass so eine demokratische Lösung der Kurdenfrage erschwert wird.

Solange die Türkei aber ihr Kurdenproblem nicht löst, wird sie sich weder wirtschaftlich und politisch stabilisieren noch ein demokratisches Land werden. Die PKK ist das Ergebnis der falschen kemalistisch-nationalistischen Politik der Türkei. Die Existenz der Kurden wurde jahrzehntelang geleugnet, der türkische Staat verbot die Kultur der Kurden und wollte ihre Identität mit einer starken Assimilationspolitik verändern.

Eine legale und demokratische Kurdenbewegung wurde in der Türkei mit allen Mitteln verhindert. So entstand auch keine starke demokratische kurdische Kraft im westlichen Sinne. Es existiert aber eine legale pro-kurdische Partei, die DTP, die in vielen kurdischen Städten Bürgermeister stellt und in Fraktionsgröße im türkischen Nationalparlament vertreten ist und dadurch eine demokratische Legitimation hat.

Diese Partei ist zur Zeit in der Türkei einem Verbotsverfahren ausgesetzt und wird mit großer Wahrscheinlichkeit - wie ihre Vorgänger - verboten werden. Die demokratischen Gesellschaften in aller Welt sollten deutliche Signale an die Türkei senden, die DTP nicht zu verbieten. Diese Partei kann für eine Lösung der kurdischen Frage ein direkter Gesprächpartner werden. Ferner sollte man viel stärker die kurdische Zivilgesellschaft unterstützen.

Die Verhandlungen der Türkei über einen Beitritt zur EU brachten in der Vergangenheit viele Fortschritte, nämlich mehr Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Zudem erhielten die Kurden einige individuelle Rechte - welche aber bisher nicht richtig umgesetzt werden. Die Hindernisse dabei: kemalistisch-nationalistische Staatseliten, das politisch starke Militär und die sinnlose Gewalt der PKK.

Waffenstillstand unter Einbeziehung der Türkei

Die türkischen Ängste vor einer Veränderung der Landesgrenzen sind aber nicht berechtigt, weil in Städten der Türkei, die nicht im Kurdengebiet liegen, in Istanbul und Izmir, in Antalya oder Adana, heute mehr Kurden leben als in den kurdischen Siedlungsgebieten. Sie haben sich Existenzen aufgebaut und wollen diese nicht aufgeben.

Die größte kurdische Stadt in der Türkei ist nicht mehr Diyarbakir, sondern Istanbul, wo mehr als drei Millionen Kurden leben. Keine kurdische Organisation, und selbst die PKK nicht, fordert noch ein unabhängiges Land Kurdistan. Eine künftige Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU wird diese Sorgen vor einer Teilung des Landes vollends beseitigen.

Die internationale Gemeinschaft hat seit Jahrzehnten versucht, eine Lösung für den israelisch-arabischen Konflikt zu finden und ist bisher dabei gescheitert. Der Hass zwischen Arabern und Israelis ist so tief, dass sie kein Vertrauen aufbauen und zu keiner Lösung kommen (wollen). Im kurdisch-türkischen Konflikt dagegen ist Hass zwischen den Völkern kaum zu spüren. Die Bereitschaft, eine gerechte Lösung zu finden, ist potentiell sehr viel größer.

Im Fokus der internationalen Bemühungen muss dringend ein Waffenstillstand der PKK stehen, und zwar unter Einbeziehung des türkischen Staates. Dieser sollte zu einer Niederlegung der Waffen seitens der PKK münden.

Die PKK schadet allen Kurden

Die internationale Gemeinschaft soll aber als Gegenleistung der PKK eine Chance geben, sich demokratisch zu entwickeln und in die demokratische Welt zu integrieren. Denn die PKK ist in der kurdischen Gesellschaft stark verwurzelt und organisiert. Sie hat großen Einfluss auf die DTP und viele andere kurdische kulturelle Einrichtungen und Vereinigungen in der Türkei und in Europa.

Man muss der PKK aber klarmachen, dass Gewalt keine Lösung ist, dass im Gegenteil Gewalt eine Lösung verhindert. Für Gewalt kann es keine Toleranz geben; dies muss auch die PKK letztlich verstehen. Auch viele Kurden leiden unter der sinnlosen PKK-Gewalt.

Der irakische Staatspräsident Dschalal Talabani und der Präsident der kurdischen Autonomieregion, Massud Barzani, können eine wichtige Rolle spielen, wenn es ernsthafte internationale Bemühungen und bei der Türkei die Bereitschaft gibt, die Probleme zu lösen.

Eine Integration der PKK in eine demokratische Gemeinschaft soll möglich sein, und dafür muss sie von den internationalen Akteuren glaubwürdige Perspektiven erhalten. Eine Isolation dieser Organisation ist falsch und macht sie nur noch radikaler.

Es war in den vergangenen Jahren deutlich zu beobachten, dass bei den Kurden in der Türkei radikal-islamische Bestrebungen stärker werden. Eine Alternative zur PKK darf nicht der kurdisch-radikale Islam werden. Solche Organisationen betreiben viele soziale Projekte in den kurdischen Städten und bekommen starken Zulauf, weil sie, um die PKK zu schwächen, auch vom türkischen Staat toleriert werden. Die Entstehung einer radikal-islamischen Hamas kann in wenigen Jahren in Kurdistan möglich werden, wenn die westliche Gemeinschaft die Kurdenfrage weiterhin ignoriert.

Verbot von Roj TV nicht hilfreich

Die deutsche Bundesregierung sollte genau prüfen, ob ihre jetzige Politik zu einer Lösung und zur Integration der Kurden in die internationale Gemeinschaft beiträgt. Es ist nicht hilfreich, den einzigen Fernsehsender der türkischen Kurden, Roj TV, oder kurdische Vereine in Deutschland zu verbieten; wichtig wäre, der PKK zu signalisieren, dass sie in der demokratischen Welt auch einen Platz haben kann, wenn sie sich demokratisch entwickelt und sich in Deutschland im Rahmen der deutschen Verfassung und ihrer Gesetze betätigt und ihre kriminelle Aktivitäten einstellt.

Dies wird die Integration auch der Kurden in Deutschland fördern. Die ungelöste Kurdenfrage belastet die Türkei, Deutschland und Europa und vergrößert das Leid der Kurden. Es ist jetzt an der Zeit zu handeln. Europa und der Westen brauchen mehr Mut; die Kurden brauchen eine klare Perspektive und die Türkei braucht für die ernsthafte Lösung der Kurdenfrage Unterstützung.

Der Kurde Ahmet Dag, 35, kam 1993 nach Deutschland. Er arbeitet beim "Europäischen Zentrum für Kurdische Studien" in Berlin, das Gutachten für Gerichte in Asylprozessen erstellt.

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