Süddeutsche Zeitung

Geiseln der IS-Terroristen:Fatale Logik des Entführungsmarktes

Die USA kaufen keine von Dschihadisten entführten Bürger frei. Viele europäische Länder tun es und heizen so den Markt für Geiselnahmen erst richtig an. Die kurzfristige Vermeidung von Leid führt langfristig zu mehr Leid: Das ist die schreckliche Logik bei Gegnern wie IS.

Kommentar von Sonja Zekri, Kairo

Das Entsetzliche am Fall James Foley ist, dass er - wie jeder Journalist mit diesem Ende - seine größte Bekanntheit im Moment seines Todes hat. Der orangefarbene Overall, der geschorene Kopf. Dahinter der schwarze Schlächter. Das Messer. Und alles auf einer kahlen Anhöhe, überzeitlich, ewig, ein Opferberg.

Die Mörder haben das Video der Enthauptung Foleys verbreitet, und die quälende Frage, die es provoziert, lautet: War es vermeidbar? Könnte Foley noch leben? Der Islamische Staat (IS) hatte den US-Journalisten fast zwei Jahre gefangen gehalten. Die Dschihadisten verlangten Lösegeld, mehr als 130 Millionen Dollar. Amerika aber - und Großbritannien - zahlen nicht, nicht für James Foley, nicht für Steven Sotloff, ebenfalls ein freier Journalist in den Händen der IS-Terroristen. Er musste dem Tod seines Kollegen offenbar zusehen, auf demselben Hügel, im gleichen Overall.

Sotloffs Überlebenschancen wären deutlich höher, wenn er Deutscher wäre. Andere europäische Regierungen nämlich lösen ihre Staatsangehörigen regelmäßig aus. Das Terrornetzwerk al-Qaida, die Wiege des Islamischen Staates, hat in den vergangenen Jahren mehr als 50 Ausländer entführt, so hat es die New York Times ausgerechnet. Fast alle überlebten, allein im Frühjahr wurden zwei spanische Journalisten und vier französische Reporter entlassen. Weil ihre Regierungen sie freikauften - für 125 Millionen Dollar. Die Terroristen finanzieren sich unter anderem durch diese Entführungen, sie kaufen Waffen und Männer mit dem Geld aus Europa.

Soll man die Entführungsopfer von Dschihadisten freikaufen?

Es ist eine ethische Zwangslage ohne Ausweg. Foleys Entführer forderten anfangs Lösegeld, aber zuletzt ein Ende der US-Luftangriffe auf ihre Stellungen im Irak: unannehmbar für Präsident Barack Obama, aber auch schwer erträglich für die amerikanische Gesellschaft. Rasch sickerten Details über eine Rettungsaktion amerikanischer Elitesoldaten in Syrien durch. Amerika scheut keine Risiken, um seine Bürger zu retten, so die Botschaft.

Deutschland oder Spanien aber können nur schwer Eliteeinheiten nach Syrien schicken, um verschleppte Journalisten zu befreien. Wenn Amerika Europa nun zur Härte drängt, dann darf man dies nicht vergessen. Und: Foleys Rettung scheiterte, die Geiseln waren längst an andere Orte geschleppt worden. Schlimmer noch: Spätere Operationen, vielleicht zur Rettung Sotloffs, werden nun deutlich schwieriger, so warnt das Pentagon. Die kurzfristige Vermeidung von Leid führt langfristig nur zu mehr Leid, das ist die schreckliche Logik bei Gegnern wie dem Islamischen Staat.

Sie gilt auch und besonders für die europäischen Regierungen. Syrische Mitarbeiter europäischer Journalisten klagen seit Längerem, dass die Lösegeldpolitik den Entführungsmarkt in diesem Ausmaß überhaupt erst geschaffen hat. Niemand sei so gefährdet wie französische Reporter und ihre einheimischen Mitarbeiter - mit einem Unterschied: Frankreich löst seine Bürger aus, aber nicht die syrischen Übersetzer und Assistenten.

Soll Europa also hart bleiben und kein Lösegeld an Dschihadisten zahlen? Muss man Videos wie jenes vom furchtbaren Ende James Foleys ertragen? Zählt das Gemeinwohl nicht mehr als das einzelne Schicksal, eine Botschaft der Entschlossenheit statt eines Dollarregens für das Kalifat? Alle diese Argumente haben ihre Berechtigung, und ihre Gewichtung dürfte sich sehr danach richten, ob Innen- oder Außenpolitiker urteilen oder womöglich Freunde und Angehörige der Verschleppten, die - wie im Falle Foleys - über Monate im Internet Unterstützung sammeln.

Zahlen oder nicht? Als Mensch und Journalist kann man darauf nur eine Antwort geben. Als Mitglied eines Gemeinwesens aber könnte man Politiker bei einer Verweigerung nicht verdammen.

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SZ vom 22.08.2014/mati
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