Süddeutsche Zeitung

Geiseldrama in Algerien:Gas und Öl vor Menschenleben

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Wie viele Menschen bei dem Geiseldrama auf der algerischen Gasanlage In Amena gestorben sind, ist noch immer unklar. Algeriens Regierung ist vor allem daran interessiert, die Erdöl- und Gasförderung zu sichern und hüllt die Affäre in Schweigen. Informationen erhalten Journalisten von Überlebenden - und den Terroristen.

Von Rudolph Chimelli

Ein algerischer Arbeiter des Gasfeldes In Amena berichtete nach seiner Befreiung aus der Geiselhaft, wie Terroristen den aus Schottland stammenden Techniker Kenneth Whiteside ermordeten: "Er hat tapfer gelächelt, als er starb." Whiteside war 59 Jahre alt. Die Mutter des 36-jährigen Stephen McFaul aus Belfast berichtete dem Sunday Mirror, ihr Sohn werde die Spuren seiner dreitägigen Gefangenschaft sein Leben lang tragen. Die Extremisten hatten ihm Sprengstoff umgeschnallt, aber er konnte fliehen, als die Fahrzeuge, mit der seine Entführer ihn an ein unbekanntes Ziel verschleppen wollten, unter das Feuer der algerischen Armee geriet.

Noch am Sonntag, als die Terroristen bereits mehr als 24 Stunden tot waren, weiß in Algier niemand, wie hoch die Zahl der Opfer ist. Laut der ersten offiziellen Mitteilung hatten die Soldaten und Kommandos der Armee alle 32 Islamisten erschossen, die am vergangenen Mittwoch das Gasfeld besetzt hatten. Die Zahl der ums Leben gekommenen Geiseln wurde mit 23 angegeben. "Ich fürchte, diese Aussage muss nach oben revidiert werden", sagte Kommunikationsminister Mohammed Said dem privaten algerischen Sender Kanal 3 am Sonntag.

Bald darauf wurde bekannt, dass die Kommandos der Sondertruppen in den technischen Anlagen 25 weitere Tote verschiedener Nationalität entdeckt hatten. "Die Leichen von Geiseln", präzisierte der Chef des privaten algerischen Fernsehsenders an-Nahar, Anis Rahmani. Auf die algerischen Techniker des Gasfelds oder auf andere Araber hatten es die Extremisten nicht abgesehen; sie wollten westliche Ausländer als Geiseln. "Pack deine Sachen und verschwinde", sagten sie nach Berichten mehrerer freigelassener Araber.

Algerische Spezialisten suchen nach Sprengladungen, nicht nach Opfern

Als die Operation noch im Gang war, sprachen amerikanische Quellen unter Berufung auf obskure Auskünfte von 132 aus-ländischen Geiseln. Die Japaner vermissten am Sonntag noch zehn ihrer Leute, das Schicksal mehrerer Norweger blieb unbekannt, wie viele der sieben Amerikaner noch leben, ist ein Rätsel. Für sich selber können die Terroristen nie auf ein Überleben gehofft haben, denn mit ihresgleichen kennen die Algerier kein Erbarmen, nicht einmal aus taktischen Erwägungen oder um sie zu verhören. Die Extremisten wussten, dass sie ein Selbstmordkommando waren.

Was algerische Spezialisten in den technischen Anlagen jetzt noch suchen, sind nicht so sehr tote oder lebendige Geiseln. An Aufklärungsstatistiken ist auch die Regierung nicht interessiert, die sich wegen des Drucks aus fremden Hauptstädten keine großen Sorgen macht. Frankreichs Präsident François Hollande hat den Algeriern immerhin bescheinigt, ihr Vorgehen sei "der Krise völlig angemessen" gewesen.

Jetzt geht es bei der Suche um Sprengladungen mit Zeitzündern, welche die Terroristen gelegt haben könnten, um die Pumpen, Kompressoren, Speicher und sonstige Einrichtungen postum in die Luft zu jagen. Stolz verkündete Algier, die Gasförderung sei landesweit während des Zwischenfalls nicht zurückgegangen. Andere Gasfelder hätten die Förderung erhöht, um den Stillstand von In Amena zu kompensieren. Die wichtigste Aufgabe der Truppen war es, den Terroristen das Gasfeld, das für 18 Prozent des algerischen Gases aufkommt, möglichst unbeschädigt abzunehmen.

Algier umgab die Affäre mit Geheimnistuerei

Doch nichts fürchten die Algerier so sehr wie weitere Anschläge auf das lebenswichtige Erdöl- und Gaspotenzial des Landes. Algeriens Süden galt bisher als sicher. Selbst während der Neunzigerjahre, als die Islamisten im Untergrund und das Regime einen blutigen Bürgerkrieg ausfochten, blieben die Öl- und Gasvorkommen der Sahara verschont. Damals hieß es aus Kreisen der Islamisten, sie wollten es sich nicht mit den Amerikanern verderben, die am Energiepotenzial Algeriens interessiert sind. Heute aber hat bei den Islamisten kein anderes Ziel für Anschläge höhere Priorität, wie sie offen sagen.

Dies erklärt zum Teil die Geheimnistuerei, mit der Algier die Affäre umgab. Journalisten aus der Hauptstadt oder ausländische Medienvertreter sind am Ort nicht zugelassen. Kein Regimegegner soll aus klaren Fernsehbildern oder von Zeugen erfahren können, wo die Sicherheitslücken des Gasfelds In Amena lagen. Schon jetzt hat die Regierung Sorgen, dass dessen Besetzung durch Terroristen nachteilige Auswirkungen auf die Bereitschaft des Auslandes haben könnte, zu investieren und Experten zu entsenden.

Während aus Algier nur Worthülsen kamen, ließen die Islamisten die Kommunikation nie einschlafen. Zur Verbreitung ihrer Nachrichten bedienten sie sich mehrerer Agenturen in Mauretanien, von den Algeriern "Meinungsfabriken der Terroristen" genannt. Fast alle Nachrichten über das Vorgehen der Armee, die Zahl der Geiseln oder der Opfer kamen von dort. Islamische Extremisten und mit ihnen verbündete Tuareg können in der Sahelzone 3000 bis 6000 Kämpfer aufbieten, im algerischen Untergrund vielleicht noch 600. Durch das Unternehmen In Amena wurden sie tagelang ein Thema für die Welt. Den Informationskrieg haben sie gewonnen, nicht die Regierung in Algier.

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SZ vom 21.01.2013
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