Geiseldrama:Beslan trauert um die Opfer

Nach dem blutigen Ende des Geiselnahme im Süden Russlands haben Angehörige Abschied von den ersten Opfern genommen. Wieviele Menschen getötet wurden, ist weiterhin unklar. Russlands Präsident Putin hat Schwächen im Anti-Terror-Kampf zugestanden.

Hunderte von Menschen haben sich am Sonntag in Beslan zu den ersten Begräbnissen der Opfer der Geiseltragödie versammelt. Eine Trauerprozession brachte am Mittag vier Särge auf den Friedhof der kleinen Stadt im russischen Kaukasus. Zur Absicherung der Trauerfeierlichkeiten war ein starkes Polizeiaufgebot präsent. Im Laufe des Tages sollten weitere Opfer zu Grabe getragen werden. Die Behörden bezifferten am Sonntag erstmals die Gesamtzahl der Geiseln, die sich in der Gewalt der Terroristen befunden hatten, mit 1180.

Nach Angaben der Behörden liegt die Zahl der registrierten Todesopfer unter den Geiseln bisher bei 338. Wie der Krisenstab mitteilte, waren in der Nacht drei Kinder an ihren schweren Verletzungen gestorben, fünf weitere Menschen starben im Laufe des Vormittags. Insgesamt seien noch 420 Verletzte in den Kliniken der Stadt und der Teilrepublik Nord-Ossetien registriert, unter ihnen 234 Kinder. Der Gesundheitszustand von 55 Verletzten sei weiterhin kritisch.

Drei Verdächtige festgenommen

Russlands Präsident Wladimir Putin räumte "Schwächen" im russischen Sicherheitsapparat und im Anti-Terror-Kampf ein. Drei Verdächtige wurden festgenommen. In Beslan trugen am Sonntag in Tränen aufgelöste Frauen und um Fassung bemühte Männer ihre Kinder und andere Angehörige zu Grabe.

"Warum? Wozu?", klagte eine Frau, über einen Sarg gebeugt. Unter bedecktem Himmel hielten sich die Männer gemäß der regionalen Tradition am Rande. Insgesamt sollten am Sonntag zunächst 22 der Todesopfer beigesetzt werden. Vor der zerschossenen Schule Nummer Eins legten Trauernde rote Nelken und gefüllte Wasserflaschen nieder - in Erinnerung an die Kinder, die zwei Tage lang ohne Wasser und Nahrung auskommen mussten. Patriarch Alexis II. erklärte, ohne Gottesfurcht hätten "so genannte Freiheitskämpfer ihre blutgetränkten Hände gegen unschuldige Kinder erhoben".

Putin ordnet Staatstrauer an

Für Montag und Dienstag ordnete Putin Staatstrauer an. "Wir haben Schwäche gezeigt, und die Schwachen werden geschlagen", sagte der Präsident am Samstagabend in einer Fernsehansprache. Er räumte Versäumnisse bei der Grenzsicherung ein und kündigte ein effizienteres Sicherheitssystem an, "um die Einheit des Landes zu stärken".

Russland habe auf die Entwicklungen in der Welt "nicht angemessen reagiert" und habe es nun mit "direktem internationalen Terrorismus" zu tun. Ohne ausdrücklich auf den Tschetschenien-Konflikt einzugehen, zeigte sich Putin entschlossen, auch weiterhin Härte zu demonstrieren. Russland habe "keine Wahl", "entweder die Terroristen zu bekämpfen oder sich ihren Forderungen zu beugen".

Weiterhin Ungewissheit über genaue Opferzahlen

Auch am Sonntag schwankten die Angaben über die Zahl der Opfer. Die größte Leichenhalle der Region in Wladikawkas zählte bis Samstagabend allein 394 Tote. Der Leiter des Krisenstabes, Lew Dsugajew, gab die Zahl der Toten am Sonntag mit mindestens 338 an, unter ihnen mehr als 150 Kinder. In Nordossetien war am Sonntag zudem eine Liste mit 260 Vermissten im Umlauf. Über 700 Menschen wurden verletzt.

Auch mehr als zehn Mitglieder der russischen Spezialeinheiten wurden getötet. Dutzende noch im Schulgebäude angebrachte Sprengsätze behinderten am Wochenende die Bergungsarbeiten.

Nach Angaben des russischen Vize-Generalstaatsanwalts Sergej Fridinski waren an dem Geiseldrama mindestens 32 Kidnapper beteiligt. Insgesamt seien die Leichen von 30 Tätern gefunden worden. Laut nordossetischem Innenministerium wurden drei Verdächtige festgenommen, unter ihnen eine Frau. Sie hätten ihre Schuld zugegeben und wichtige Informationen zur Ergreifung der Hintermänner geliefert.

Stürmung der Schule "spontan" entschieden

Die Ereignisse hätten sich "schnell und unerwartet" entwickelt, sagte Putin bei einem Kurzbesuch in Beslan am Samstag. Die Sicherheitskräfte hatten sich nach zwei Explosionen auf dem Schulgelände am Freitag spontan zum Sturm entschieden. Berichten zufolge wurde die erste Explosion versehentlich ausgelöst, die zweite durch eine Selbstmordattentäterin. Die Geiselnehmer hatten den Überfall nach Angaben des Inlandsgeheimdienstes FSB akribisch geplant.

Tage vor Schulbeginn am vergagenen Mittwoch sollen sie bei Renovierungsarbeiten als Bauarbeiter getarnt Waffen und Sprengstoff auf das Gelände geschmuggelt haben.

Hinter der Geiselnahme steht nach Einschätzung des russischen Geheimdienstes FSB der tschetschenische Kriegsherr Schamil Bassajew. Ein Sprecher von Tschetschenenführer Aslan Maschadow sagte, die Gewalttäter seien Inguscheten, Osseten und Russen gewesen. Der Innenminister der russischen Teilrepublik, Kasbek Dsantijew, zog unterdessen persönliche Konsquenzen aus dem tragischen Ausgang des Geiseldramas und trat zurück.

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