Geheimpapiere der Palästinenser:Wahrheit und Selbstbetrug

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In Reden zelebrieren sie die Unnachgiebigkeit gegenüber dem Feind Israel. In der Realität gehen palästinensische Führer großzügige Kompromisse ein. Das konnten sie bisher elegant kaschieren - jetzt legen Geheimpapiere den Widerspruch offen.

Peter Münch, Tel Aviv

"Verrat" - so schallt es nun aus allen Ecken des arabischen Lagers, und die Verräter sitzen in Ramallah. Der Fernsehsender al-Dschasira hat die Palästinenser-Führung an den Pranger gestellt mit der Veröffentlichung von Geheimdokumenten, die von großen Zugeständnissen bei den Verhandlungen mit dem israelischen Feind künden. Den moderaten Kräften um Präsident Machmud Abbas werden panikgesteuerte Dementis nichts helfen. Die Enthüllungen sind wie ein Genickschlag, der sie unerwartet aus dem Dunkeln trifft.

Die Geheimdokumente, die der arabische Sender al-Dschasira jetzt veröffentlicht hat, decken schonungslos den Widerspruch zwischen den Reden der palästinensischen Führung und der tatsächlichen Politik auf. (Foto: dpa)

Das ist die schlechte Nachricht. Eine gute Nachricht gäbe es zwar auch, denn die Papiere zeigen, dass mit Kreativität und Kompromisswillen durchaus Lösungen für all die umkämpften Streitpunkte des Jahrhundert-Konflikts zu finden wären. Doch gute Nachrichten will offenbar keiner hören in Nahost. Viel lieber gibt man sich der Aufregung hin, und die Aufregung ist nun groß - obwohl die Zugeständnisse nüchtern betrachtet bei weitem nicht so sensationell sind, wie sie nun dargestellt werden.

Die Palästinenser-Führung, so heißt es in den Enthüllungen, will israelische Siedlungen akzeptieren? Na klar, sie wird es tun müssen, weil mittlerweile Konsens darüber besteht, dass es bei einem Friedensvertrag in gewissem Umfang zu einem Landtausch kommen wird. Das beinhaltet auch Zugeständnisse in Ost-Jerusalem. Und weiter: Die Palästinenser-Führung will das Rückkehrrecht für Flüchtlinge aufgeben? Auch dies ist nichts anderes als eine Annäherung an die Realität, denn niemand kann mehr daran glauben, dass die auf fünf Millionen Menschen angewachsene Nachkommenschaft der Flüchtlinge im jüdischen Staat aufgenommen werden könnte. Und die pikanten Absprachen zwischen israelischen und palästinensischen Sicherheitskräften? Die könnten letztlich Stabilität schaffen.

Dass die Enthüllungen dennoch Sprengkraft bergen, ist vor allem einem Umstand geschuldet: Schonungslos decken sie den Widerspruch auf zwischen den Reden palästinensischer Funktionäre und der eigentlichen Politik. Denn der unselige Jassir Arafat und seine Erben haben es bis heute versäumt, ihr Volk auf Kompromisse einzustimmen. Viel lieber haben sie das Blaue vom Himmel herab versprochen - und sich damit selbst zu einem doppelten Spiel gezwungen.

Die Demaskierung der palästinensischen Führung vor den Augen der Welt und der arabischen Massen könnte weitreichende Folgen haben. Denn die Radikalen vom Schlage der Hamas werden nun versuchen, die vermeintliche Verräterbande in Ramallah auszuhebeln. Präsident Abbas und den Seinen bleiben zwei Möglichkeiten: Sie sagen ihrem Volk die Wahrheit - doch das könnte sie den Kopf kosten. Viel wahrscheinlicher ist deshalb Variante zwei: Die Moderaten werden sich radikalisieren - und selbst in geheimsten Zirkeln zu keinen Zugeständnissen mehr bereit sein. Das ist dann das Ende aller Friedenshoffnung.

© SZ vom 25.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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