Süddeutsche Zeitung

Geheimnisvoller israelischer Häftling:"Mister X" hat einen Namen

Mossad-Mitarbeiter oder Staatsfeind? Ein Australier kam in Israel aus ungeklärten Gründen in Isolationshaft und beging angeblich in seiner komplett videoüberwachten Zelle Suizid. Israel und die Angehörigen hüllen sich in Schweigen. Ein australischer Fernsehsender hat den Gefangenen nun erstmals beim Namen genannt.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Es ist ein finsteres Geheimnis - so finster, dass es der israelische Staat mit aller Macht bewahren will: Um eine abgeschiedene Zelle im Ayalon-Gefängnis von Ramla geht es und um einen mysteriösen Insassen, der selbst seinen Wächtern nur als "Mister X" bekannt war. Alle Berichte über diesen Fall werden seit Jahren von der israelischen Zensur blockiert, doch plötzlich hat jener geheime Häftling einen Namen und eine Geschichte bekommen, und es kursieren Fotos von ihm.

Die Bilder zeigen ihn auf seiner Hochzeit oder in der Uniform der israelischen Armee, und eines zeigt seinen Grabstein: "Ben Zygier" steht darauf, "in liebevollem Andenken". Geboren ist er am 9.12.1976. Gestorben am 15.12.2010. An jenem Tag im Dezember hing Ben Zygier, so enthüllte es nun der australische Fernsehsender ABC, tot in seiner Zelle in Ramla.

Der damals 34-Jährige soll zehn Jahre zuvor von Australien aus nach Israel eingewandert sein, mit einer israelischen Frau hat er zwei Kinder. In Israel hat er sich Ben Alon genannt, und bei Bedarf konnte er auch noch einen australischen Pass mit einem dritten Namen zeigen, Ben Allen.

Die verschiedenen Identitäten legen nahe, dass er in seiner neuen Heimat für den Auslandsgeheimdienst Mossad gearbeitet hat. Spekuliert wird nun über Einsätze in der arabischen Welt und auch in Iran - und irgendetwas könnte dabei vorgefallen sein, das ihn zum Staatsfeind Nummer eins gemacht hat.

Kollektives Schweigen

All das ist immer noch offen, nur für das Ende gibt es eine offizielle Erklärung: Per Selbstmord, so heißt es, sei Ben Zygier aus dem Leben geschieden. Dabei war seine Zelle, die 1995 eigens für den Mörder von Premierminister Jitzchak Rabin gebaut worden war, ungefähr so gut mit Kameras überwacht wie ein Fernsehstudio zur Hauptnachrichtenzeit.

Still und heimlich wurde der Leichnam dann nach Australien geflogen und auf einem jüdischen Friedhof in Melbourne bestattet. Die Familie hüllt sich bis heute eisern in Schweigen.

Dieses Schweigen hätte gern auch die Regierung bewahrt, denn all die Spekulationen im Internet hatten den Fall längst ins Reich der Fabel verschoben. Dort war "Mister X" etwa als gefangener General der iranischen Revolutionsgarden geoutet worden. Nun aber riecht die Geschichte eindeutig nach Landesverrat - und der Bericht des australischen Fernsehens hat Israels Regierung in Panik versetzt.

Unmittelbar danach zitierte das Büro von Premierminister Benjamin Netanjahu die Chefs der großen Zeitungen herbei, um ihnen noch einmal Fesseln zur Veröffentlichung anzulegen. Der Fall, so hieß es zur Begründung, sei "äußerst unangenehm für eine bestimmte Regierungsbehörde". Doch im Zeitalter des Internets lassen sich Israels Zensurregeln für Sicherheitsfragen immer weniger halten.

Nun haben Abgeordnete der Opposition die Affäre sogar im Parlament zur Sprache gebracht und Aufklärung verlangt. Der Justizminister erklärte sich sogleich für unzuständig, und von Regierungsseite warf der frühere Außenminister Avigdor Lieberman den Fragestellern vor, sie wollten die Sicherheit Israels gefährden. Wenn es tatsächlich um so viel geht, wird die Geschichte gewiss noch weitere Wellen schlagen.

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Quelle:
SZ vom 14.02.2013/esp
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