Die deutsche Regierung hat laut einem Spiegel-Bericht über Jahrzehnte die Rückgabe brisanter NS-Akten an das Bundesarchiv verzögert. Demnach lagerten seit Kriegsende wichtige Akten der NSDAP, darunter auch die Mitgliederkartei, im Document Center, einem von den Amerikanern bewachten Gebäudekomplex in Berlin. Erst im Sommer 1994, nach mühsamen Verhandlungen, ging das Archiv in deutsche Obhut über.
Bislang ging man davon aus, dass die USA die Überstellung der Akten verzögert hatten. So hatte es auch das Auswärtige Amt erklärt, das die Verhandlungen führte. Tatsächlich wären die USA schon 1967 zur Rückgabe bereit gewesen. Die Verhandlungen über die Modalitäten scheiterten aber an der Hinhaltetaktik der Deutschen.
Als die Grünen 1989 einen Parlamentsbeschluss durchsetzten, um auf die Regierung Druck auszuüben, ging das Auswärtige Amt nach Aktenlage so weit, die Amerikaner um ein doppeltes Spiel zu bitten. Die deutsche Seite fürchtete die Enttarnung deutscher Spitzenpolitiker, die vor 1945 Mitglied der NSDAP gewesen waren. Die Sorge war berechtigt. Einer der ersten Namen, die nach Übergabe der Akten an die Öffentlichkeit gelangten, war der von Hans-Dietrich Genscher. Der langjährige Außenminister wusste bereits seit Anfang der siebziger Jahre, dass eine NSDAP-Mitgliedskarte mit seinem Namen im Document Center lag.
Die wiederholte Erklärung von Genscher, er sei ohne sein Wissen zum Mitglied der Nazi-Partei gemacht worden, hält der vom Spiegel zitierte Journalist Malte Herwig für absolut unplausibel. Eine bis zum Schluss penibel überwachte Voraussetzung für die Aufnahme sei ein Antrag mit eigenhändiger Unterschrift gewesen: "Alles andere hätte ja auch keinen Sinn ergeben", sagt der Forscher, "gerade in Diktaturen sind Parteien Agitationsorganisationen, die aktive Mitglieder wollen, keine Parteileichen."