Geheimer Krieg:US-Beamte überprüfen Reisende in Deutschland

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Frankfurter Flughafen: US-Dienste sind hier aktiv (Foto: dpa)

Am Frankfurter Flughafen arbeitet nicht nur der Zoll. Auch der Secret Service und das US-Heimatschutzministeriums sind an deutschen Flug- und Seehäfen aktiv. Sie entscheiden, wer ins Flugzeug steigen darf, welcher Container auf welches Schiff geladen wird - und im Zweifel nehmen sie offenbar sogar Menschen fest.

Von John Goetz, Christian Fuchs, Frederik Obermaier und Tanjev Schultz

Die US-Beamten tauchen meist ohne Vorankündigung auf. Plötzlich stehen sie neben den Stewardessen und zeigen auf jemanden: Dieser Fluggast solle lieber nicht an Bord gehen. Offiziell geben die Männer vom amerikanischen Grenzschutz an deutschen Flughäfen nur Tipps, wer gefährlich ist. Faktisch entscheiden sie, wer nach Amerika fliegen darf und wer nicht. Sie sind Teil der Truppe von Agenten und Sicherheitsleuten, die in Deutschland dauerhaft stationiert sind.

Neben CIA und NSA operieren hierzulande mehr als 50 Mitarbeiter des Secret Service, des US-Heimatschutzministeriums, der US-Einwanderungs- und Transportbehörden. Sie genießen diplomatische Immunität und haben Befugnisse, die denen deutscher Polizisten und Zöllner nahekommen. Sie entscheiden, wer ins Flugzeug steigen darf, welcher Container auf welches Schiff geladen wird - und im Zweifel nehmen sie offenbar sogar Menschen fest. Wie im Fall Aleksandr S.

Der estnische Hacker war auf dem Weg in den Urlaub, Bali war sein Ziel. Weil es von Tallinn keinen Direktflug gab, buchte er über Frankfurt. Was sollte ihm dort schon passieren? Doch als er seine Bordkarte zeigt, wird er zur Seite gebeten: Zwei Amerikaner in dunklen Anzügen fragen ihn, ob er "Jonny Hell" sei. Er nickt, denn so nennt er sich in Hackerkreisen. Die Männer halten ihn fest. Sie haben zwar keinen Haftbefehl, dafür Dienstmarken vom Secret Service, der Schutztruppe des US-Präsidenten.

Die US-Agenten haben Jonny Hell der Bundespolizei übergeben, obwohl sie zunächst keinen internationalen Haftbefehl hatten - und obwohl der Flug gar nicht in die USA ging. Statt den Urlaub auf Bali verbringt der Hacker seine Zeit nun hinter Gittern. Mittlerweile sitzt er in einem Gefängnis des US-Bundesstaats Ohio. Deutschland hat ihn ausgeliefert. Ein Gericht in New York verurteilte ihn 2012 zu sieben Jahren wegen massiven Kreditkartenbetrugs. Der 29-Jährige hat die Tat gestanden und war demnach tatsächlich ein gefährlicher Datendieb.

Hoheitliches Handeln von US-Bediensteten nicht zulässig

Dennoch müsste er, wäre alles rechtsstaatlich korrekt zugegangen, vielleicht gar nicht im US-Gefängnis sitzen. Amerikanische Strafverfolgungsbehörden darf es auf deutschem Boden nicht geben. "Hoheitliches Handeln von US-Bediensteten in Deutschland ist nicht zulässig", teilt die Bundesregierung mit. Und was es nicht geben darf, gibt es in den Augen der deutschen Behörden auch nicht. Jonny Hell, so die offizielle Version, sei von der Bundespolizei festgenommen worden. "Ein Aufgriff durch Mitarbeiter von ausländischen Stellen fand nicht statt", teilt das Bundesinnenministerium mit. Beteiligte beschreiben die Geschehnisse anders. "You are under arrest", Sie sind festgenommen, sollen die Männer des Secret Service zu Hell gesagt haben. Erst später seien deutsche Beamte ins Spiel gekommen.

Der Secret Service ist mehr als nur die Leibwache des Präsidenten. Die Truppe wurde 1865 gegründet, um Geldfälscher zu jagen. Den Auftrag, den Präsidenten zu beschützen, bekam sie erst später. Heute zählt auch die Aufklärung von Cyberverbrechen zu ihren Aufgaben. Die Bundespolizei behielt Jonny Hell da, obwohl er in ihren Datenbanken nicht erfasst war und laut einem beteiligten Polizisten eine Anfrage beim Bundeskriminalamt kein Ergebnis brachte. Den Haftbefehl lieferten die USA einige Tage später nach.

Der Umgang mit Haftbefehlen und Auslieferungen verrät einiges über die transatlantischen Beziehungen. Die Deutschen sind stets gern zu Diensten. Auch die USA helfen gerne - wenn es ihnen nicht wehtut.

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Wehgetan hätte es zum Beispiel 2007: Damals schrieb die Münchner Staatsanwaltschaft 13 Amerikaner zur Fahndung aus. Die Gesuchten sind mutmaßlich CIA-Agenten. Sie sollen bei der Verschleppung des Deutschen Khaled el-Masris in ein Foltergefängnis nach Afghanistan beteiligt gewesen sein. Ein Auslieferungsersuchen hat die Bundesregierung jedoch nie an die USA weitergeleitet. Bis heute sind el-Masris mutmaßliche Kidnapper auf freiem Fuß.

Das Verhältnis zu den USA sei "in juristischer Hinsicht unausgewogen", sagen Staatsanwälte. "In Deutschland dürfen ausländische Behörden keine Festnahmen durchführen. Das weiß der Secret Service, aber er setzt sich darüber hinweg", sagt der New Yorker Anwalt des Hackers Jonny Hell. Die Amerikaner arbeiten in Deutschland oft in rechtlichem Graubereich. Begründet werden ihre Einsätze mit der Abwehr von Terroristen. Was genau die Agenten alles machen, weiß aber offenbar auch die Bundesregierung nicht so genau. "Eine detaillierte Aufgabenbeschreibung" liege nicht vor, antwortete sie vor einiger Zeit auf die Anfrage eines Abgeordneten. Nur so viel: Der US-Heimatschutz sei in den Häfen von Hamburg und Bremerhaven tätig.

Ein Besuch in Hamburg: Ein Mann vom Zoll erzählt, dass die hier stationierten Amerikaner Tipps gäben, in welche Schiffscontainer deutsche Zöllner doch bitte einmal genauer reinschauen sollten. Ihr Büro hätten sie im Zollamt Waltershof, heißt es. Die Frau dort am Empfang reagiert erstaunt auf die Frage, wo denn die Amerikaner arbeiten. "Die gibt's hier eigentlich gar nicht." Sie ruft ihre Vorgesetzte. Die wiegelt ab: Die Kollegen seien nicht zu sprechen. Anfragen von SZ und NDR ließ die US-Botschaft in Berlin unbeantwortet. Agenten arbeiten gern im Verborgenen.

Am Frankfurter Flughafen, so erzählen es Polizisten, wechseln sie oft ihre Büros. Der letzte bekannte Ort ist in Halle C, "Military Police Customs" steht an der Tür. Milchglas, ein Schreibtisch, ein paar Aktenschränke, doch das Büro ist verwaist. Sie sind mal wieder umgezogen.

Über die Amerikaner soll man nicht zu viel erfahren, dafür wissen sie umso mehr über andere. Das US-Heimatschutzministerium hat Zugriff auf die Anschriften, E-Mail-Adressen und Kreditkartennummern von Fluggästen. Alle Daten dürfen 15 Jahre lang gespeichert werden. Mitgeteilt werden auch Telefonnummern. Das Gleiche gilt für das genutzte Reisebüro und eine Historie über nicht angetretene Flüge. Offenbar werden diese Daten auch an die NSA weitergereicht.

Bei sogenannten Last Gate Checks stehen Amerikaner mit am Abflug-Gate. Grundlage ihrer Warnungen vor bestimmten Fluggästen sind diverse Listen: No-Fly, Selectee List und Terrorist Watchlist, fast eine Million Menschen haben die Amerikaner schon erfasst, die Hintergründe sind geheim. "Wir wissen selber gar nicht, nach welchen Kriterien aussortiert wird und welche Kompetenzen diese Herren haben", sagt der Mitarbeiter einer deutschen Fluggesellschaft. Unklar bleibt auch, wie viele Passagiere wegen dieser Listen am Besteigen eines Flugzeugs gehindert werden.

Das Bundesinnenministerium verweist an die Fluggesellschaften, die aber nennen keine Zahlen. Die Zusammenarbeit mit den USA unterliege "strengen Vertraulichkeitsregelungen", sagt etwa die Sprecherin von Air Berlin. Die Lufthansa führt nach eigenen Angaben keine Statistik über abgewiesene Passagiere. Die Fluggesellschaften halten sich an die Empfehlungen der Amerikaner, sie wollen nicht riskieren, dass die USA ihnen beim nächsten Flug in die Staaten Probleme machen.

Was zunächst nur wie eine vorgezogene Grenzkontrolle wirkt, könnte aber noch weitergehen: In Wikileaks-Depeschen ist nachzulesen, dass ein Vertreter des deutschen Innenministeriums 2007 forderte, dass die Bundespolizei Namen von Passagieren, die nicht in die USA dürfen, auch in ihr System einspeisen kann. Die Nicht-Fliegen-Empfehlung würde in diesem Fall auch für Passagiere gelten, die nicht nach Amerika reisen, sondern beispielsweise von Frankfurt nach München.

Mitarbeit: Klaus Ott, Peter Hornung, Alexander Tieg

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© SZ vom 18.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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