Süddeutsche Zeitung

Geheimer Krieg:Frankfurt, Hauptstadt der US-Spione

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Von hier aus werden Geheimgefängnisse geplant, Entführungen organisiert und auch mal Pferde nach Afghanistan geliefert. Das US-Generalkonsulat in Frankfurt ist eine der größten CIA-Niederlassungen der Welt. Recherchen im Zentrum der US-Spionage in Deutschland.

Von Christian Fuchs, John Goetz, Frederik Obermaier, Bastian Obermayer und Tanjev Schultz

Man ist nervös rund ums Frankfurter US-Generalkonsulat, schon klar. Aber ist es wirklich verdächtig, wenn jemand hier entlangschlendert, und ab und an vielleicht sogar stehen bleibt? Oder, anders gefragt, ist es so verdächtig, dass gleich zwei Polizeiwagen und die schwarz uniformierten US-Sicherheitsleute gebraucht werden? Wirklich?

Man findet das Konsulat im Frankfurter Norden, in einem Gebäude, in dem ehemals das größte amerikanische Lazarett Europas untergebracht war. Heute gleicht das Haus eher einer Festung: hohe Mauern, Stacheldraht, Panzersperren, Kameras und Männer mit Maschinenpistolen, die gemessenen Schrittes patrouillieren. Dann stoppen auch schon die Polizeistreifen: "Was wollen Sie hier?", fragen die Beamten. Die amerikanischen Sicherheitsmänner gesellen sich dazu.

Andererseits: Es ist kein Wunder, dass man nervös ist hier. Das Generalkonsulat spielt eine besondere Rolle im weltweiten NSA-Überwachungsskandal und eine tragende, was Deutschland angeht. Hier, mitten in Frankfurt, soll eine Einheit des "Special Collection Service" sitzen, jener gemeinsamen Einheit von NSA und CIA, die unter anderem in Berlin das Handy von Kanzlerin Angela Merkel ausspioniert haben soll. Das geht aus einem Dokument aus dem Fundus des Whistleblowers Edward Snowden hervor.

Die Erkenntnis, dass im Frankfurter US-Generalkonsulat Agenten operieren, hatte offensichtlich - lange vor der Handyaffäre - auch die Bundesregierung. Anders lässt es sich kaum erklären, dass der Verfassungsschutz im August einen Hubschrauber im Tiefflug über dem Gelände kreisen ließ, um hochauflösende Fotos zu machen. Mit Hilfe dieser nach diplomatischem Maßstab bemerkenswert aggressiven Aktion wollten die Verfassungsschützer offenbar herausfinden, ob sich, ähnlich wie man es bei der Berliner US-Botschaft vermutet, eine Abhöranlage auf dem Dach befindet. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagt, "einzelne Liegenschaften bestimmter ausländischer Staaten" würden "routinemäßig oder anlassbezogen vom Verfassungsschutz aus der Luft begutachtet", und zwar im Rahmen der "Spionageabwehr". Eine eindeutige Ansage.

Spionageabwehr - das Wort lässt wenig Raum für Interpretationen. Dabei klingt "Generalkonsulat" ja eher nach rauschenden Bällen, feierlichen Begrüßungsreden oder auch nach Leuten, die Pässe ausstellen oder Visa erteilen. Es klingt nicht nach einem Ort, von dem aus Entführungen gesteuert werden, an dem die Logistik für Geheimgefängnisse geplant wird, oder der als Tarnanschrift für CIA-Operationen und als Büroadresse von Secret-Service-Agenten fungiert. Aber noch vor wenigen Wochen hätte man ja auch keine heimliche Abhörstation in einer Botschaft vermutet.

Das amerikanische Generalkonsulat in Frankfurt ist mit seinen etwa 900 Mitarbeitern nicht nur das größte weltweit, es ist auch eine der größten Niederlassungen des in Langley beheimateten CIA außerhalb Amerikas. Frankfurt ist Amerikas deutsche Geheimdiensthauptstadt. Hier arbeiten CIA-Agenten, NSA-Spione, Militärgeheimdienstleute, das US-Heimatschutzministerium und der Secret Service. In einem Umkreis von etwa 40 Kilometern um die Stadt haben die Amerikaner zudem ein dichtes Netz von Außenposten und Tarnfirmen angesiedelt. Aber die Zentrale ist, nach allem, was man weiß, das amerikanische Generalkonsulat. Alles topgeheim? Geht so. Selbst die Polizisten rund um das Konsulat sagen einem offen, dass CIA-Leute da drin sitzen.

Man würde darüber gerne mit dem US-Generalkonsul reden, Erklärungen hören. Doch der Generalkonsul, heißt es, sei die nächsten Wochen leider nicht zu sprechen. Auch ein Besuch im Konsulat könne leider nicht stattfinden. Dabei gäbe es weit mehr zu besprechen als nur die NSA-Problematik, und mehr zu bestaunen als nur das Hauptgebäude. Rechts vom Haupteingang des Konsulats gibt es eine weitere Einfahrt, ebenfalls bewacht von bewaffneten Männern, am Tor steht "Warehouse". Hier fahren alle paar Minuten Lastwagen vor, Wachmänner kontrollieren mit Spiegeln die Fahrzeugunterböden nach Sprengsätzen. Erst dann dürfen sie passieren. Die Lkws werden zu einem großen Flachbau dirigiert, davor parken schwere Pickups, dahinter warten extra gesicherte Überseecontainer auf den Abtransport. Hier operiert die größte US-Logistikzentrale außerhalb Amerikas, von hier organisieren Militär, CIA und andere Dienste den Nachschub ihrer Einheiten in weiten Teilen der Welt.

Von hier werden Agenten in Afghanistan und Pakistan versorgt, und wohl auch in Jemen und Somalia. Mit gewöhnlichen Gebrauchsgegenständen, aber auch mit recht Außergewöhnlichem: Als die CIA in Afghanistan Spezialaufträge zu erledigen hatte, wurden von Frankfurt aus Pferde samt Sattel und Futter eingekauft, so erzählte es ein ehemaliger CIA-Deutschland-Chef. Das "Frankfurt Regional Support Terminal" beschaffte, was auch immer gebraucht wurde. Selbst wenn es um heiklere Aufträge ging: Als die Amerikaner nach den Anschlägen vom 11. September 2001 mit allen Mitteln versuchten, die Hintermänner zur Rechenschaft zu ziehen, ging ein besonders schwieriger Auftrag nach Frankfurt.

Der langjährige CIA-Mann Kyle Foggo, Spitzname "Dusty", sollte für die CIA drei Geheimgefängnisse planen. In diesen "Black Sites", den "schwarzen Orten" verhörte die CIA viele hochrangige Terrorverdächtige. Von Frankfurt aus sorgte Foggo dafür, dass die Verhörkabinen immer gleich aussahen, egal ob sie in Rumänien, Marokko oder Polen standen: Sperrholzwände, rutschfester Boden, ein Plastikstuhl. Gleiche Anmutung, gleiche Größe. Die Gefangenen sollten nicht erkennen, in welchem Land und in welchem Gefängnis sie gerade waren - das machte es später schwerer, der CIA Menschenrechtsverletzungen nachzuweisen. Nur die Utensilien fürs Waterboarding - ein langes Brett, auf das die Opfer geschnallt werden, ein Eimer für das Wasser, ein Tuch, damit der Gefolterte nicht wirklich ertrinkt - wurden nicht aus Frankfurt geliefert, sondern vor Ort zusammengesucht. Foggo, der Mann, der all das organisierte, war damals offiziell dem Frankfurter US-Generalkonsulat zugeordnet.

Frankfurt spielt in der Geheimdienstarchitektur der Amerikaner eine herausragende Rolle, oder, etwas weiter gefasst: der Großraum Frankfurt. Viele Schlüsselorte sind hier zu finden. Zum Beispiel der geheimnisumwitterte "Dagger-Complex" bei Darmstadt-Griesheim. Dort, abgeschieden hinter einem Wäldchen gelegen, soll der Nachrichtendienst der US-Armee sitzen, der militärische Arm der Spionagetruppe NSA: das United States Army Intelligence and Security Command (INSCOM). Außerdem hier: die NSA-Leute vom "European Cryptologic Center", dem "größten Analyse- und Produktionsstandort in Europa", so steht es jedenfalls in einem NSA-Bericht aus dem Jahr 2011. Millionen von Daten werden hier von den mehr als 200 Mitarbeitern gefiltert, sortiert, falls notwendig entschlüsselt und anschließend bewertet, unter anderem mit der durch die NSA-Affäre bekannt gewordenen Analysesoftware "XKeyscore".

Von außen ist dem Gelände nicht anzusehen, dass hier in den vergangenen Jahren etliche Millionen Dollar investiert wurden. Nur die Lüftungsschächte lassen erahnen: Der wichtigste Part des Dagger-Complex, die sogenannte Ice Box, liegt unter der Erde. Von dort aus wird überwacht und abgefangen, seit die amerikanischen Spione 2004 aus dem oberbayerischen Bad Aibling hierher gezogen sind. Seitdem ist Hessen noch wichtiger geworden für die Amerikaner, denn auch wenn die öffentliche Aufregung über das Ausspähprogramm jetzt groß ist - es wird in Zukunft wohl nicht weniger wichtig werden.

Man hat das Gelände längst verlassen, da meldet sich die Polizei telefonisch: Was man am Dagger-Complex zu suchen gehabt hätte? Man erklärt: Recherche. Freundlich-scherzhaft sagt der Polizist, in Guantanamo sei noch eine Zelle frei.

1500 US-Geheimdienstprofis sollen im Dreischichtbetrieb arbeiten

Bald werden die Amerikaner ihre deutschen Helfer in Darmstadt nicht mehr brauchen. Der Standort soll geschlossen und die Mitarbeiter in die Wiesbadener Lucius D. Clay-Kaserne umgesiedelt werden. Dort werden sie auf Kollegen von der NSA und INSCOM treffen, es ist deren Hauptsitz. Klingt nach einem Ort, den man sich genauer anschauen sollte. Aber ein Besuch? Ist leider gerade nicht möglich, so die Auskunft, ebenso wenig wie ein Telefoninterview.

Mehr erfährt man in der US-Datenbank für Staatsaufträge: Demnach entsteht hier für 124 Millionen Dollar ein Hightech-Kontrollzentrum für geheimdienstliche Auswertung. Zum Bau zugelassen: nur sicherheitsüberprüfte US-Firmen. Knapp 12.000 Quadratmeter sind eingeplant, in dem dann wohl mehr als 1500 "Intelligence Professionals", also Geheimdienstprofis, im Dreischichtbetrieb arbeiten werden.

Das deutsche Herz des US-Überwachungswahns wird in Hessen schlagen. Warum hier? Darauf gibt es viele Antworten: die zentrale Lage, die vielen gewachsenen US-Standorte, der Großflughafen. Vielleicht auch einfach, weil Hessen schon lange amerikanischer ist als der Rest der Nation. Traditionell befindet sich ein Großteil der in Deutschland stationierten US-Soldaten in Hessen. Auf der Rhein-Main Air Base wachten während des Kalten Krieges 100.000 Soldaten, aus Wiesbaden organisierten sie 1948 die Luftbrücke nach Berlin, von hier aus starteten Aufklärungsflüge über die UdSSR, von hier flogen Tausende in den Golfkrieg oder nach Afghanistan.

Die meisten Militärflüge werden mittlerweile über den nahen US-Flugplatz Ramstein abgewickelt. Dort wurde 2003 auch der Islamist Abu Omar umgeladen, den CIA-Agenten zuvor in Mailand entführt hatten. Omar wurde nach Ägypten geschafft, wo er für mehr als ein Jahr in einem Foltergefängnis verschwand. 23 US-Agenten wurden später in Italien in Abwesenheit zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt - ein eher symbolischer Triumph des Rechtsstaats: Die USA haben die Agenten selbstverständlich nicht ausgeliefert. Geplant wurde die Entführung unter anderem in Frankfurt. Die Ermittler folgten den Spuren bis in ein Frankfurter Hotel, zu einer ominösen Spedition am Flughafen sowie: dem Generalkonsulat.

Hier laufen die Fäden zusammen, an deren Enden man auf fast alle US-Geheimdienste stößt, die hierzulande operieren. Deren Mitarbeiter entscheiden am Frankfurter Flughafen mit, wer überhaupt in ein Flugzeug steigen darf und wer nicht. Offiziell geben sie allerdings lediglich "Empfehlungen".

Aus ihrem Büro im Flughafen Frankfurt sind die Heimatschutz-Männer offenbar umgezogen in die Clay-Kaserne in Wiesbaden. Dorthin, wo die Agenten der NSA und die Militärspione von der INSCOM beieinander sitzen und wo bald auch die Analysten aus dem Dagger-Complex einziehen werden. Jetzt würden nur noch die Leute vom Secret Service fehlen. Auf den Visitenkarten allerdings, die zwei Special Agents präsentierten, als sie am Frankfurter Flughafen einen estnischen Hacker festsetzten, stand allerdings eine andere Adresse: U.S. Secret Service, Frankfurt Resident Office, Gießener Straße 30. Die Adresse des US-Generalkonsulats.

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Quelle:
SZ vom 19.11.2013
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