Süddeutsche Zeitung

Geheime Selektoren-Liste der NSA:SPD stellt Merkel Ultimatum in BND-Affäre

  • Die SPD erhöht den Druck auf Kanzlerin Angela Merkel (CDU), dem Bundestag Einblick in die umstrittene Selektorenliste zu geben. Darin stehen Kontaktdaten, die der BND auf Bitten des US-Geheimdienstes NSA überwacht haben soll.
  • In US-Geheimdienstkreisen sollen deutsche Regierung und BND neuerdings als unzuverlässig gelten.
  • Der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschuss sagt dagegen: Am Anfang der Affäre stand ein Geheimnisverrat auf amerikanischer Seite, nicht auf deutscher.

Yasmin Fahimi ist in der SPD für die harten Ansagen da. Und in diesem Fall zielt sie nach ganz oben. Die Generalsekretärin der Partei hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in der BND-Affäre eine Frist für eine Entscheidung über die Offenlegung der Selektorenliste gestelt, jener geheimen Liste der Schlagworte, nach denen die gesammelten Datenberge durchsucht werden. "Ich erwarte, dass das Kanzleramt bis zur nächsten Sitzungswoche endlich Klarheit darüber schafft, wie der Bundestag in geeigneter Art und Weise die Selektorenliste prüfen kann", sagte Fahimi der Bild am Sonntag. Die neue Sitzungswoche beginnt am 8. Juni, also in zwei Wochen. Damit erhöht die SPD den Druck auf das Kanzleramt weiter.

Was ist das Problem mit den Selektoren?

Dem Bundesnachrichtendienst (BND) wird vorgeworfen, im Auftrag des US-Geheimdienstes NSA europäische Politiker und Unternehmen mit Hilfe der Liste ausspioniert zu haben. Der US-Geheimdienst soll Hunderttausende Selektoren in Überwachungs-Operationen des BND eingespeist haben: E-Mailadressen, Telefon- und Faxnummern, IP-Adressen. Der BND hat aus dieser Selektorenliste zwar jene herausgefiltert, die zu deutschen Bürgern führen, nicht aber jene, die deutsche Interessen berühren - etwa zu Unternehmen und Regierungen. So sollen Selektoren auf der Liste zu französischen Diplomaten und Mitarbeitern des Luftfahrt-Konzerns Airbus führen, die möglicherweise im Auftrag der NSA überwacht wurden. Einige Selektoren könnten darauf hindeuten, dass der BND Ministerien in Europa fast ein Jahrzehnt lang abgehört hat.

Allerdings ist die Frage, wer wie genau Einsicht in die Dokumente nehmen darf, juristisch schwierig zu beantworten. (Mehr dazu von Heribert Prantl hier)

Die SPD versucht derzeit, sich in der BND-Affäre von ihrem Koalitionspartner zu distanzieren. Sie arbeitet dem Spiegel zufolge an Vorschlägen für eine Reform des Geheimdienstes, die Fälle wie die nun kritisierte Kooperation mit der NSA zu verhindern. Sie soll den Geheimdienst dazu verpflichten, Daten nur noch in Einklang mit dem eigenen Aufgabenprofil zu sammeln. Zudem dürften nur noch Daten weitergegeben werden, die der BND nach dieser Regel selbst erheben dürfte. Die achtköpfige G-10-Kommission soll den BND stärker kontrollieren und EU-Bürger besonders vor Überwachung geschützt werden - außer bei Verdacht auf Drogen-oder Waffenhandel und Terrorismus.

Ähnlich hatte sich auch schon Justizminister Heiko Maas (SPD) geäußert. Aus der CDU kommen ebenfalls Stimmen, die Fernmeldeauklärung des BND zu reformieren. Zugleich wirft sie der SPD "Hysterie" vor.

Auch SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel macht Druck auf die Kanzlerin, dem Bundestag Einblick in die Selektorenliste zu geben und fordert "Rückgrat" von der Kanzlerin. Sein Parteikollege, Außenminister Frank-Walter Steinmeier, soll allerdings nichts von Gabriels harter Linie gegen den Koalitionspartner halten.

Chef des NSA-Untersuchungsausschuss ermahnt USA

Vorwürfe der USA gegen Deutschland hat der Vorsitzende des NSA-Untersuchungsausschusses im Bundestag, Patrick Sensburg (CDU), zurückgewiesen. Die aktuelle Debatte gehe auf amerikanischen Geheimnisverrat zurück, nicht auf deutschen, sagte Sensburg der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Hintergrund sind Berichte über angebliche Drohungen aus Washington, die Zusammenarbeit der Dienste grundsätzlich zu prüfen. Sensburg verwies auf das Leck, in dem der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden Tausende Dokumente über die amerikanischen Überwachungsprogramme öffentlich machte: "Der Auslöser für den NSA-Untersuchungsausschuss bei uns war doch ein gigantischer Datenabfluss und Geheimnisverlust aus dem amerikanischen Nachrichtendienst NSA und nicht beim BND."

Sensburg nannte die Kooperation aber insgesamt "gut, positiv, und im Ganzen wollen beide Seiten nicht darauf verzichten". In Washington herrsche aber "eine hohe Sensibilität und, insbesondere nach der Veröffentlichung vertraulicher Mails zwischen Kanzleramt und amerikanischer Regierung, auch eine gewisse Unzufriedenheit". Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR hatten - auch unter Berufung auf Mailverkehr zwischen beiden Hauptstädten - über die vergeblichen Versuche der Bundesregierung berichtet, der US-Regierung ein sogenanntes "No-Spy-Abkommen" abzuringen, das US-Spionage in Deutschland einschränken sollte.

Vor der Veröffentlichung von Sensburgs Interview hatte die Bild-Zeitung am Samstag berichtet, US-Geheimdienstdirektor James Clapper lasse die Zusammenarbeit mit dem BND prüfen, weil auf die Deutschen beim Schutz geheimer Dokumente kein Verlass mehr sei.

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