Süddeutsche Zeitung

Geheimdienste:Wenn die Kontrolle verloren geht

Der NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags fühlt sich vom BND hintergangen.

Von Thorsten Denkler

Für den Zeugen Peter Bartodziej ist der Tag im NSA-Ausschuss beendet, bevor er richtig angefangen hat. Eine halbe Stunde hat Ausschusschef Patrick Sensburg (CDU) am Donnerstagmorgen versucht zu klären, was der Beamte aus dem Bundeskanzleramt zum Themenkomplex G-10-Kommission sagen könnte, dem Gremium des Bundestages, das die Abhöraktionen des BND genehmigen muss. Dann unterbricht Sensburg unvermittelt die Sitzung.

Eine Meldung auf Spiegel Online hat zuvor die Runde gemacht. Der BND soll den Ausschuss, um es einfach zu sagen, falsch informiert haben. Irgendwann, während Sensburg den Zeugen Bartodziej befragt, ist die Geschichte online gegangen. Die Abgeordneten tuscheln miteinander, mit ihren Mitarbeitern. Papiere werden ausgetauscht. Langsam wird klar, der Tag wird nicht so enden, wie er geplant war.

Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) wird in den Ausschuss zitiert. Statt seiner kommt der Geheimdienstbeauftragte des Kanzleramts, Klaus-Dieter Fritsche. Er berichtet dann am Nachmittag, was Altmaier offenbar am Abend vorher schon in vertraulicher Runde den Obleuten im Ausschuss und den Mitgliedern des Parlamentarischen Kontrollgremiums gesagt hat. Dass nämlich die NSA, der Auslandgeheimdienst der USA, mit Hilfe des BND womöglich auch französische Behörden und Politiker über Jahre hinweg ausgespäht hat. Wie üblich zu Gast in dem Gremium, das die Geheimdienste kontrollieren soll, war am Mittwoch auch BND-Präsident Gerhard Schindler. Als Altmaier zur Runde gestoßen sei, sei Schindler freundlich hinauskomplimentiert worden, berichten Teilnehmer. Manche schließen daraus, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Altmaier und Schindler gestört ist. Schon die Tatsache, dass die Fraktionsvorsitzenden von Altmaier persönlich unterrichtet wurden, wird als Indiz gewertet, welch hohe Bedeutung das Kanzleramt dem Fall beimisst.

Hinweise auf die NSA-Praktiken gibt es allerdings seit einiger Zeit. Vergangenen Oktober berichtete erstmals die Süddeutsche Zeitung darüber. Ende Februar hat der Ausschuss dazu zwei umfassende Beweisbeschlüsse gefasst. Darin werden BND und Bundeskanzleramt aufgefordert, dem Ausschuss alle Akten zu geben, die sie dazu finden können. Kurz danach hat der ehemalige BND-General Dieter Urmann als Zeuge im Ausschuss die Praxis im Kern bestätigt.

Mit Hilfe sogenannter Selektoren, beispielsweise IP-Adressen von Internetnutzern oder Handynummern, hat die NSA versucht, auch die Kommunikation von europäischen Rüstungsunternehmen wie Eurocopter und EADS auszuschnüffeln. Im Ausschuss haben die meisten BND-Zeugen bisher ausgesagt, alle Selektoren der Amerikaner seien vorher geprüft worden. Allerdings schwirren ungeheure Zahlen durch den Raum. Die NSA hat demnach den BND über die Jahre mit Hunderttausenden bis Millionen solcher Selektoren überschwemmt. Spätestens 2008 fiel BND-Mitarbeitern wohl auf, dass einige Selektoren den Aufgaben des BND widersprachen und nicht vom "Memorandum of Agreement" abgedeckt waren. Darin hatten BND und NSA 2002 die Regeln der Zusammenarbeit bei der Terrorbekämpfung ausgehandelt (siehe nebenstehenden Bericht)

Die Linken fordern bereits den Rücktritt von BND-Präsident Schindler

. Im vergangenen Jahr soll im BND deshalb eine geheime Arbeitsgruppe eingerichtet worden sein, die sich die Selektoren noch einmal genau angesehen hat. Tausende problematische sollen dabei identifiziert worden sein, die schon früher aufgefallen waren und zu großen Teilen nicht zum Einsatz gekommen waren. Angeblich ist die Liste dann auf unerklärliche Weise verschwunden. Sie musste mühsam rekonstruiert werden. Dabei seien weitere 2000 problematische, aktive Selektoren gefunden worden. Über die Funde sind angeblich weder das Bundeskanzleramt noch der Ausschuss informiert worden.

Die Ausschussmitglieder sind alarmiert. Die Obfrau der Linken im NSA-Ausschuss, Martina Renner, sagt, dass der Generalbundesanwalt sofort Ermittlungen wegen Spionage aufnehmen müsse. Doch nicht nur das. Es gehe nicht allein um einen Spionageskandal. Es gehe um eine bewusste Fehlinformationen des Untersuchungsausschusses. Die Rechts- und Fachaufsicht des Bundeskanzleramtes funktioniere nicht. Der BND führe ein Eigenleben als Geheimdienst. Deshalb müsse zumindest BND-Präsident Schindler umgehend zurücktreten.

Dieser Aufforderung will sich SPD-Obmann Christian Flisek nicht anschließen. "Wir sind ein Aufklärungsgremium, kein Forderungsgremium", sagt er. Die Vorwürfe haben für ihn dennoch Gewicht: "Wenn sich das verfestigen sollte, dann geht es um ein Organisationsversagen des BND. Und um die Frage der Wirksamkeit der Fachaufsicht im Bundeskanzleramt und der Kontrolle durch das Parlament."

Auch Grünen-Obmann Konstantin von Notz will keinen Rücktritt Schindlers fordern. So ein Schritt würde "nur die Verantwortlichkeit vernebeln".

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SZ vom 24.04.2015
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