Geheimdienst-InformationenDoch kein Terrorist

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Polizisten vor der israelischen Vertretung in Berlin. Der Libyer, der die Botschaft angeblich angreifen wollte, ist unschuldig.
Polizisten vor der israelischen Vertretung in Berlin. Der Libyer, der die Botschaft angeblich angreifen wollte, ist unschuldig. (Foto: Paul Zinken/DPA)

Omar A. wird festgenommen, weil er einen islamistischen Anschlag geplant haben soll. Der Tipp kam aus dem Ausland – dort war man auf einen gefälschten Chat hereingefallen. Wie riskant ist der Austausch der Geheimdienste?

Von Christoph Koopmann

Er trägt Jogginghose, Regenjacke und Handschellen, als ihn vermummte Polizisten aus dem Hubschrauber führen, zur Vorführung beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe. Am vorherigen Abend haben Spezialkräfte ihn in Bernau in Brandenburg festnehmen lassen: Omar A., 28 Jahre alt, Libyer, der Asylantrag abgelehnt – und jetzt, im Oktober 2024, verdächtig, einen Anschlag auf die israelische Botschaft in Berlin geplant zu haben.

Ein paar Tage vorher hat das Bundesamt für Verfassungsschutz einen Tipp von einem ausländischen Geheimdienst bekommen. Screenshots von Chats. Nachrichten, in denen stand, dass er die Botschaft „sofort angreifen“ wolle, am besten mit einer Schusswaffe.

Omar A. ist das Opfer einer Verwechslung  – oder einer Intrige

Damals scheint alles zusammenzupassen: Das Profil der Chatpartnerin von Omar A. ordnet der Verfassungsschutz dem sogenannten Islamischen Staat zu – die Terrorgruppe nutzt, das wissen die Ermittler aus Erfahrung, immer wieder Frauenprofile als digitale Lockvögel für potenzielle Terroristen. Auf Instagram soll Omar A. ein Foto von einer brennenden Israel-Flagge mit Schuhabdrücken darauf gepostet haben. Angeblich hat er – offenbar über Israelis und Juden – von „Nachkommen von Affen und Schweinen“ geschrieben, die Allah nicht entkommen könnten. Die Behörden haben auch mitbekommen, dass Omar A. wohl islamistische Moscheen in Berlin besucht hat.

In einer Lagebesprechung entscheiden Verfassungsschutz und Polizei: Zugriff, so schnell wie möglich.

Über den Anschlag auf Israels Botschaft, der gerade noch vereitelt werden konnte, berichten sämtliche Medien, auch die SZ. Der Kanzler äußert sich, die Innenministerin, der Justizminister, Stimmungsbarometer: tiefste Sorge, größte Bestürzung.

Nur: Omar A. ist kein Terrorist. Er hatte gar nicht vor, die israelische Botschaft zu stürmen. Er ist ganz offensichtlich Opfer einer Verwechslung geworden – oder einer Intrige. Was genau, das klären die Ermittler gerade. Aber sie haben ihn schon mal aus der Untersuchungshaft entlassen. Seit dem 9. Januar ist er wieder frei.

Welches Risiko gehen deutsche Sicherheitsbehörden ein, wenn sie sich auf ausländische Geheimdienste verlassen?

Wie wenige Tage später bekannt wird, haben die Ermittler den GAU erlebt: Der Hinweis des ausländischen Geheimdienstes, auf den sie sich erst mal verlassen hatten wie in so vielen anderen Fällen zuvor, war falsch. Ein entsprechender Bericht der ARD trifft nach SZ-Informationen aus Sicherheitskreisen zu.

Der Fall offenbart eine Grundsatzfrage: Welches Risiko gehen die deutschen Sicherheitsbehörden ein, wenn sie sich in Terrorverfahren auf Tipps aus dem Ausland verlassen? Generalbundesanwalt Jens Rommel, dessen Behörde die allermeisten Ermittlungen zu vermeintlichen Anschlagsplänen in Deutschland führt, auch die gegen Omar A., bringt der Fall ins Nachdenken. Dem SWR sagte er: „Neben dem Freiheitsentzug für den Unschuldigen ist für mich die Frage, welche Auswirkungen das auf andere Verfahren hat, auf die Verlässlichkeit von Beweismitteln. Und das müssen wir natürlich genau in den Blick nehmen, damit solche Fälle wirklich vermieden werden.“

Polizisten bringen Omar A. im Oktober 2024 zur Haftvorführung in Karlsruhe.
Polizisten bringen Omar A. im Oktober 2024 zur Haftvorführung in Karlsruhe. (Foto: René Priebe/DPA)

Welcher ausländische Geheimdienst den Hinweis im Fall Omar A. gegeben hat, ist nicht öffentlich bekannt. So läuft das Geschäft der Agenten und Spione eben: Man hilft sich, aber man spricht in der Regel nicht darüber. Die Sache ist bloß, dass sich längst der Eindruck verfestigt hat, den deutschen Nachrichtendiensten müsste besonders oft geholfen werden.

CDU-Experte Christoph de Vries fordert mehr Befugnisse für die deutschen Nachrichtendienste

Schon 2006 hatte der libanesische Militärgeheimdienst den Deutschen gesagt, wo sie einen der beiden Männer finden konnten, die kurz vorher in Köln (glücklicherweise defekte) Kofferbomben in Zügen deponiert hatten. Der Tipp zu einem Mann, der 2018 in Köln eine Bombe mit dem Giftstoff Rizin bauen wollte, kam von der CIA. Nur zwei Beispiele von vielen. 2022 antwortete die Bundesregierung auf eine kleine Anfrage des CDU-Abgeordneten Christoph de Vries, seit 2011 seien 13 Anschläge in Deutschland vereitelt worden – in sechs Fällen dank entscheidender Hinweise aus dem Ausland. Seitdem wurden weitere Attentate verhindert, bei denen es genauso war.

CDU-Mann de Vries, der sich sowohl im Innenausschuss des Bundestags als auch in dessen Kontrollgremium für die Nachrichtendienste mit Terrorismus und den Befugnissen deutscher Agenten beschäftigt, sieht ein fundamentales Problem: „Es kann nicht sein, dass unsere Geheimdienste von Hinweisen ausländischer Partnerdienste abhängig sind, die mit Methoden gewonnen werden, die hierzulande verboten sind“, sagt er der SZ. Die deutschen Dienste sollten „das können und dürfen, was unseren Partner in den europäischen Demokratien auch erlaubt ist“. Was die dürfen: zum Beispiel IP-Adressen speichern und, wenn es nötig wird, anhand derer ermitteln, welcher Nutzer an einem verdächtigen Chat beteiligt ist.

Bruno Kahl, der Präsident des für Auslandsspionage zuständigen Bundesnachrichtendienstes, sagte im Herbst in einer öffentlichen Anhörung im Bundestag, man brauche „deutlich mehr operative Beinfreiheit“. Die Welt werde schließlich immer unübersichtlicher, Krisen und Kriege überall. Da müsse man Schritt halten. So sehen sie das auch beim Verfassungsschutz, der Islamisten in Deutschland im Blick behalten soll.

Andererseits wehrt man sich dort auch gegen den Vorwurf, selbst praktisch nichts hinzubekommen. „Das Geschäft ist ja keine Einbahnstraße“, sagt eine Person, die mit den Erkenntnissen zum vermeintlichen Botschaftsanschlag betraut ist. Auch Verfassungsschutz und BND lieferten ausländischen Partnern regelmäßig Hinweise auf potenzielle Terroristen. Nur bekomme das die Öffentlichkeit eben seltener mit.

Häufig erfahren die deutschen Dienste die ursprüngliche Quelle einer Information nicht

Ein weiteres Problem an dem Tauschgeschäft: Häufig bleibt den Deutschen unklar, woher eine Information ursprünglich stammt. Bei den angeblichen Chats von Omar A. haben sie nachgefragt, als sie Zweifel bekamen – der Partnerdienst sagte, man habe die Screenshots von einem sogenannten Nachrichtenhändler. Das sind Informanten, die für Tipps Belohnungen kassieren wollen.

In diesem Fall aber hatte der betreffende Nachrichtenhändler den Chat fingiert, entscheidende Passagen einfach hinzuerfunden. Es soll täuschend echt ausgesehen haben. Aber als die deutschen Ermittler Omar A.s Handy auswerteten – das er ihnen zu ihrer Verwunderung schon freiwillig entsperrt haben soll –, fanden sie die Passagen nicht. Dass er sie gelöscht hatte, konnten sie später ausschließen.

So bedauerlich die falsche Verdächtigung sei, sagen Ermittler hinter vorgehaltener Hand: Bei Terrorverdacht gehe man lieber auf Nummer sicher. Gerade wenn auch zusätzliche Erkenntnisse erst mal dafür sprechen, dass der Verdacht stimmen könnte. Zum Beispiel Social-Media-Posts, wie man sie bei Omar A. gefunden hat.

Wichtig sei eben nur, sagen Beteiligte, dass nach einer schnellen Festnahme alle Hinweise gewissenhaft und rechtsstaatlich geprüft würden. Das sei in Omar A.s Fall auch passiert. Und in der überwiegenden Zahl der Ermittlungsverfahren, versichert man beim Verfassungsschutz und bei der Bundesanwaltschaft, hätten sich Tipps aus dem Ausland vor Gericht als korrekt herausgestellt.

Aber Omar A., den sie im Oktober von Spezialkräften abführen ließen, plante in dem Chat eben keinen Anschlag. Offenbar suchte er eine Frau.

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