Süddeutsche Zeitung

Gegen den Rechtsruck in Deutschland:Sprechstunde für besorgte Bürger

Ali Can bezeichnet sich selber als "Asylbewerber Ihres Vertrauens". Mit einer Hotline will er AfD-Wählern die Angst vor Flüchtlingen nehmen.

Von Minh Thu Tran

Ali Can spricht schnell und viel, manchmal mit Hang zum Pathos. Etwa wenn er sagt: "Ich will die Welt verändern." Aber er ist sich sicher, dass sein Projekt tatsächlich dazu beiträgt: Der Student hat eine "Hotline für besorgte Bürger" ins Leben gerufen, mit ihm als "Asylbewerber Ihres Vertrauens" als Ansprechpartner.

Dazu bewegt hat ihn das Aufkommen von Pegida und AfD, die für ihn eine zunehmende Spaltung der ganzen Gesellschaft belegen. Bei gegenseitigen Anschuldigungen wie "linksgrün versifften Gutmenschen" und "Rassisten" bleibe kaum noch Platz für differenzierte Gespräche. Dagegen, so Can, wolle er etwas unternehmen.

Der 22-jährige Can ist selbst als Kleinkind mit seinen Eltern aus der Türkei geflüchtet, seine Familie stammt aus der Provinz Kahramanmaraş, nahe der syrisch-türkischen Grenze. Als kurdische Aleviten wurden sie politisch verfolgt, bekamen schließlich in Deutschland Asyl, heute lebt Can in Gießen.

Inzwischen hat Can drei seiner Sprechstunden abgehalten. Es rufen schon so viele Leute an, dass er nicht mehr jeden Anruf entgegennehmen kann. Neulich begann die Sprechstunde "mitten in der Pampa", sagt er. Der erste Anruf kam überpünktlich, er war noch auf dem Weg nach Hause. "Das war das längste Gespräch, das ich bislang in einer Sprechstunde geführt habe."

Der erste Anrufer: Akademiker und AfD-Wähler

SZ.de hatte Gelegenheit, Ali Can dabei zuzuhören, wie er die Fragen beantwortet. Was am anderen Ende der Leitung gesprochen wird, bleibt uns aus Gründen der Anonymität unbekannt, genau wie die Identität des Mannes. Eine Stunde und fünf Minuten lang unterhält sich Can mit dem selbst erklärten "überzeugten AfD-Wähler". Aber kein Typischer, wie der Anrufer laut Can gleich zu Beginn klarstellt. Er sei an einer Universität beschäftigt, ein Akademiker.

Immigration und Integration beschäftigen den Anrufer sehr - er ist vehement gegen illegale Einwanderung, zitiert Zahlen, die angeblich belegen, dass mehr als 80 Prozent der Flüchtlinge ohne Pass einreisen. Can tastet sich während des Anrufs vorsichtig an seinen Gesprächspartner heran, lässt den Mann seinen Standpunkt erklären und ausreden.

Mehr Verständnis für Flüchtlinge - und für jene, die Vorbehalte gegen sie haben

Er nennt dem Anrufer mögliche Gründe, warum viele Flüchtlinge keinen Pass haben: die Dokumente können auf der Flucht verloren gegangen oder von einem despotischen Regime zurückgehalten worden sein. Vielleicht wurden sie weggeworfen aus Angst vor einer Abschiebung aus Deutschland, wenn jemand schon woanders in Europa registriert wurde. "Zu den Zahlen kann ich leider nichts sagen, ich kenne sie nicht", sagt Can und bittet, ihm Daten zu schicken. Er bietet dem Mann an, in der folgenden Woche noch mal darüber zu diskutieren.

Dem Anrufer kann es darüber hinaus nicht schnell genug gehen mit der Integration der Flüchtlinge: Warum bewerben sich Flüchtlinge nicht schneller auf Jobs, fragt er. Can antwortet umfassend und ohne Schönreden: "Es gibt natürlich unter den Flüchtlingen sowohl Leute, die praktisch Analphabeten sind, als auch hochintelligente Akademiker", erklärt er dem Anrufer.

Can berichtet von den Erfahrungen, die Flüchtlinge, die er betreut, mit der Migration gemacht haben, und von seinen eigenen: Etwa davon, wie schwer es ist, sich in einem fremden Land zurechtzufinden. "Sie müssen ja bedenken, das sind keine Leute, die sich darauf vorbereitet haben, ins Ausland zu gehen. Das sind Leute, die geflüchtet sind, die Sprache nicht sprechen, ihre Qualifikationen oft nicht nachweisen können."

Als der Mann von einer "Bringschuld" spricht, die Einwanderer Deutschland gegenüber haben, erläutert Can, wie wichtig auch eine "Willkommenskultur" der Einheimischen ist, um Kontakt herzustellen. Wie sehr er davon profitiert hat, dass Menschen ihn zu sich nach Hause eingeladen und ihm und seiner Familie bei der Eingewöhnung geholfen haben. "Das hat bei mir die Bringschuld, wie Sie das sagen, verstärkt!"

Die Diskussionen, die Can führt, sind erfrischend unaufgeregt

Can gibt sich interessiert und regt sich über keine Meinung auf, denn "eine Meinung zu haben, ist grundsätzlich erst Mal okay". Es fallen keine Schuldzuweisungen, der Ton ist sachlich und freundlich - ganz anders als bei den ständigen Zänkereien und gegenseitigen Anfeindungen, wie sie häufig in sozialen Medien zu finden sind.

Bei Anrufern, die an Diskussion interessiert sind, wirbt Can für mehr Verständnis und mehr Geduld mit den Neuankömmlingen in Deutschland. Gleichzeitig äußert er aber auch Verständnis für seine Gesprächspartner: "Die Leute haben berechtigte Sorgen und teilweise konkrete Anliegen." Sie deswegen als Rassisten zu beschimpfen, sei nicht in Ordnung.

Manchmal rufen aber auch Menschen an, die an einem Gespräch überhaupt nicht interessiert sind. "Der zweite Anrufer der letzten Sprechstunde hat am Anfang gleich klargestellt, dass er die AfD wählt - und nichts von der Hotline hält", so Can. Und vergangene Woche etwa rief ein Mann an, der ihn fortwährend nur beschimpfte. "Da hab ich irgendwann aufgelegt, das bringt dann nichts."

Can will mehr "Asylbewerber Ihres Vertrauens"

Doch Gespräche wie das mit dem AfD-Wähler von der Uni bestärken ihn darin, weiterzumachen - auch wenn er langsam an seine Grenzen stößt. "Ich hab noch einige Nachrichten auf der Mailbox und Dutzende E-Mails, die ich beantworten muss", so Can. Grundsätzlich beantwortet er jede Anfrage, die kommt.

Sein Engagement läuft bislang als One-Man-Show. Neben den Anrufen gibt der Student ehrenamtlich Workshops für interkulturelle Kommunikation; er ist auch schon zu Pegida-Protesten im Osten Deutschlands gefahren, um mit den Demonstranten zu sprechen. Nun überlegt sich Can, die Hotline auszubauen, Mitstreiter zu finden. Den Drang, sich für mehr Verständnis zwischen Deutschen und Flüchtlingen einsetzen zu wollen, so hofft er, müssten doch auch andere haben.

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