Obsa Ibrahim-Abdella darf arbeiten. Er kommt gerade von der Frühschicht. Seit sechs Uhr hat er bei dem Automotiv-Hersteller Rehau in Feuchtwangen Fahrzeugteile kontrolliert. Seit zwei Jahren arbeitet er dort, vorher hat er schon sieben Monate beim Paketdienstleister GLS Pakete sortiert, so wie jetzt noch viele seiner Mitbewohner aus der Flüchtlingsunterkunft in Feuchtwangen - jedenfalls jene, die noch dürfen; jene, deren Arbeitserlaubnis nicht eingezogen wurde. Die Arbeit bei Rehau sei ein sehr guter Job, findet er. Er würde ihn gerne behalten. Sicher aber ist dieser Job eben keineswegs. Sicher ist gar nichts, seit Obsa Ibrahim-Abdella 2016 vor den Unruhen in seiner Heimat Äthiopien floh und in Deutschland um Asyl bat.
Bringt ihm das von der Ampelkoalition geplante Chancen-Aufenthaltsrecht jetzt diese Sicherheit? "Wir werden warten, ob dieses Gesetz wahr ist oder nicht", sagt Ibrahim-Abdella ausweichend. "Aber wir werden es hoffen." Er bleibt da vorsichtig. Deutschland hat ihm bislang wenig Anlass zu Hoffnung geboten. Sein Asylgesuch wurde erst abgelehnt. Er klagte dagegen. So läuft sein Verfahren seit sechs Jahren immer noch. Er darf deshalb noch arbeiten - und hoffen, dass Deutschland ihn als Flüchtling anerkennt. Ausgang ungewiss.
Nur etwa jeder zweite inhaltlich entschiedene Antrag auf Asyl von Äthiopiern wurde im vergangenen Jahr positiv beschieden. Ibrahim-Abdella war geflohen, als seine Heimat nach Protesten gegen eine Landreform eine Welle der Gewalt erlebte. Nach einer kurzen Zeit der Hoffnung tobt im Norden des Landes nun ein blutiger Bürgerkrieg, Regierungstruppen wie Rebellen werden schwere Kriegsverbrechen vorgeworfen. Die Zentralregierung unter Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed Ali ließ erst vor wenigen Wochen Tausende Menschen verhaften, darunter zahlreiche Regierungskritiker.
Äthiopien sei für ihn noch immer gefährlich, sagt Ibrahim-Abdella. Er möchte in Deutschland bleiben. Und warum genau darf er das nicht, wo er sich eingefunden und einen Job gelernt hat, fragt er. Und mit ihm fragen das zahlreiche Handwerks- und Gastronomiebetriebe in ganz Deutschland, die um ihre mühsam eingelernten Mitarbeiter bangen. Es ist eine sehr pragmatische Frage - und sie stellt sich der ganzen Logik des Asylsystems (wer abgelehnt wurde, muss gehen) entgegen. Aber für zahlreiche Betriebe, die unter Arbeitskräftemangel ächzen, ist es auch eine sehr drängende Frage. "Fakt ist: Deutschland gehen die Arbeitskräfte aus", warnte Arbeitsagentur-Chef Detlef Scheele. "Von der Pflege über Klimatechniker bis zu Logistikern und Akademikerinnen: Es werden überall Fachkräfte fehlen", sagte er. Deutschland brauche 400 000 Zuwanderer pro Jahr. Nach der Pandemie kämpfen die Betriebe deshalb verstärkt auch um die bei ihnen angestellten Migranten. Auf eine kurze Umfrage der SZ hin melden sich zahlreiche Betriebe, die auf die neue Regelung hoffen.
Da ist der Restaurantbesitzer aus dem oberbayerischen Hebertshausen, der um einen Koch aus Mali bangt, dessen Arbeitserlaubnis im August ausläuft. Er hat ihn selbst ausgebildet und seit sechs Jahren beschäftigt, er sei "eine Stütze, ohne die wir nicht mehr auskommen", sagt er. Da ist der Pizzeria-Besitzer in Nördlingen, der extra einen Ausbilderschein machte, um den türkischen Zuwanderer als Auszubildenden aufnehmen zu können, und dessen Schützling nun dennoch erst Mal ausreisen musste. Geduldete arbeiten aber auch in Pflegeheimen, bei Zahnärzten, bei Bäckereien und Kfz-Betrieben. Aus Nordrhein-Westfalen berichten Kenner von Lagerarbeitern, Kfz-Mechanikern und Produktionshelfern, für die das neue Gesetz interessant sein könnte. Sie stammen aus Guinea, Mali, dem Irak oder Pakistan. Sie kämpfen um ein Bleiberecht. Und vielfach kämpfen ihre Arbeitgeber mit ihnen. Beschäftigung von geflüchteten Menschen sei eine Option zur Fachkräftesicherung, betont auch DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks. Die Unternehmen bräuchten aber Planungssicherheit, um Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit Fluchthintergrund nachhaltig in die Betriebe integrieren zu können.
Wird das Chancen-Aufenthaltsrecht den Geduldeten also Sicherheit bringen und manch eine Lücke im Arbeitsmarkt stopfen? Zumindest die Flüchtlingsverbände haben da Zweifel. Denn eine der Voraussetzungen für das neue Chancen-Aufenthaltsrecht soll sein, dass die Geflüchteten ihren Pass vorlegen. Genau an dieser Hürde scheitern aber auch jetzt schon viele von ihnen. Der Koch aus Mali etwa bemüht sich seit drei Jahren um seine Passdokumente, war dafür vier Mal bei der Botschaft seines Landes in Berlin, aber dort geht einfach nichts voran, so beschreibt es sein Chef.
Manche können also ihre Pässe nicht vorlegen. Andere wiederum fürchten sich vor diesem Schritt. Sie haben erlebt, dass Freunde danach sofort abgeschoben wurden, war der fehlende Pass doch das einzige Hindernis für ihre Abschiebung. Auch in Feuchtwangen ist das passiert. Flüchtlingshelfer Gerhard Stümpfig war selbst dabei, als ein Äthiopier, dem eine Arbeitserlaubnis in Aussicht gestellt worden war, seinen Pass vorlegte. Das Amt behielt den Pass und händigte ihm noch beim selben Termin einen Bescheid aus, der ihn zur sofortigen Ausreise aufforderte. "Seitdem ist da eine große Skepsis", sagt Stümpfig. Auch die Organisation Pro Asyl sieht in der Passpflicht eine große Hürde. Damit würde absehbar ein Großteil der ansonsten begünstigten Personen vom Chancen-Aufenthaltsrecht ausgeschlossen werden, heißt es in einer Stellungnahme.
Flüchtlingshelfer Stümpfig setzt dennoch große Hoffnungen in das neue Gesetz. "Das ist eine große Chance." Er will es jetzt mit den Geflüchteten aus der Unterkunft in Feuchtwangen besprechen. Aber es müsse irgendeine Sicherheit geben, dass die Männer wissen, dass die Identitätsklärung, die im Gesetz gefordert ist, nicht doch nur Abschiebung bedeutet.