Als sich im Sommer 2015 immer mehr Flüchtlinge auf den Weg nach Deutschland machten, gehörte Achim Brötel zu denjenigen, die beherzt Hilfe anboten. Als Landrat des in Nordbaden gelegenen Neckar-Odenwald-Kreises quartierte er im 7000-Einwohner-Ort Hardheim in einer leer stehenden Kaserne 700 Geflüchtete ein, der Kreis nahm mehr Menschen auf, als notwendig gewesen wären. Brötel, selbst CDU-Mitglied, unterstütze den Kurs von Kanzlerin Angela Merkel, und viele Freiwillige engagierten sich am Ort für die Integration der Geflüchteten.
Neun Jahre später kann der Landrat bei Einbürgerungsfeiern syrischer Familien, die 2015 gekommen sind, sehen, wohin diese Willkommenskultur geführt hat: zu tollen Beispielen gelungener Integration von Familien, wo die Eltern arbeiten, die Kinder Abitur machen und allesamt in Vereinen am Ort aktiv sind. Heute glaubt Brötel allerdings, dass sich solche Erfolgsgeschichten nicht mehr so einfach wiederholen lassen. Ja, mehr noch: dass die Kapazitäten bei der Aufnahme Geflüchteter nahezu erschöpft seien, und die Politik endlich die Migration stärker begrenzen müsse.
Die Forderungen reichen bis hin zu einem befristeten Aufnahmestopp als Ultima Ratio
Der gewandelte Blick eines Landrats aus dem Südwesten der Republik ist insofern nicht ganz unerheblich, als Brötel gerade erst zum Präsidenten des Deutschen Landkreistags gewählt wurde, neben dem Städte- und dem Gemeindetag einer der drei einflussreichen Kommunalverbände. Kurz vor dessen Wahl, aber natürlich schon unter dessen Mitwirkung, hat der Landkreistag ein Positionspapier zur Migration veröffentlicht, das Teile der Bundesregierung zumindest als unfreundlichen Akt betrachten.
Darin heißt es, eine strikte Begrenzung der irregulären Migration sei dringend erforderlich. Die konkreten Forderungen reichen bis hin zu einem befristeten nationalen Aufnahmestopp als Ultima Ratio. Das Mindeste, was der Bund jetzt beschließen müsse, sei die Fortführung der Grenzkontrollen und die Ausweisung weiterer Staaten als sichere Herkunftsländer, sagt Brötel. Als ein Beispiel nennt er die Türkei. Millionen Deutsche hätten diesen Sommer Urlaub in der Türkei gemacht, das Land sei Nato-Bündnispartner und wolle in die EU. „Warum soll die Türkei kein sicheres Herkunftsland sein?“ Brötel besitzt die Fähigkeit, mit weicher Stimme harte Forderungen zu stellen.
Viele, die sich 2015 engagiert haben, sind heute erschöpft
Der promovierte Jurist hätte wohl auch als Richter Karriere machen können. Nach Stationen als Zivilrichter, Jugendstaatsanwalt und im Stuttgarter Justizministerium war er persönlicher Referent des Präsidenten des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe. Brötel aber wollte auf Dauer die Dinge nicht nur im Nachhinein am Gericht aufarbeiten, sondern politisch gestalten. 1998 wurde er Bürgermeister seiner Heimatstadt Buchen, 2005 dann Landrat. Seit mehr als 30 Jahren steht Brötel um 4.20 Uhr auf, ein Relikt aus Zeiten, als seine Frau, eine Krankenschwester, regelmäßig Frühschicht hatte. Ab 4.45 Uhr sitzt er am Schreibtisch. Er hat damit viel Zeit, auch künftig kommunale Weckrufe nach Berlin abzusetzen.
Die Politik, sagt Brötel, müsse in der Migrationspolitik jetzt endlich liefern. In seinem Kreistag hat die AfD zwar nur sieben von 47 Sitzen. Aber im Kreistag des sächsischen Görlitz, mit dem der Neckar-Odenwald-Kreis seit der Wendezeit eine Partnerschaft pflegt, ist sie die stärkste Kraft. Und auch in Nordbaden hat die AfD ihren Stimmenanteil bei der jüngsten Kommunalwahl deutlich erhöht. Die Willkommenskultur, sagt Brötel, habe stark gelitten, das zeige sich auch im Neckar-Odenwald-Kreis. Viele, die sich 2015 engagierten, seien heute erschöpft. Im Frühjahr musste der Landrat eine widerstrebende Gemeinde sogar zur Aufnahme von Flüchtlingen anweisen, die Kaserne in Hardheim hat die Bundeswehr längst wieder für Soldaten reaktiviert. Zeitenwende allerorten.