De Standaard (Belgien): „Einer der 26 ausgetauschten Gefangenen ist (der US-Journalist) Evan Gershkovich. Er war von Russland fälschlicherweise der Spionage beschuldigt und zu 16 Jahren Gefängnis verurteilt worden. (...) Acht Russen, die in europäischen und amerikanischen Gefängnissen saßen, kehren nach Russland zurück. Unter ihnen der Auftragskiller Wadim Krasikow, der in einem Berliner Park einen tschetschenischen Dissidenten ermordet hat. Ein Auftragsmörder für einen Journalisten. Auch dieser Deal sieht nach Erpressung aus. (...) Russland empfängt Krasikow nun wie einen Helden. Die russischen Regimekritiker, die der Westen befreit hat, sieht der Kreml gerne gehen. Exilanten verschwinden schneller aus den Nachrichten als Märtyrer in russischen Zellen. Aber das macht Russland nicht zum Gewinner dieser Erpressung. Das sind und bleiben jene Länder, denen es vor allem um die Freiheit unschuldiger Bürger geht.“ (Anm. d. Red.: Tatsächlich handelt es sich nicht um 26 ausgetauschte Gefangene, sondern um 24 Gefangene und zwei Minderjährige.)
Neue Zürcher Zeitung (Schweiz): „Im umfangreichsten Gefangenenaustausch zwischen dem Westen und Russland seit Ende des Kalten Krieges war der ‚Tiergartenmörder‘ die zentrale Figur. (…) Nun hat die Bundesregierung ihn tatsächlich überstellt, damit mehrere Gefangene freikommen, unter anderem der in Weißrussland zunächst zum Tode verurteilte deutsche Staatsbürger Rico K. Aber es ging bei diesem Deal vor allem um zwei Amerikaner: (...) Gershkovich und (...) Paul Whelan. Das war die Hauptsache. Und es zeigt: Deutschland kommt den USA weit entgegen. (…) Es geht hier allerdings um mehr als Moral. Es geht vor allem im Falle Deutschlands um Realpolitik. Das Land ist in besonderer Weise abhängig von den USA, erst recht seit dem russischen Überfall auf die Ukraine. Anders als Großbritannien und Frankreich besitzt es keine eigenen Nuklearwaffen. Es braucht den amerikanischen Schutzschirm. (…) Einen solchen Verbündeten verprellt man nicht. Auch wenn das bedeutet, einen Mörder freizulassen.“
New York Times (USA): „Während wir die Freilassung dieser unschuldigen Menschen (Gershkovich und die anderen) feiern, lässt sich die beunruhigende Tatsache nur schwer ignorieren, dass (Russlands Präsident Wladimir) Putin ihre Inhaftierungen erfolgreich dazu genutzt hat, echte Kriminelle aus den Gefängnissen zu holen, in die sie gehören. Dies gilt vor allem für Wadim Krasikow (...). (US-Präsident Joe) Biden hatte recht, alles zu tun, um zu Unrecht inhaftierte Amerikaner freizulassen. Doch die Bereitschaft autoritärer Staaten wie Russland, unschuldige Ausländer als Geiseln zu nehmen, ist ärgerlich. Aus diesem Grund werden sie im Washingtoner Sprachgebrauch als ,Entführungsstaaten‘ bezeichnet.“
Wall Street Journal (USA): „Die US-Amerikaner und die freigelassenen russischen Dissidenten schulden dem deutschen Kanzler Olaf Scholz einen besonderen Dank. (...) Scholz setzte sich dem Risiko politischer Kritik im eigenen Land aus, indem er den Spion freiließ, den Putin entsandt hatte, um auf deutschem Boden zu töten. (...) Die hässliche Wahrheit ist, dass Russland und andere rücksichtslose Regime Geiseln nehmen, weil es funktioniert. (...) Die derzeitige weltweite Wahrnehmung der Schwäche der USA hat schlimme Folgen für die Pressefreiheit und für US-Amerikaner im Ausland. (...) Etwas wird sich ändern müssen, sonst werden nach diesem Gefangenenaustausch noch mehr Amerikaner als Geiseln genommen. Dies wird im kommenden Jahr für Donald Trump ebenso gelten wie für Kamala Harris.“
The Times (Großbritannien): „Die erste Reaktion sollte Freude darüber sein, dass der Leidensweg von Evan Gershkovich ein Ende gefunden hat. (...) Die zweite Reaktion sollte Verachtung für eine aggressive Regierung sein, die auf zynische Weise westliche Journalisten und andere leicht festzunehmende Menschen zu Geiseln macht, um sie gegen Mörder, Waffenhändler und Spione einzutauschen, die im Westen inhaftiert sind, weil sie die schmutzige Arbeit des Kreml im Ausland verrichten. Und die dritte Reaktion sollte Überraschung darüber sein, dass es der Biden-Administration in einer Zeit fast beispielloser Spannungen mit Russland gelungen ist, eine Vereinbarung zu erzielen, die auch zur Befreiung einer Reihe mutiger Russen geführt hat, die sich gegen Missstände und Unterdrückung eingesetzt und dafür mit langen Haftstrafen bezahlt haben.“
„Dieser Austausch verlangt nach Erklärungen“
ABC (Spanien): „Deutschland war das Land, das sich am stärksten dem Austausch widersetzt hatte. In seinen Gefängnissen saß der Mann, an dessen Wiedererlangung Putin am meisten interessiert war: der Auftragskiller und russische Geheimdienstagent Wadim Krasikow (der sogenannte Tiergartenmörder) (...) Im Gegenzug hat sich Putin bereiterklärt, den Wall-Street-Journal-Korrespondenten Evan Gershkovich freizulassen. (...) Die Rückkehr zu diesen Praktiken des Kalten Krieges wirft mehrere Probleme auf. Erstens verlangen die heutigen Demokratien ein Höchstmaß an Transparenz und sind nicht bereit, Staatsräson blind zu akzeptieren, ganz gleich wie lobenswert ihre Ziele auch sein mögen. Zweitens ist die bewusste Entscheidung Russlands, Journalisten und politische Dissidenten mit erwiesenen Spionen und Attentätern gleichzusetzen, an sich schon eine Schande. (...) Dieser Austausch verlangt nach Erklärungen.“
La Repubblica (Italien): „Für den Gefangenenaustausch zwischen Russland und den Vereinigten Staaten gibt es keinen Präzedenzfall, weder hinsichtlich der Zahl der betroffenen Personen noch der Zahl der Staaten. Er könnte ein Signal sein, dass zwischen Moskau und Washington etwas in Bewegung ist, um auch im Ukraine-Krieg zu einer diplomatischen Lösung zu kommen. (...) In jeder Krise steckt eine Chance: Sowohl Putin als auch Biden könnten der Meinung sein, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, um das Blatt zu wenden, bevor die amerikanischen F-16-Kampfjets, die Kiew zur Verfügung gestellt werden, das militärische Gleichgewicht verändern oder Moskau als Antwort den Einsatz ausweitet. Von einem Gefangenenaustausch zu einem Kurswechsel im Krieg in der Ukraine.“
Nesawissimaja Gaseta (Russland): „Russland und der Westen haben einen großen Austausch vollzogen mit langfristigen Folgen. Die russischen Behörden und ihre Gegner haben vorübergehend einige ihrer menschlichen Vorwürfe gegeneinander aufgehoben. (...) Die Ereignisse des 1. August 2024 werden in die Geschichte eingehen, aber es ist nicht klar, in welcher Eigenschaft: entweder als Zeichen der bevorstehenden Versöhnung zwischen Russland und dem Westen oder lediglich als Illustration der unterschiedlichen Wertesysteme, die von Beamten in verschiedenen Ländern vertreten werden. Was auch immer die langfristigen Folgen des Austauschs sein mögen, eine führende Persönlichkeit der Welt hat bereits davon profitiert: der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Er hat sehr hart daran gearbeitet, den Ruf seines Landes als Vermittler wichtiger Weltprobleme zu sichern, und es ist ihm gelungen.“